Gigantische Musikvideos: Was hinter den Kulissen wirklich passiert (und was es kostet)

Rammstein überrascht mit „Ausländer“: Ist weniger wirklich mehr oder nur eine Unterschätzung ihrer Provokationskunst?

von Michael von Adelhard

Wenn eine bestimmte deutsche Band, bekannt für ihre Provokationen, ein neues Video rausbringt, dann reden alle drüber. Meistens geht es um die Botschaft, um den Skandal und was die Künstler uns wohl damit sagen wollen. Klar, das ist auch wichtig. Aber ich schaue da mit ganz anderen Augen drauf.

Seit über 25 Jahren bin ich Meister für Veranstaltungstechnik. Ich habe unzählige Produktionen miterlebt, von kleinen Imagefilmen bis zu internationalen Videodrehs. Ich habe gesehen, was grandios funktioniert und was in einer teuren Katastrophe endet. Für mich ist so ein aufwendiges Video nicht nur Kunst. Es ist vor allem ein Meisterstück der Logistik, der Technik und des knallhart kalkulierten Risikos.

Und genau darüber will ich heute mal aus dem Nähkästchen plaudern. Nicht als Kritiker, sondern als Praktiker. Bevor wir richtig loslegen, ein kleiner Tipp: Sucht euch mal online eines dieser großen, bekannten Musikvideos, das eine satirische Kolonialismus-Parodie am Strand zeigt. Ihr wisst schon, welches ich meine. Habt ihr die Bilder im Kopf? Perfekt. Dann zeige ich euch jetzt, was hinter dieser Fassade steckt, die so einfach aussieht, aber in Wahrheit eine gewaltige Leistung ist.

Rammstein Ausländer Video

Das Konzept: Mehr als nur eine verrückte Idee

Jede große Produktion startet mit einer Vision. In diesem Fall: eine überzogene, fast schon karikaturartige Darstellung von Kolonisten, die an einem exotischen Strand anlanden. Sie bringen seltsame Geschenke, feiern mit den Einheimischen und hauen am Ende wieder ab. Diese Idee muss dann in einen wasserdichten Plan gegossen werden. Und genau hier, in der Vorproduktion, entscheidet sich zu 90 Prozent, ob das Ganze ein Erfolg wird.

Die erste Frage ist immer: Wo um alles in der Welt drehen wir das? Man braucht einen Strand, der exotisch aussieht, aber logistisch erreichbar ist. Man braucht Drehgenehmigungen und eine sichere Umgebung. Beliebte Drehorte sind zum Beispiel Länder wie Südafrika, weil es dort eine super Filminfrastruktur, erfahrene lokale Teams und passende Landschaften gibt. Aber das bedeutet auch: Man muss tonnenweise Equipment über Tausende Kilometer bewegen. Dafür gibt es ein Zolldokument namens „Carnet ATA“. Füllt man das falsch aus oder vergisst es, bleibt die teure Kameraausrüstung im Wert eines Kleinwagens im Zoll hängen. Der Drehplan kollabiert und die Kosten explodieren. Ein Albtraum.

das neue lied von dem deutschen band rammstein ausländer, der schwarze logo von rammstein, neuer clip zu ausländer

Dann die Darsteller. Die Band ist klar. Aber die Dorfbewohner? Dafür braucht man Profis oder exzellent gebriefte Komparsen. Das Casting vor Ort ist eine heikle Mission. Man muss Leute finden, die nicht nur optisch passen, sondern auch mit dem provokanten Thema einverstanden sind. Ein guter lokaler Casting-Direktor ist hier Gold wert. Er kennt die Kultur, die Menschen und kann vermitteln, damit am Ende keine Missverständnisse oder Vorwürfe entstehen. Transparenz ist alles!

Die Magie der Technik: Licht, Wasser und die perfekte Atmosphäre

Ein Video lebt von seinen Bildern. Und die Bilder leben von Physik. Klingt trocken, ist aber die Basis für jede Emotion. An einem sonnigen Strand zu drehen, klingt nach Urlaub, ist für Kameraleute aber die Hölle. Die Mittagssonne wirft knallharte Schatten und lässt Gesichter überstrahlen. Unbrauchbar.

