Keine halben Sachen: Was du von Profi-Geschichten für deine eigenen Projekte lernen kannst

Zauberhafte Abenteuer warten! Entdecke, wie zwei Brüder die Magie der Familie neu entfachen – im neuen Pixar-Film „Onward: Keine halben Sachen“.

von Dagmar Brocken

In meiner Werkstatt habe ich über die Jahre eine goldene Regel gelernt: Jedes gute Stück, egal ob ein Stuhl, der ein Leben lang halten soll, oder eine Geschichte, die im Kopf bleibt, steht und fällt mit dem Fundament. Es geht immer um das Handwerk. Um die Liebe zum Detail. Ehrlich gesagt, schaue ich mir deshalb manchmal Filme nicht nur zum Spaß an, sondern wie ein Kollege, der die Arbeit eines anderen Meisters begutachtet. Der Animationsfilm „Onward“ ist so ein Fall. Er hat mich nicht mehr losgelassen, weil er auf einer unglaublich ehrlichen, menschlichen Geschichte basiert und die Technik dahinter einfach nur saubere Arbeit ist.

Viele sehen da vielleicht nur einen bunten Film für Kinder. Ich sehe eine durchdachte Konstruktion, zusammengefügt aus Tausenden von Teilen: Charaktere, Welten, Licht, Ton und die eine Erzählung, die alles wie ein starker Leim zusammenhält. Mein Name? Völlig unwichtig. Was zählt, ist die Erfahrung, die man mit der Zeit sammelt, und das geschulte Auge für Qualität. Und genau das möchte ich dir heute zeigen: Was diesen Film aus der Sicht eines Machers so besonders macht. Wir reden hier nicht über Film-Magie, als wäre sie ein Hokuspokus. Wir reden über die echte Magie: die knallharte Arbeit, die es braucht, um so eine Welt zum Leben zu erwecken.

Onward: Keine halbe Sachen ist die neue Produktion von Disney und Pixar

Das Fundament: Warum eine ehrliche Geschichte alles trägt

Jedes Projekt, wirklich jedes, fängt mit einer Idee an. Einem Funken. Bei „Onward“ war dieser Funke keine ausgedachte Fantasie, sondern kam direkt aus dem echen Leben eines der kreativen Köpfe dahinter. Er und sein Bruder verloren ihren Vater, als sie noch sehr jung waren und kannten ihn kaum – nur von ein paar Fotos und den Erzählungen anderer. Stell dir vor, du findest dann eine alte Kassette mit seiner Stimme drauf, die nur „Hallo“ und „Auf Wiedersehen“ sagt. Genau das passierte ihnen. Diese zwei Worte waren ein Schatz und warfen die eine große Frage auf: Wer war dieser Mann wirklich?

Aus dieser zutiefst menschlichen Sehnsucht entstand die ganze Geschichte. Das ist der Kern. Es ist nicht einfach nur ein Abenteuer, es ist der Wunsch zweier Söhne, ihren Vater für einen einzigen Tag wiederzusehen. Das gibt der Story eine Wucht, die man nicht künstlich erzeugen kann. Als Handwerker weiß ich: Du kannst das edelste Eichenholz haben – wenn deine Grundkonstruktion Murks ist, bricht dir der Stuhl unterm Hintern zusammen. Die persönliche Geschichte hier ist dieses massive Eichenholz: ehrlich, stark und mit einer tiefen, authentischen Maserung.

Chris Pratt und Tom Holland, in dem Film Infinity War von der Reihe Avengers

Und die beiden Hauptfiguren, die Brüder Ian und Barley, sind das perfekte Spiegelbild dieser Idee. Ian, der Jüngere, ist unsicher und sehnt sich nach einer Vaterfigur. Barley, der Ältere, ist ein lautes, liebenswertes Chaos, der die Erinnerung an den Vater durch seine Begeisterung für die Vergangenheit am Leben hält. Die Beziehung der beiden ist das Herzstück. Die Designer haben hier nicht einfach nur Figuren entworfen, sie haben eine Familiendynamik gebaut, die viele von uns kennen. Die Reibereien, die Zuneigung, das gemeinsame Ziel … das ist einfach grundsolides, erzählerisches Handwerk.

