Die Wahrheit über deine Retoure: Warum Neuware im Müll landet (und was wir wirklich tun können)

Wusstest du, dass jährlich 500 Millionen Waren zurückgeschickt werden? Entdecke, warum die Grünen ein Verbot der Vernichtung fordern!

von Michael von Adelhard

Ich bin schon eine gefühlte Ewigkeit in der Logistik und Warenwirtschaft unterwegs. Habe unzählige Lagerhallen geplant, Prozesse optimiert und jungen Leuten den Job von der Pike auf beigebracht. Früher, da war eine Retoure echt eine Ausnahme. Ein Kunde brachte was zurück ins Geschäft, man hat kurz geschnackt und das Teil stand wieder im Regal. Heute? Ein völlig anderes Bild. Das Surren der Förderbänder in den Retourenzentren hört niemals auf. Und ganz ehrlich, oft ist die Endstation dieser Bänder nicht das Lager, sondern die Müllpresse.

Klar, viele sind geschockt, wenn sie hören, dass nagelneue Sachen einfach vernichtet werden. „Skandal!“, „Verschwendung!“, rufen sie. Verstehe ich total. Aber um das Problem zu lösen, müssen wir erst mal kapieren, warum das überhaupt passiert. Das ist nämlich keine böse Absicht der Händler, sondern das Ergebnis von knallharten Kalkulationen und einem System, das auf Tempo und billige Preise getrimmt ist.

Ich nehm dich heute mal mit auf die Reise einer Retoure. Nicht aus der schicken Büro-Perspektive, sondern direkt aus der Halle, wo die Pakete aufschlagen und die echten Entscheidungen fallen.

kleiner gelber einkaufswagen, ein smartphone, ein online geschöft, drei kleine krawatten, ein roter blumentopf mit grünen pflanzen

Die Reise einer Retoure: Ein ungeschönter Blick hinter die Kulissen

Sobald du online auf „Artikel zurücksenden“ klickst, startet für das Produkt eine lange und vor allem teure Reise. Jeder einzelne Schritt kostet Geld, Zeit und Arbeitskraft. Das ist die kalte Realität.

Schritt 1: Annahme und die erste grobe Sortierung

Stell dir eine riesige Halle vor. LKW von DHL, Hermes und Co. spucken im Minutentakt Pakete aus. Hier beginnt die erste Triage. Schon jetzt zeigen sich die ersten Probleme: Pakete sind aufgerissen, schlecht zugeklebt oder der Aufkleber ist kaum lesbar. Jeder dieser Fälle? Reine Handarbeit. Ein Mitarbeiter muss das Paket flicken oder manuell zuordnen. Das sind die ersten Sekunden, die sofort Kosten verursachen.

In einem modernen Lager wird jedes Paket gescannt. Das System weiß jetzt: Okay, Artikel XYZ von Kunde ABC ist wieder da. Aber in welchem Zustand? Das ist die große Frage.

Schritt 2: Der Moment der Wahrheit – Das Öffnen

Ein Mitarbeiter, der oft unter enormem Zeitdruck arbeitet, schnappt sich das Paket und öffnet es mit einem geschützten Messer. Die ersten Sekunden sind entscheidend. Riecht es nach Rauch, Parfüm oder Haustieren? Ein erfahrener Kollege erkennt das sofort. Besonders bei Textilien ist das oft das Todesurteil für den Wiederverkauf als A-Ware, denn eine professionelle Reinigung ist meist teurer als der Artikel selbst.

eine frau mit einem blauem sakko und braunem haar, die grüne partei, Katrin Göring-Eckardt

Dann die Sichtprüfung: Ist die Originalverpackung unbeschädigt? Ein zerfetzter Schuhkarton macht einen Wiederverkauf als „neu“ unmöglich. Fehlt Zubehör? Das Ladekabel beim Smartphone? Jeder fehlende Kleinkram muss erfasst werden.

Ach ja, und dann gibt es noch die unehrlichen Retouren. Ich werde nie den Fall vergessen, als ein Kunde einen teuren Marken-Wintermantel zurückschickte. Im Paket war aber sein alter, völlig abgetragener Mantel. Das Perfide: Er hatte sogar das Etikett vom neuen Mantel abgetrennt und an den alten genäht. Sowas aufzudecken, zu dokumentieren und weiterzuleiten, kostet Zeit, Nerven und richtig Geld.

Schritt 3: Die Klassifizierung – A, B, C oder Schrott?

