Warum ‚Joker‘ uns einfach nicht loslässt: Eine ehrliche Analyse (und was hilft, wenn er dich umhaut)

Ein Film, der Rekorde bricht und Zuschauer vorzeitig aus dem Kino treibt? Joker polarisiert auf eine Weise, die man nicht ignorieren kann.

von Dagmar Brocken

Ganz ehrlich? Es gibt Filme, die schaut man sich an und vergisst sie wieder. Und dann gibt es Filme wie diesen, über einen tragischen Clown, die noch Tage später im Kopf herumspuken. Ich habe schon unzählige Filme gesehen, beruflich wie privat, aber selten hat einer so eine Welle der Betroffenheit ausgelöst. Nach der Vorstellung war es oft totenstill im Kino. Kein Geplapper, kein schnelles Aufstehen. Man konnte die Verunsicherung förmlich greifen.

Viele fragen sich: Warum geht uns das Schicksal dieser Figur so verdammt nahe? Wir haben doch schon alles gesehen, oder? Die Antwort ist nicht die Gewalt selbst. Es ist die handwerkliche und psychologische Präzision, mit der der Film unsere inneren Schutzmauern Stein für Stein abbaut. Und genau das schauen wir uns jetzt mal genauer an.

Der psychologische Trick: Wie der Film uns in seine Welt zwingt

Normalerweise haben wir im Kino eine sichere Distanz. Es gibt die Guten, es gibt die Bösen. Klare Sache. Doch dieser Film schmeißt diese Regel über den Haufen. Von der ersten Sekunde an kleben wir an der Hauptfigur, sehen die Welt durch seine müden Augen. Das ist ein genialer, aber auch gefährlicher Kniff.

Der Joker scheint zu schlafen, ein roter Anzug und grünes Hemd, weiße Schminke

Erst das Mitleid, dann der Knall

Die erste Hälfte des Films ist quasi eine Meisterklasse im Empathie-Aufbau. Wir sehen einen Mann am Abgrund. Gedemütigt, verprügelt, von der Gesellschaft links liegen gelassen. Seine psychische Erkrankung wird nicht als billige Ausrede, sondern als ständige, quälende Last gezeigt. Sein unkontrollierbares Lachen ist ja kein Zeichen von Freude, sondern ein pures Schmerzenssymptom. Wir sehen, wie er verzweifelt versucht, dazuzugehören und Freude zu verbreiten.

Und genau hier packt uns der Film. Wir fühlen mit dem Leidenden. Die Kamera ist immer ganz nah dran, fängt jede noch so kleine Zuckung in seinem Gesicht ein. Die Welt um ihn herum ist kalt, grau, abweisend. Wir fühlen uns mit ihm allein. Und wenn er dann zum ersten Mal zuschlägt, sind wir emotional schon längst in seinem Lager. Die Gewalt wirkt dann nicht mehr wie eine grundlose Tat, sondern wie eine tragische, fast logische Konsequenz aus all dem Leid. Ziemlich manipulativ, oder?

der Joker scheint zu schlaffen, ein roter Anzug und grünes Hemd, weiße Schminke

Was du nicht siehst, aber fühlst: Die Macht von Ton und Musik

Ach ja, und dann ist da noch der Soundtrack. Die Musik kriecht einem unter die Haut wie feuchte Kälte. Das Cello, das hier prominent eingesetzt wird, klingt nicht warm und voll, sondern klagend, fast wie ein in die Enge getriebenes Tier. Die Musik baut eine Spannung auf, die sich einfach nicht entlädt. Das erzeugt permanenten unterschwelligen Stress.

Kleiner Tipp: Achte mal beim nächsten Mal (falls du ihn dir nochmal gibst) auf die Tongestaltung. Die Geräusche der Stadt – Hupen, Sirenen, das Rattern der U-Bahn – sind unglaublich aggressiv und überfordernd. Im Film ist der Ton kein Begleiter, sondern eine Waffe, die direkt auf unsere Psyche zielt.

Mehr als nur eine Comic-Verfilmung: Das handwerkliche Genie dahinter

Man muss anerkennen, dass dieser Film handwerklich einfach brillant gemacht ist. Die Macher haben sich ganz klar an den großen, sozialkritischen Psychodramen der Vergangenheit orientiert. Man spürt den Geist von Klassikern, die ebenfalls psychisch labile Antihelden in einer kaputten Gesellschaft zeigten. Das holt den Film aus der bunten Superhelden-Ecke und gibt ihm eine ganz andere, ernstere Gewichtung.

Joker, weißes Gesicht, roter Mantel, grünes Hemd, ein Serienmörder wie Clown
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Das Herzstück ist aber natürlich die Performance des Hauptdarstellers. Das ist keine reine Schauspielerei mehr, das ist eine körperliche Metamorphose. Der Darsteller hat extrem viel Gewicht verloren, sein Körper wirkt dadurch fast zerbrechlich, jede Bewegung scheint schmerzhaft. Dieses Bild eines geschundenen Körpers trifft uns instinktiv, lange bevor wir über seine Taten nachdenken. Sein berühmter Tanz im Badezimmer ist ja keine Befreiung, sondern eher ein Krampfanfall.

