Eine Nazi-Satire drehen: Wie man’s richtig macht (und nicht grandios scheitert)
Könnte ein imaginärer Freund den Lauf der Geschichte verändern? Entdecke, wie Taika Waititi mit „Jojo Rabbit“ die Grenzen des Humors sprengt.
In einer Welt, in der ein kleiner Junge mit Adolf Hitler als seinem besten Freund durch die Wirren des Zweiten Weltkriegs stolpert, fragt man sich: Wie viel Humor verträgt die Finsternis? Taika Waititi nimmt uns mit auf eine surreale Reise, die das Grauen der Geschichte mit dem Lachen von heute verwebt. Hier wird der Antagonist zum Komplizen und die Kindheit zur Arena der Erkenntnis.
In meiner Zeit als Produzent habe ich gelernt, Projekte nach ihrem Risiko zu bewerten. Es gibt die üblichen Verdächtigen: finanzielle und technische Risiken. Aber die seltenste und gefährlichste Kategorie sind die Projekte, die ein kreatives Minenfeld sind. Ein Film, der als Komödie in Nazi-Deutschland spielt und in dem ein kleiner Junge einen imaginären Adolf Hitler als Freund hat? Ganz ehrlich, das ist die Art von Idee, bei der die meisten in der Branche abwinken. Klingt nach Karriereselbstmord. Respektlos. Unfinanzierbar.
Inhaltsverzeichnis
Und doch wurde genau so ein Film nicht nur gedreht, sondern auch mit Preisen überhäuft. Das ist kein Zufall und schon gar keine Magie. Es ist das Ergebnis von verdammt gutem Handwerk, mutigen Entscheidungen und einem tiefen Verständnis dafür, wie Filme wirklich funktionieren. Ich will euch hier keine Filmkritik um die Ohren hauen. Stattdessen heben wir mal gemeinsam die Motorhaube hoch und schauen uns die Teile an, die man als Zuschauer sonst nie zu Gesicht bekommt.

Die Gratwanderung: Warum Satire über das Dritte Reich so heikel ist
Das größte Problem bei so einem Film ist die Tonalität. Ein falscher Schritt, ein Witz, der danebengeht, und die ganze Nummer kippt von Satire in pure Verharmlosung. Um zu verstehen, warum das hier gelingt, müssen wir ganz kurz über eine alte Theater-Technik sprechen, den sogenannten „Verfremdungseffekt“.
Indem der Diktator als alberner, kindischer Idiot dargestellt wird, werden unsere Erwartungen komplett gebrochen. Wir sehen nicht das historische Monster, sondern eine groteske Karikatur, gefiltert durch die Augen eines Kindes. Dieser Bruch zwingt uns im Publikum, aktiv mitzudenken. Wir können uns nicht einfach berieseln lassen. Wir müssen die Absurdität auf der Leinwand ständig mit unserem Wissen über die schreckliche Realität abgleichen. Und genau in diesem Spannungsfeld entsteht die eigentliche Botschaft: die Entlarvung der Nazi-Ideologie als das, was sie im Kern ist – eine hohle, menschenverachtende Farce.
Das ist natürlich ein Spiel mit dem Feuer. Schon in klassischen Filmen wurde Humor als Waffe gegen das Regime eingesetzt, oft sogar, während es noch an der Macht war. Der Ansatz heute ist aber ein anderer. Aus der historischen Distanz geht es weniger um den direkten politischen Angriff, sondern vielmehr um die Frage: Wie kann ein unschuldiges Kind dazu verführt werden, so eine monströse Ideologie zu schlucken?