Charakterdesign: Wenn die Form die Funktion verrät

Ein gut gestalteter Charakter ist wie ein gutes Werkzeug: Seine Form verrät dir sofort, wofür er da ist. Schauen wir uns mal Ian an. Er ist schmal, fast ein wenig spillerig, die Schultern oft leicht nach vorne gebeugt. Seine Kleidung ist unauffällig. Alles an ihm schreit förmlich: „Bitte beachtet mich nicht!“ Aber dann haben ihm die Künstler diese riesigen, ausdrucksstarken Augen gegeben. Durch sie sehen wir seine ganze Unsicherheit, aber auch seine Sehnsucht. Man versteht ihn, ohne dass er ein Wort sagen muss.

Disney Pixar und ihre neue Produktion Onward: Keine halbe Sachen

Barley ist das genaue Gegenteil. Bullig, groß, er nimmt einfach Raum ein. Seine Kutte ist übersät mit Aufnähern, von denen jeder eine kleine Geschichte von vergangenen Abenteuern erzählt. Er ist das pure, gelebte Chaos. Aber sein breites, ansteckendes Lächeln und seine echte Begeisterung verhindern, dass er nur ein plumper Raufbold ist. Man spürt sofort sein großes Herz. Man kauft ihm ab, dass er seinen kleinen Bruder beschützen will, auch wenn er ihn ständig in Schwierigkeiten bringt.

Übrigens, ein kleiner Tipp für dich, wenn du selbst Charaktere entwickelst:

Deine Lehrlings-Übung (dauert 5 Minuten): Nimm eine deiner Figuren. Statt nur zu sagen „Sie ist mutig“, beschreibe drei konkrete Details an ihrer Kleidung oder ihrem Besitz, die diese Eigenschaft ohne Worte erzählen. Vielleicht ein alter, zerkratzter Kompass, den sie immer bei sich trägt? Oder eine kleine, selbst genähte Flickstelle an ihrer Jacke, die von einem vergangenen Kampf zeugt? So wie die Aufnäher auf Barleys Weste. Das macht einen Charakter sofort lebendig!

die beiden Elfenbrüder und sein Vater, der nur halbwegs zurückgebracht ist, Onward

Selbst der alte, klapprige Lieferwagen der Brüder, „Guinevere“, ist ein eigener Charakter. Jede Beule, jeder Kratzer, jeder Aufkleber wurde bewusst platziert. Das erinnert mich an meinen ersten Werkzeugkasten. Den hab ich von meinem Opa geerbt. Er war aus Metall, total verbeult und an einer Ecke mit Panzertape geflickt. Aber jede dieser Macken hatte eine Geschichte, und ich hätte ihn für nichts in der Welt gegen einen neuen, glänzenden Kasten getauscht. Genau dieses Gefühl vermittelt der Van. Er ist nicht nur ein Auto, er ist ein treuer Freund mit eigener Vergangenheit.

Die Werkstatt: Ein Blick auf die digitale Technik

Ein Film wie dieser entsteht natürlich nicht einfach so. Dahinter steckt eine riesige, digitale Werkstatt, in der Hunderte von Spezialisten wie in einer Manufaktur zusammenarbeiten. Das Ganze dauert Jahre und erfordert eine Präzision, die jeden Uhrmacher neidisch machen würde. Es fängt an wie bei jedem meiner Projekte: mit einer groben Skizze, hier Storyboards genannt.

Onward: Keine halbe Sachen kommt zur Leinwand am 6. März 2020
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Wenn die Planung steht, werden die Figuren und Objekte am Computer modelliert. Das ist quasi Bildhauerei, nur eben digital. Aber eine Figur ist erstmal nur eine starre Hülle. Damit sie sich bewegen kann, braucht sie ein „Rig“ – ein digitales Skelett mit Hunderten von Kontrollpunkten. Eine besondere Herausforderung war hier der Vater, der ja nur aus einem Paar Beinen besteht. Wie um alles in der Welt vermittelt man Emotionen nur mit einer Hose und Schuhen? Die Animatoren mussten eine komplett neue Körpersprache entwickeln. Die Art, wie die Beine tappen, stolpern oder freudig hüpfen, erzählt uns alles, was wir wissen müssen. Genial gelöst!