Ganz anders als seine Vorgänger

Um zu verstehen, was diese Figur so besonders macht, hilft ein kurzer Blick auf frühere Darstellungen:

  • Der theatralische Gangster: Eine frühere, sehr bekannte Version war im Grunde ein schriller Mafiaboss. Unterhaltsam, exzentrisch, aber ganz klar ein Bösewicht. Man konnte sich bequem zurücklehnen.
  • Der Agent des Chaos: Eine andere gefeierte Darstellung zeigte die Figur als eine Art unaufhaltsame Naturgewalt ohne klare Herkunftsgeschichte. Furchteinflößend, faszinierend, aber zu abstrakt, um sich wirklich mit ihm zu identifizieren.
  • Der gebrochene Mensch: Die moderne Version ist anders. Er ist ein kranker, zerbrochener Mensch. Wir erleben seine Abwärtsspirale Schritt für Schritt mit. Er ist keine Metapher, sondern eine Fallstudie. Und genau das macht ihn so nahbar – und seine Taten so verstörend.

Der Film gibt dem Bösen eine plausible, nachvollziehbare Entstehungsgeschichte. Und immer wenn man etwas erklärt, läuft man Gefahr, es auch ein Stück weit zu entschuldigen. Das ist die eigentliche moralische Zwickmühle des Films.

Joker ist ein Serienmörder, der zu Gegner von Batman wird, nachdem er Batmans Eltern getötet hat

Spiegel unserer Zeit: Drei Denkfehler, die du vermeiden solltest

Der Film trifft einen Nerv, weil er Themen anspricht, die uns alle irgendwie beschäftigen. Aber gerade deshalb ist es wichtig, ein paar Dinge klar zu trennen. Aus meiner Erfahrung heraus gibt es drei häufige Denkfehler:

  1. Sein Leid rechtfertigt seine Taten nicht. Ja, wir fühlen mit ihm. Ja, das System hat ihn im Stich gelassen. Aber das ist keine Freikarte für Mord. Es ist entscheidend, Empathie für sein Leid zu haben, ohne seine Gewalt zu akzeptieren.
  2. Psychische Krankheit ist nicht gleich Gewalt. Das ist der vielleicht gefährlichste Kurzschluss. Der Film bedient hier leider ein Klischee. In der Realität sind Menschen mit psychischen Erkrankungen viel häufiger Opfer als Täter von Gewalt. Die allermeisten sind völlig harmlos. Das hier ist Fiktion, kein Dokumentarfilm!
  3. Die Sozialkritik ist kein Alibi. Der Film ist eine knallharte Kritik an einer Leistungsgesellschaft, in der für die Schwachen kein Platz zu sein scheint. Dieser Punkt ist wichtig und richtig. Arthur ist ein Verlierer in einer Welt, die nur Gewinner feiert. Sein Wunsch, „einfach nicht mehr so schlecht zu fühlen“, ist der Schrei vieler Menschen, die sich überfordert und unsichtbar fühlen.
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Dein Erste-Hilfe-Koffer: Was tun, wenn der Film dich fertiggemacht hat?

Okay, reden wir Klartext. Dieser Film ist eine emotionale Achterbahnfahrt und es ist absolut okay, sich danach mies zu fühlen. Hier sind ein paar ganz konkrete Tipps.

Wer sollte den Film lieber meiden?

Ganz ehrlich, der Film ist nicht für jeden. Und das ist keine Schwäche, sondern Selbstfürsorge. Wenn du dich gerade psychisch labil fühlst, unter Depressionen oder Angststörungen leidest, lass die Finger davon. Die hoffnungslose Atmosphäre kann bestehende Probleme verstärken. Auch für Jugendliche unter 16 ist die emotionale Wucht oft zu viel.

Du hast ihn schon gesehen und fühlst dich beklommen? 3 Dinge, die du JETZT tun kannst:

  • Realitäts-Check: Zwing dich, die düstere Stimmung zu durchbrechen. Schau dir auf YouTube ein paar witzige Tiervideos an oder starte eine Folge deiner Lieblings-Comedyserie. Klingt banal, aber es wirkt Wunder. Plan dafür mal 15-20 Minuten ein.
  • Körper aktivieren: Raus aus dem Kopf, rein in den Körper. Mach einen flotten Spaziergang um den Block, dreh deine Lieblingsmusik laut auf und tanz durch die Wohnung. Hauptsache, du spürst dich wieder anders.
  • Rede drüber – aber anders: Ruf einen Freund oder eine Freundin an. Aber sprich nicht sofort wieder über den Film, sondern über deinen Tag, über Alltägliches. Das erdet dich und holt dich aus dem Gedankenkarussell.
ein Foto von Joker mit Clown Schminke und bunter Anzug
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Wie spricht man (mit Jugendlichen) darüber?