Kleiner Tipp aus der Praxis, weil ich das schon oft schiefgehen sah:
Ich hatte schon Drehbücher für ähnliche Satiren auf dem Tisch, die eine Katastrophe geworden wären. Der häufigste Fehler ist ein grundlegendes Missverständnis. Satire heißt nicht, sich einfach nur über etwas lustig zu machen. Erfolgreiche Satire braucht immer einen glasklaren moralischen Kompass. Der Witz darf NIEMALS auf Kosten der Opfer gehen. Die Profis hinter diesem Film schaffen das, weil der emotionale Kern die Beziehung des Jungen zu seiner Mutter und seine Freundschaft mit einem versteckten jüdischen Mädchen ist. Der Humor macht die Dunkelheit nur erträglich, er leugnet sie nicht.
Hinter den Kulissen: Ein Blick in den Maschinenraum
Eine gute Idee allein macht noch keinen Film. Dahinter steckt ein komplexes logistisches und finanzielles Puzzle. Und bei diesem Projekt war wirklich jede Abteilung gefordert, die heikle Vision des Regisseurs umzusetzen.
Die unsichtbare Kunst der Finanzierung (und was 14 Mio. Dollar wirklich bedeuten)
Ein Budget von rund 14 Millionen Dollar klingt erstmal nach einer Menge Holz. In der Filmwelt ist das aber eher im unteren Mittelfeld für einen international beachteten Film. Viele fragen sich dann: Wohin fließt diese ganze Kohle eigentlich? Stellt es euch mal grob so vor:

- Die großen Namen (ca. 30-40%): Ein guter Batzen geht für die sogenannten „Above the line“-Kosten drauf. Das sind die Gehälter für die Stars, den Regisseur und die Drehbuchautoren. Ein bekannter Name im Cast ist nicht nur ein kreativer Gewinn, sondern auch eine Art Versicherung, die den Film für ein breiteres Publikum und Verleiher interessant macht.
- Die eigentliche Produktion (ca. 40-50%): Das ist der größte Posten. Darunter fällt die gesamte Crew (Kamera, Licht, Ton, etc.), die Miete für Locations und Studios, die Technik, Kostüme, das Szenenbild und einfach alles, was man für den Dreh braucht – bis hin zum Catering.
- Die Nachbearbeitung (ca. 15-20%): Wenn der Dreh im Kasten ist, fängt die Arbeit erst richtig an. Schnitt, visuelle Effekte, Tonmischung, Musik – all das kostet Zeit und Geld.
Ach ja, und dann gibt es da noch einen Trick, der solche Projekte oft erst möglich macht: Filmförderungen und Steuererleichterungen. Gedreht wurde der Film zu großen Teilen in Tschechien. Warum? Weil Länder wie Tschechien oder auch Deutschland Produktionen anlocken, indem sie einen Teil der Kosten zurückerstatten, die vor Ort ausgegeben werden. Bei einer 14-Millionen-Produktion können das schnell mal 2 bis 3 Millionen sein. Dieses Geld reduziert das Risiko für die Investoren enorm.

Das Casting: Ein Schachzug mit mehreren Zielen
Die Besetzung war hier absolut entscheidend. Da war nichts dem Zufall überlassen. Dass der Regisseur, der selbst jüdische Wurzeln hat, die Rolle des imaginären Hitler übernahm, war ein Geniestreich. So behielt er die absolute Kontrolle über die Figur und stellte sicher, dass sie niemals auch nur ansatzweise cool oder missverständlich wirkt. Eine künstlerische Absicherung, sozusagen.
Gleichzeitig verleiht die Besetzung eines absoluten Weltstars als Mutterfigur dem Projekt sofort Gewicht und Glaubwürdigkeit. Sie zieht ein breiteres Publikum an und signalisiert: „Hey, das ist kein seltsamer Nischenfilm, sondern großes Kino.“
Das größte Risiko war aber sicher die Hauptrolle. Einen ganzen Film auf den Schultern eines Kindes abzuladen, ist immer heikel. Die Suche nach dem richtigen Jungen dauert oft Monate. Es geht nicht nur um Talent, sondern auch um Belastbarkeit. Die Arbeitszeiten für Kinder am Set sind streng begrenzt, es gibt vorgeschriebenen Schulunterricht und ständige Betreuung. Das wirft jeden Drehplan durcheinander und erfordert einen extrem erfahrenen Regieassistenten, der dieses Chaos bändigt.