Kleiner Tipp für deine digitale Werkzeugkiste: Du denkst, das ist alles unbezahlbare Raketenwissenschaft? Falsch gedacht! Wenn du selbst mal in die 3D-Modellierung reinschnuppern willst, lade dir das Programm „Blender“ runter. Es ist komplett kostenlos und unglaublich mächtig. Zum Zeichnen von Storyboards oder Konzepten reicht oft schon „Krita“, ebenfalls umsonst. Die Magie ist heute für jeden zugänglich, der bereit ist, die Zeit zu investieren!

Animation, Licht und Textur: Der Feinschliff

Wenn das Skelett steht, hauchen die Animatoren den Figuren Leben ein, Bild für Bild. Eine Sisyphusarbeit, bei der für wenige Sekunden Film oft wochenlang gearbeitet wird. Danach kommt das Licht, und Licht ist alles. Es schafft Atmosphäre. Das warme, gemütliche Licht im Haus der Familie; das mystische Leuchten der Zaubersprüche; das kalte, künstliche Licht an der Tankstelle. Jede Lichtquelle ist bewusst gesetzt, um unsere Gefühle zu lenken.

Zum Schluss kommen die Texturen, damit die Oberflächen sich echt anfühlen. Der raue Stoff von Barleys Weste, der abgenutzte Lack des Vans, die staubige Straße. Dafür entwickeln die Profis komplexe digitale „Lacke“ und „Beizen“, sogenannte Shader, die simulieren, wie Licht von Materialien reflektiert wird. Das Ergebnis ist eine Welt, die man fast anfassen möchte.

Die unsichtbaren Werkstoffe: Ton und Musik

Ein schönes Möbelstück ist eine Sache. Aber erst der Klang einer schließenden Schublade, das satte „Klack“, macht die Qualität hörbar. Im Film ist der Ton mindestens genauso wichtig wie das Bild. Denk nur an den Klang von Barleys Van. Er röhrt nicht, er keucht und ächzt. Er klingt alt und unzuverlässig, aber irgendwie auch total liebenswert. Das Sounddesign gibt ihm eine Seele.

Auch die Musik ist ein entscheidender Werkstoff. Sie ist nicht nur Hintergrundgedudel, sondern der emotionale Leim des Films. Am Anfang klingt sie nach normaler Vorstadt, wird dann aber immer abenteuerlicher und mischt Fantasy-Klänge mit klassischem Rock, was perfekt zu Barley passt. In den leisen Momenten wird sie ganz zerbrechlich und zurückhaltend.

Und das ist ein Zeichen wahrer Meisterschaft: Zu wissen, wann man ein Werkzeug auch mal weglegen sollte. Ganz am Ende, in einem der emotionalsten Momente, setzt die Musik komplett aus. In dieser Stille liegt eine unglaubliche Kraft. Das ist wie in der Werkstatt: Manchmal ist das Wichtigste, was man tun kann, einen Schritt zurückzutreten und das Werk für sich selbst sprechen zu lassen.

Qualitätskontrolle: Typische Baufehler und was du daraus lernen kannst

Kein Projekt ist perfekt. Manchmal hat man einfach Pech. Der Film kam zu einer Zeit in die Kinos, als durch äußere Umstände kaum jemand hingehen konnte. Das beste Produkt der Welt nützt dir nichts, wenn das Timing nicht stimmt. Eine harte Lektion, die jeder kennt, der mal selbstständig war. Aber die Macher haben schnell reagiert und den Film auf Streaming-Diensten verfügbar gemacht – ein guter Plan B ist eben Gold wert.