Nach der ersten Prüfung wird die Ware eingeteilt. Davon hängt ihr gesamtes Schicksal ab.

  • A-Ware: Der absolute Idealfall. Produkt unbenutzt, originalverpackt, alles tipptopp. Kann direkt wieder ins Lager und als neu verkauft werden. Das ist aber leider nur ein kleiner Teil der Retouren.
  • B-Ware: Hier wird’s kompliziert. Das Produkt ist okay, hat aber kleine Macken. Die Verpackung ist offen, es gibt winzige Kratzer oder leichte Gebrauchsspuren. Um das wieder zu verkaufen, ist Handarbeit nötig: reinigen, prüfen, neu verpacken. Jeder Schritt kostet.
  • C-Ware: Der Artikel ist deutlich gebraucht oder hat einen Defekt, den man theoretisch reparieren könnte. Ein Stuhl mit einem wackeligen Bein zum Beispiel. Hier muss aber ein Profi ran. Bei einem Artikel, der neu vielleicht 50 € kostet, lohnt sich eine Reparatur für 30 € schlicht und einfach nicht.
  • D-Ware: Das ist Schrott. Kaputt, verdreckt, unvollständig. Das geht direkt in die Entsorgung.
ein kleiner schwarzer Mikrowellenherd, der logo von amazon, graue lautsprecher und ein tablet, produkte von amazon

Die knallharte Wahrheit: Warum sich Wegwerfen oft „rechnet“

Jetzt kommen wir zum Kern des Problems. Es ist eine brutale, aber einfache Kosten-Nutzen-Rechnung. Ein Mitarbeiter im Logistikzentrum kostet ein Unternehmen mit allem Drum und Dran zwischen 25 und 35 Euro die Stunde. Rechnen wir mal mit 30 Euro – das sind 50 Cent pro Minute.

Für eine typische B-Ware summieren sich die Kosten blitzschnell:

  • Paket öffnen und Erstprüfung: ca. 2 Minuten = 1,00 €
  • Funktionstest (z.B. Gerät kurz einschalten): ca. 3 Minuten = 1,50 €
  • Reinigung (Fingerabdrücke etc.): ca. 1 Minute = 0,50 €
  • Passende neue Verpackung finden & verpacken: ca. 4 Minuten = 2,00 €

Schwups, sind wir schon bei 5,50 Euro an reinen Prozesskosten. Da ist noch kein Wertverlust oder die erneute Lagerung eingerechnet. Wenn der Artikel im Verkauf nur 25 Euro kostet und die Marge vielleicht bei 5 Euro liegt, macht der Händler mit dem Wiederverkauf schon Verlust. Die Entsorgung kostet im Vergleich oft nur ein paar Cent pro Stück, wenn man große Mengen hat.

zwei hände mit einer kleinen weißen kredit karte und mit einem weißen beutel, zwei weiße bildschirme, online-geschäft

Nicht jede Retoure ist gleich: T-Shirt vs. Smartphone

Man kann nicht alles über einen Kamm scheren. Ein zurückgeschicktes T-Shirt ist ein ganz anderes Problem als ein retourniertes Smartphone.

Stell dir ein T-Shirt für 19,99 € vor. Der Prüfaufwand ist gering – man schaut nach Flecken, Löchern und Gerüchen. Aber die Chance auf einen Wiederverkauf ist mies. Ist es einmal anprobiert worden, ist es aus Hygienegründen schon grenzwertig. Außerdem ist Mode extrem saisonal. Ein Shirt aus der Sommerkollektion, das im Herbst zurückkommt, ist quasi wertlos. Das typische Schicksal hier? Leider oft die Vernichtung.

Ganz anders bei einem Smartphone für 799 €. Hier lohnt sich die Aufbereitung fast immer. Der Prüfaufwand ist aber enorm hoch. Es braucht geschultes Personal, das einen kompletten Technik-Check durchführt und eine zertifizierte Datenlöschung nach strengen Datenschutzregeln vornimmt, um alle Daten des Vorbesitzers sicher zu entfernen. Trotzdem ist die Chance auf einen Wiederverkauf als „refurbished“ oder B-Ware sehr hoch. Hier wird also meist aufbereitet statt weggeworfen.

Was wir alle tun können – ganz praktische Tipps

Nur auf die Händler zu schimpfen, ist zu einfach. Wir stecken da alle mit drin. Aber hey, jeder von uns kann etwas bewegen!