Zwei Welten, ein Film: Der Mix aus Autorenkino und Studiosystem
Dieser Film ist ein perfektes Beispiel für eine moderne, internationale Produktion. Du hast einen neuseeländischen Regisseur, amerikanische Stars, ein britisches Nachwuchstalent und eine Crew aus halb Europa, die in Tschechien dreht. Finanziert von einem US-Studio. Das ist heute fast schon normal.
Auf der einen Seite hast du die europäische Herangehensweise, das sogenannte „Autorenkino“. Hier hat der Regisseur oft die volle kreative Kontrolle. Er kann seine Vision ohne große Kompromisse umsetzen, was bei einem so riskanten Stoff überlebenswichtig ist.
Auf der anderen Seite steht das amerikanische Studiosystem. Das bringt nicht nur die finanzielle Power, sondern vor allem eine professionelle, weltweite Marketing- und Vertriebsmaschine mit. Ein rein europäisch finanzierter Film hätte es deutlich schwerer gehabt, ein globales Publikum zu finden und bei den Oscars eine Rolle zu spielen. Dieser Mix verbindet also das Beste aus beiden Welten.
Dein Set-Notfallplan: 3 Schritte, wenn die Katastrophe eintritt
Kein Dreh verläuft je nach Plan. Ein Leitsatz in unserer Branche ist: „Man löst jeden Tag Probleme, für die man nicht bezahlt wird.“ Ich erinnere mich an einen Dreh für ein Historiendrama. Wir hatten eine Schlüsselszene in einer alten Villa, und das Herzstück war ein antikes, unglaublich teures Auto. Am Morgen des Drehtags springt die Karre einfach nicht an. Tot. Und wir hatten nur an diesem einen Tag die Genehmigung, die ganze Straße zu sperren. Ein Albtraum, der Zehntausende Euro kosten kann.
Panik hilft da nicht. Der Prozess ist eigentlich immer derselbe:
- Sicherheit und Schadensbegrenzung: Das Erste ist immer: Ist jemand in Gefahr? Danach: Kann man das Problem schnell lösen? Ein Mechaniker wurde gerufen, aber es war schnell klar: Das dauert Stunden.
- Analyse und Plan B: Jetzt schlägt die Stunde des 1. Regieassistenten – dem logistischen Gehirn am Set. Während der Regisseur und der Kameramann überlegen, wie sie die Szene ohne fahrendes Auto drehen können (vielleicht kommt die Hauptfigur zu Fuß an?), wälzt der Regieassistent schon den Drehplan. Gibt es eine andere Szene, die wir vorziehen können, für die alle Schauspieler schon da und in Kostüm sind?
- Umdisponieren und Kommunizieren: Innerhalb von Minuten wird umgeplant. Die Crew baut das Licht für eine kleinere Dialogszene im Garten der Villa um. Der Line Producer, quasi der Finanzminister des Drehs, rechnet schon durch, was uns der verlorene halbe Tag kostet. Wichtig ist: Alle müssen wissen, was der neue Plan ist. Klare Kommunikation ist alles.
Am Ende haben wir die Autoszenen am nächsten Tag in den frühen Morgenstunden nachgeholt. Es hat uns einiges an Geld und Nerven gekostet, aber dank eines kühlen Kopfes und eines guten Teams konnte das Projekt gerettet werden. Das sind die Momente, die den Job ausmachen.
Die Kunst nach dem Dreh: Schnitt und Festival-Strategie
Wenn der letzte Drehtag vorbei ist, ist die Arbeit noch lange nicht getan. Im Schnitt wird der Film erst wirklich geboren. Gerade bei diesem Film war das eine Millimeterarbeit. Ein Witz kann durch eine Sekunde zu langes Zögern seine Wirkung verlieren. Eine dramatische Szene kann durch die falsche Musik total kitschig werden. Hier die perfekte Balance zu finden, ist die eigentliche Kunst.
Ebenso clever war die Veröffentlichungsstrategie. Man wählt für die Premiere nicht irgendein Festival, sondern ein großes, publikumsnahes Herbstfestival, das als zuverlässiges Oscar-Orakel bekannt ist. Wenn man dort den Publikumspreis gewinnt, erzeugt das einen enormen positiven Wirbel. Diese Strategie ging hier voll auf und hat den Weg für die spätere Oscar-Kampagne geebnet.
Letztendlich zeigt dieses Projekt eindrucksvoll, was im Kino möglich ist, wenn Mut, eine klare Vision und erstklassiges Handwerk zusammenkommen. Es ist der Beweis, dass man auch die allerschwierigsten Themen anfassen kann, wenn man weiß, wie es geht.
Und jetzt seid ihr dran: Welcher andere Film hat eurer Meinung nach so eine Gratwanderung gemeistert – oder ist daran grandios gescheitert? Schreibt es mir in die Kommentare!