Aus meiner Erfahrung gibt es ein paar typische Baufehler, die ich in fast jeder Werkstatt sehe – und die sich 1:1 auf kreative Projekte übertragen lassen:

  • Edles Holz, billiger Leim: Du hast eine geniale Grundidee (das Eichenholz), aber die Beziehungen zwischen deinen Charakteren sind schwach und tragen die Geschichte nicht (der billige Leim). Die ganze Konstruktion wird wackelig.
  • Zu viel Lack aufgetragen: Die ehrliche, raue Maserung deiner Geschichte ist kaum noch zu erkennen, weil du sie mit zu viel Action, Effekten oder komplizierten Wendungen überladen hast. Manchmal ist die einfache, wahre Oberfläche am schönsten.
  • Das falsche Werkzeug für den Job: Du versuchst, eine leise, emotionale Geschichte mit den lauten Werkzeugen eines Action-Krachers zu erzählen. Das passt einfach nicht und hinterlässt beim Publikum ein schiefes Gefühl.

Achte auf diese Fallstricke bei deinen eigenen Projekten! Ehrliche Selbstkritik ist das schärfste Werkzeug, das du besitzt.

Dein Bauplan zum Mitnehmen: Was am Ende wirklich zählt

Warum also diese ganze Analyse? Weil ich gutes Handwerk respektiere, egal ob es aus Holz oder aus Pixeln besteht. Und „Onward“ ist ein fantastisches Beispiel für saubere Arbeit, von der wir alle etwas lernen können. Es geht nicht darum, Millionenbudgets zu haben. Es geht um die Prinzipien dahinter.

Dein Bauplan für bessere Projekte:

  1. Ein ehrliches Fundament ist alles. Arbeite an etwas, das dir wirklich am Herzen liegt. Eine Geschichte, die auf einer echten Emotion basiert, hat immer mehr Kraft als etwas rein Ausgedachtes.
  2. Sei mutig bei der Materialwahl. Die Mischung aus moderner Vorstadt und alter Fantasy war ein Risiko, aber sie hat den Film einzigartig gemacht. Trau dich, Dinge zu kombinieren, die auf den ersten Blick nicht zusammenpassen.
  3. Details erzählen die wahre Geschichte. Schludere nicht bei den Kleinigkeiten. Statt zu schreiben: „Er war ein trauriger Elf“, versuche es im Stil dieses Films: „Seine Schultern hingen immer leicht nach vorne, als trüge er einen unsichtbaren Rucksack voller Sorgen.“ Siehst du den Unterschied?
  4. Sei realistisch mit deiner Zeit. Die Profis brauchen Jahre. Du auch? Nein. Ein gutes Charakterkonzept kannst du an einem Wochenende entwerfen. Für eine solide Story-Struktur solltest du dir aber vielleicht einen Monat Zeit geben, damit sie reifen kann. Setze dir machbare Ziele.

Am Ende geht es nicht um die Pixel auf der Leinwand, sondern um die Geschichte, die sie erzählen. Und die von „Onward“ ist eine verdammt wichtige. Sie handelt von Verlust, von Familie und hat eine wunderbar weise Botschaft: Manchmal suchen wir unser ganzes Leben nach einem Vorbild oder einem Mentor, nur um am Ende festzustellen, dass die Person, die uns wirklich stark gemacht hat, die ganze Zeit direkt neben uns stand.

Ian sucht seinen Vater, aber er findet seinen Bruder. Das ist eine reife und ehrliche Erkenntnis. Als alter Meister, der schon viele Lehrlinge hatte, sehe ich das immer wieder: Sie schauen zu den großen Vorbildern auf und übersehen dabei die Stärke, die sie selbst oder ihre Freunde längst besitzen. Dieser Film ist keine halbe Sache. Er ist rund, durchdacht und mit Herz und Können gemacht. Und das ist etwas, das man einfach anerkennen muss.

Dagmar Brocken

Dagmar Brocken hat Medienwissenschaft in Bonn absolviert und innerhalb fünf Jahren ist Teil von bekannten deutschen Nachrichtenteams.