Mein Rat an dich als Käufer:

  • Bewusst einkaufen: Bestell nicht drei Hosen in verschiedenen Größen mit dem festen Plan, zwei zurückzuschicken. Die meisten Shops haben heute super detaillierte Größentabellen. Nimm dir die zwei Minuten zum Nachmessen! Kleiner Tipp: Wenn du unsicher bist, wie das geht, such einfach mal auf YouTube nach „richtig Maß nehmen“, da gibt’s tolle Anleitungen.
  • Vorsichtig auspacken: Reiß den Karton nicht in Stücke. Wenn du merkst, das wird nichts, pack alles sorgfältig wieder ein. Das erhöht die Chance, dass es als A-Ware durchgeht.
  • Vollständig zurücksenden: Achte darauf, dass alle Anleitungen, Kabel und Zubehörteile wieder im Paket landen.
  • Gezielt B-Ware kaufen und sparen: Das ist ein Win-Win! Du rettest ein Produkt und schonst deinen Geldbeutel. Schau mal bei Amazon Warehouse Deals, in den Outlet-Bereichen von MediaMarkt oder Otto oder direkt bei Aufbereitern wie rebuy.

Mein Rat an Händler (besonders die kleineren):

  • Retouren vermeiden: Das ist der beste Hebel! Investiert in gute Produktfotos, Videos und ehrliche Beschreibungen. Sagt klar, wenn etwas kleiner ausfällt.
  • B-Ware offensiv vermarkten: Schafft eine eigene „Outlet“-Kategorie. Beschreibt kleine Fehler ehrlich und gebt einen fairen Rabatt. Viele Kunden stört ein offener Karton überhaupt nicht, wenn der Preis stimmt.
  • Sucht euch Partner: Ihr müsst das Rad nicht neu erfinden. Es gibt spezialisierte Firmen, die euch die Retouren abnehmen. Für Mode gibt es zum Beispiel Sellpy oder momox fashion. Für Elektronik sind Profis wie rebuy oder asgoodasnew top. Und für gemischte Waren gibt es Logistiker wie PVS-Fulfilment.
  • Spenden? Ja, aber richtig! Eine Spende ist super, aber klärt vorher die Details. Gemeinnützige Organisationen brauchen sortierte, saubere Ware. Eine unsortierte LKW-Ladung ist für sie oft mehr Last als Hilfe.

Achtung: Was viele bei Retouren vergessen

Bei all der Nachhaltigkeitsdebatte dürfen wir eine Sache nie aus den Augen verlieren: die Sicherheit. Ein beschädigter Lithium-Ionen-Akku in einem zurückgesendeten Gerät ist eine extreme Brandgefahr im Lager. Deshalb müssen die Mitarbeiter geschult sein, solche Gefahren sofort zu erkennen. Auch bei Hygieneartikeln oder Babyprodukten gibt es strenge Regeln, die Leben schützen.

Ein ehrliches Wort zum Schluss

Ganz ehrlich, es gibt hier keine einfache Lösung. Ein pauschales Vernichtungsverbot klingt zwar toll, würde die Händler aber vor massive Probleme stellen. Die Lager würden überquellen und die Kosten würden am Ende wir alle tragen – die Preise würden steigen.

Wir brauchen einen cleveren Mittelweg. Gesetze, die Anreize für die Aufbereitung schaffen, statt nur zu bestrafen. Händler, die in bessere Prozesse investieren. Und am wichtigsten: Wir als Kunden, die verstehen, dass jede einzelne Retoure Konsequenzen hat.

In meiner langen Zeit in diesem Job habe ich eins gelernt: Die besten Lösungen basieren immer auf praktischer Vernunft und gegenseitigem Verständnis. Die Vernichtung von Waren ist kein dunkles Geheimnis, sondern ein Symptom. Ein Symptom eines Systems, das wir gemeinsam geschaffen haben – und das wir deshalb auch nur gemeinsam verbessern können.

Michael von Adelhard

Michael von Adelhard ist 31 Jahre alt. Er arbeitet seit vielen Jahren als Journalist für einige der erfolgreichsten Nachrichten-Portale Deutschlands. Autor vieler Bücher und wissenschaftlicher Publikationen zum Thema «Einfluss sozialer Medien auf Jugendliche«. Schreibt über Themen wie Lifestyle, Umweltschutz, sowie Tech and Gadgets. In seiner Freizeit ist er häufig mit dem Fahrrad unterwegs – so schöpft er Inspiration für seine neuen Artikel.