Wenn deine Kinder den Film gesehen haben, ist ein Verbot der falsche Weg. Besser ist ein offenes Gespräch. Hier ein paar Leitfragen, um das Ganze zu verarbeiten:

  1. „Wie hast du dich während des Films gefühlt? Welche Szene fandest du am schlimmsten?“ (Gefühle benennen entlastet)
  2. „Was im Film ist wohl realistisch, was total übertrieben?“ (Realität und Fiktion trennen)
  3. „Hatte die Hauptfigur andere Möglichkeiten? Was hätte ihm wirklich geholfen?“ (Kritische Distanz aufbauen)
  4. „Was will uns der Film am Ende eigentlich sagen? Ist Gewalt eine gute Lösung?“ (Die Botschaft hinterfragen)

Ziel ist es, von der reinen Emotion zur aktiven Auseinandersetzung zu kommen. Das ist gelebte Medienkompetenz.

Wo schauen und was danach? Ein letztes Wort

Geschichten haben Macht. Sie können uns unterhalten, aber eben auch zutiefst verunsichern. Diesen Film einfach als „nur einen Film“ abzutun, wird ihm nicht gerecht. Ihn als Aufruf zur Gewalt zu verteufeln, aber auch nicht. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen.

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Gut zu wissen: Du findest den Film meist bei den gängigen Streaming-Anbietern wie Netflix oder Amazon Prime Video, entweder im Abo oder zum Leihen für ca. 3,99 € bis 4,99 €. Die Verfügbarkeit ändert sich aber ständig.

Wenn du dich für psychologisch dichte Thriller interessierst, die in eine ähnliche Kerbe schlagen, könnten auch Filme wie ‚Nightcrawler‘ oder ‚Shutter Island‘ etwas für dich sein – aber Achtung, die sind ebenfalls keine leichte Kost!

Und das Wichtigste zum Schluss: Solltest du merken, dass dich der Film oder die Themen darin stark belasten, zögere bitte nicht, dir Hilfe zu suchen. Das ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke. Die Telefonseelsorge ist unter 0800 / 111 0 111 rund um die Uhr anonym und kostenlos erreichbar. Es gibt auch viele gute Online-Beratungsstellen oder Krisendienste in deiner Nähe.

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Hildur Guðnadóttir gewann für ihren Soundtrack zum Film einen Oscar.

Und das ist kein Zufall. Die isländische Komponistin schrieb die düsteren, von einem Cello getragenen Hauptthemen, nachdem sie nur das Drehbuch gelesen hatte – noch bevor eine einzige Szene gedreht war. Regisseur Todd Phillips spielte diese Musik oft am Set, um Joaquin Phoenix in die richtige Stimmung zu versetzen. Die berühmte, improvisierte Tanzszene im Badezimmer entstand direkt aus der Reaktion des Schauspielers auf Guðnadóttirs beklemmende Klänge. Die Musik ist also nicht nur Untermalung, sondern ein aktiver Mitspieler, der die Isolation Arthurs für uns fühlbar macht.

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Warum ist dieser Joker so anders als seine Vorgänger?

Während frühere Darstellungen oft eine bewusste Entscheidung für das Böse zeigten, bricht dieser Film radikal damit. Heath Ledgers Joker in „The Dark Knight“ war ein brillanter Anarchist, ein Agent des Chaos, dessen Motivation philosophisch war. Jack Nicholsons Joker war ein exzentrischer Gangsterboss mit einem Hang zum Theatralischen. Joaquin Phoenix‘ Arthur Fleck hingegen ist keiner von beiden. Er ist kein Mastermind, sondern ein gebrochener Mann, dessen Weg in den Wahnsinn eine lückenlos dokumentierte Abwärtsspirale aus Krankheit, Missbrauch und gesellschaftlicher Kälte ist. Wir sehen keinen Schurken entstehen, wir beobachten eine menschliche Implosion.

  • Distanz durch Dekonstruktion
  • Bewusster Stimmungswechsel
  • Aktive Verarbeitung

Das Geheimnis? Dem Gehirn helfen, die Fiktion wieder als Fiktion zu erkennen. Schauen Sie sich „Making-of“-Clips an, um den Zauber zu brechen und Joaquin Phoenix beim Kaffeetrinken am Set zu sehen. Oder legen Sie bewusst eine leichte Komödie oder eine Naturdoku ein, um die emotionale Palette zu wechseln.

Dagmar Brocken

Dagmar Brocken hat Medienwissenschaft in Bonn absolviert und innerhalb fünf Jahren ist Teil von bekannten deutschen Nachrichtenteams.