Profis kontrollieren das Licht. Seht ihr im Video, wie weich die Hauttöne und wie schmeichelhaft die Ausleuchtung ist? Das erreicht man mit riesigen Rahmen, oft 6×6 Meter groß, die mit Diffusor-Stoff bespannt sind. Man nennt sie „Butterflys“. Die werden über die Szene gehalten und machen das Sonnenlicht weich wie Butter. So ein Segel bei leichtem Wind zu halten, braucht locker vier kräftige Leute vom Grip-Department. Dazu kommen gigantische Aufheller oder schwarze Fahnen, um Licht zu lenken oder zu schlucken. Für das typische Gegenlicht braucht man Scheinwerfer mit 18.000 Watt Leistung, die von einem eigenen Generator versorgt werden, der weit weg vom Set tuckern muss, damit man ihn nicht hört.

Till Lindemann von Rammstein

Kleiner Tipp für eure eigenen Projekte: Kein Budget für einen Butterfly? Kein Problem! Für eure Videos tut’s auch ein weißer Duschvorhang für 10 € aus dem Baumarkt, den ihr zwischen zwei Stative spannt. Der Effekt ist erstaunlich ähnlich und rettet euch den Dreh bei praller Sonne!

Szenen im Wasser sind der nächste Endgegner. Das Schlauchboot am Anfang des Videos schaukelt, aber die Kamera bleibt bombenfest. Wie geht das? Man filmt von einem zweiten, größeren Boot, auf dem ein stabilisiertes Kamerasystem, ein sogenannter Gimbal, montiert ist. Jede Welle wird so ausgeglichen. Übrigens: Salzwasser und Sand sind der Tod jeder Elektronik. Nach so einem Tag wird jede Linse, jede Kamera penibel gereinigt. Und Sicherheit geht über alles. Auch im flachen Wasser stehen immer Sicherheitstaucher knapp außerhalb des Bildes bereit. Das ist keine Option, das ist Vorschrift.

Ach ja, und dann noch der Nebel! In den Nachtszenen seht ihr oft leichten Dunst. Das schafft Tiefe und lässt Lichtstrahlen sichtbar werden. Das ist künstlicher Nebel. Am windigen Strand eine echte Kunst. Ich erinnere mich an einen Dreh am Meer, da hat uns der Wind den künstlichen Nebel ständig ins Catering geweht. Sah zwar lustig aus, wie die Brötchen im Dunst verschwanden, hat aber den Zeitplan komplett zerlegt. Man braucht oft mehrere Maschinen und die richtige, ölbasierte Flüssigkeit für feinen Dunst („Haze“) statt dicker Schwaden („Fog“).

till lindemann, ein mann mit blauen augen und blondem haar und einem schwarzen hemd und mantel, weiße wand, rammstein

Ein Team, ein Uhrwerk: Wer am Set den Hut aufhat

Ein professionelles Filmset funktioniert wie ein Schweizer Uhrwerk. Jeder hat eine klare Aufgabe. Damit ihr mal einen Überblick habt, hier die wichtigsten Rollen im Klartext:

  • Der Regisseur: Der kreative Kopf. Er hat die Vision und führt die Darsteller.
  • Der Director of Photography (DoP): Der Chef-Kameramann. Er übersetzt die Vision in Bilder, wählt Kameras und Linsen. Für diesen breiten Kino-Look kommen oft spezielle anamorphotische Objektive zum Einsatz. Achtet mal auf die Nachtszenen und wie Lichtquellen so einen coolen, waagerechten Strich durchs Bild ziehen. Das ist der typische Look dieser Linsen!
  • Der Gaffer (Oberbeleuchter): Der Chef des Lichts und die rechte Hand des DoP. Er leitet sein Team an, die riesigen Lampen aufzubauen und auszurichten.
  • Der 1. Aufnahmeleiter (1st AD): Der General am Set. Er erstellt den Drehplan und brüllt die Kommandos: „Ruhe bitte, wir drehen!“, „Kamera läuft!“ und „Action!“. Er sorgt dafür, dass der Zeitplan eingehalten wird, damit der Regisseur kreativ sein kann.
  • Das Art Department: Die Ausstatter. Sie haben die Uniformen, die Masken, die Requisiten besorgt oder gebaut. Sie sorgen für den Look der Welt, in der die Geschichte spielt.

Die Erfahrung jedes Einzelnen ist entscheidend. Ich habe mal einen Dreh für eine Automarke in der Wüste geleitet. Perfekter Sonnenuntergang, teures Auto, 50-köpfiges Team. Was wir nicht hatten? Den Zweitschlüssel. Der Fahrer ließ den einzigen Schlüssel im Zündschloss stecken, als die Zentralverriegelung sponn. Ende vom Lied: Wir standen mit einem 200.000-Euro-Auto in der Pampa und konnten nicht drehen. Ein winziger Fehler, ein ganzer Drehtag im Eimer.

himmel mit weißen wolken, ein mann mit weißem hemd, schwarz-weißes bild von der deutschen band rammstein, mann mit hut und brille
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Ein Haus am Strand oder ein Musikvideo? Was der Spaß wirklich kostet

Viele fragen sich, was so eine Produktion eigentlich kostet. Genaue Zahlen sind natürlich geheim, aber man kann es gut schätzen. Wir bewegen uns hier sicher in einem mittleren bis hohen sechsstelligen Bereich. Also, sagen wir mal zwischen 300.000 und 700.000 Euro. Das ist kein Witz.

Die Kosten setzen sich grob so zusammen: Da ist die Kerncrew aus Europa (Flüge, Hotels), die große lokale Crew vor Ort für mehrere Wochen, die Gehälter für 50 bis 100 Leute. Dann die Technikmiete für High-End-Kameras, die pro Tag mehrere Tausend Euro kostet, plus Licht-LKW, Generatoren und Kräne. Dazu kommen die Kosten für Drehgenehmigungen, Darstellergagen, Kostüme und Requisiten. Und nach dem Dreh geht die Arbeit im Schnitt, bei der aufwendigen Farbkorrektur und den Effekten erst richtig los. Jeder kluge Produzent plant zudem 15 % Puffer für unvorhergesehene Dinge ein.

Um das mal ins Verhältnis zu setzen: Für eine solche Summe könnte man locker zwei komplette „Tatort“-Folgen produzieren. Das zeigt, dass es hier nicht nur um Kunst geht, sondern um ein massives Marketing-Investment in die Marke der Band.

Rammstein Bandbild

Fazit: Und jetzt seid ihr dran!

So ein Video ist ein faszinierendes Zusammenspiel aus lauter Provokation und stillem Handwerk. Das Spektakel, über das alle reden, steht auf einem unsichtbaren Fundament aus Planung, Technik und der harten Arbeit von Hunderten von Spezialisten.

Und jetzt die Herausforderung für euch: Schaut euch das Video (oder irgendein anderes großes Musikvideo) nochmal ganz genau an. Achtet mal bei der Szene im Schlauchboot auf die stabile Kamera. Denkt an das Team auf dem zweiten Boot, das den schweren Gimbal balanciert. Achtet auf das weiche Licht in den Gesichtern, obwohl die Sonne knallt, und denkt an den riesigen Dusch… äh, Butterfly. ;-)

Schreibt doch mal in die Kommentare, welche kleinen technischen Wunder euch jetzt auffallen, die ihr vorher gar nicht bemerkt hättet! Denn genau das ist die Kunst hinter der Kunst. Das Handwerk. Und das verdient mindestens genauso viel Respekt wie die Provokation, die es erst möglich macht.

junger mann mit brille, mann mit schwarzen handschuhen, ein schwarz-weißes bild von der deutschen band rammstein
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Michael von Adelhard

Michael von Adelhard ist 31 Jahre alt. Er arbeitet seit vielen Jahren als Journalist für einige der erfolgreichsten Nachrichten-Portale Deutschlands. Autor vieler Bücher und wissenschaftlicher Publikationen zum Thema «Einfluss sozialer Medien auf Jugendliche«. Schreibt über Themen wie Lifestyle, Umweltschutz, sowie Tech and Gadgets. In seiner Freizeit ist er häufig mit dem Fahrrad unterwegs – so schöpft er Inspiration für seine neuen Artikel.