Dein Buch ist ein Stuhl: Eine Anleitung für Autoren über Handwerk, Geld und die Tücken des Betriebs

Wussten Sie, dass der Booker Prize 2019 gleich zwei brillante Stimmen der Literatur krönt? Entdecken Sie, warum dieser Moment historisch ist!

von Michael von Adelhard

In meiner Werkstatt habe ich über die Jahre viele junge Talente begleitet, denen die Geschichten nur so aus den Fingern sprudelten. Ich bringe ihnen bei, wie man eine Story baut, so wie ein Tischler einen stabilen Stuhl zimmert. Jedes Teil muss passen, jede Verbindung muss halten. Vor einiger Zeit passierte in der Literaturwelt etwas, das viele nur als seltsame Nachricht abtaten. Ein prestigeträchtiger internationaler Literaturpreis wurde an zwei Autorinnen gleichzeitig vergeben – ein klarer Bruch mit den Regeln.

Für mich war das aber weit mehr als eine Schlagzeile. Es war perfektes Lehrmaterial. Ehrlich gesagt, legt dieser Vorfall alles offen: das reine Handwerk, die Politik hinter den Kulissen, die knallharten Gesetze des Marktes und die Gefahren, die auf jeden lauern, der schreibt.

Ich erinnere mich noch gut an die Diskussionen. Skandal! Ein längst überfälliges Signal! Aber für uns, die Handwerker des Wortes, ist die entscheidende Frage nicht, ob es richtig oder falsch war. Sondern: Was können wir daraus lernen? Lasst uns diese Entscheidung also mal wie ein altes Uhrwerk zerlegen, um zu verstehen, wie die einzelnen Rädchen ineinandergreifen.

margaret atwood und bernardine evaristo, eine schwarze frau mit lockigem haar und einem pinken sako und schwarzer krawatte

Das Fundament: Warum Profis ihre eigenen Regeln brechen

Die offizielle Begründung der Jury war simpel: Man konnte sich nicht entscheiden. Beide Bücher seien einfach zu gut gewesen, hieß es. Klingt edel, oder? Aber wer länger im Geschäft ist, weiß, dass solche Entscheidungen selten nur aus reiner Bewunderung für die Kunst entstehen. Dahinter steckt oft eine komplexe Statik aus Druck, Kompromissen und strategischem Denken.

Stell dir vor: Eine Jury ist kein neutrales Gremium. Da sitzen Menschen mit eigenen Vorlieben und Überzeugungen. Verlage üben dezenten Druck aus, die Medien schaffen Erwartungen. Damals stand die Frage der Repräsentation ganz groß im Raum. Es war an der Zeit, eine Autorin auszuzeichnen, deren Stimme und Perspektive lange überhört worden war. Ihre Wahl wäre ein starkes, absolut notwendiges Zeichen gewesen.

Gleichzeitig hatte man eine lebende Legende im Rennen. Eine Ikone. Ihre Fortsetzung eines weltberühmten dystopischen Klassikers war ein globales Medienereignis. Diese Autorin zu übergehen, wäre ebenfalls schwierig gewesen, fast schon eine Respektlosigkeit gegenüber ihrem Lebenswerk.

zwei alte frauen mit dem booker literaturpreis und mit lockigen haaren, margaret atwood und bernardine evaristo

Der Kompromiss als strategische Lösung

Was also tun? Die Jury tat, was Menschen in Zwickmühlen oft tun: Sie fand einen kreativen Kompromiss. Indem sie den Preis teilten, ehrten sie die literarische Ikone und setzten gleichzeitig das wichtige politische Zeichen, indem sie eine neue, bahnbrechende Stimme ins Rampenlicht hoben. Das war keine Schwäche, sondern eine strategische Meisterleistung.

Die Lektion für dich als Autor? Dein Buch steht niemals allein. Es wird immer im Kontext seiner Zeit und der aktuellen Debatten gelesen. Das ist eine wichtige, wenn auch manchmal frustrierende Erkenntnis.

Handwerkskunst Teil 1: Die Freiheit der Form

Reden wir endlich übers Machen. Was machte das eine Gewinnerbuch, diesen Roman über die verflochtenen Leben Dutzender Frauen, so besonders? Als ich es las, sah ich sofort die meisterhafte Konstruktion. Die Autorin hat etwas geschafft, was viele versuchen: Sie hat die Grenzen zwischen Prosa und Lyrik einfach aufgelöst. Manche nennen diesen Stil „Fusion-Fiction“, und das trifft es ziemlich gut.

Bernardine Evaristo

Die Sätze fließen ohne die gewohnten Haltepunkte. Es gibt kaum Punkte am Satzende, stattdessen Zeilenumbrüche wie in einem Gedicht. Das erzeugt einen ganz eigenen Rhythmus, fast wie Musik. Man liest das Buch nicht nur, man hört es. Das ist kein Gimmick, es dient dem Inhalt perfekt. Der fließende Stil verbindet die vielen einzelnen Stimmen zu einem großen Chor und spiegelt die Verbundenheit wider, die das Buch thematisiert.

Einem meiner Schützlinge würde ich aber sagen: Achtung! Ein so unkonventioneller Stil muss immer einen Zweck haben. Bei dieser Autorin funktioniert es, weil jede Entscheidung dem besseren Verständnis der Figuren dient. Es zwingt dich, aufmerksam zuzuhören. Das ist hohes Handwerk. Regeln sind da, um sie zu kennen. Aber ein Meister weiß, wann er sie brechen muss, um etwas Neues zu erschaffen.

Kleiner Tipp: Probier’s doch mal selbst aus! Nimm dir den letzten Absatz, den du geschrieben hast, und lies ihn laut vor. Jede Stelle, an der du stolperst oder die unrund klingt, markierst du mit einem Stift. Das ist dein erster Job für heute.

Margaret Atwood

Handwerkskunst Teil 2: Ein Denkmal erweitern

Ganz ehrlich, eine Fortsetzung zu einem Klassiker zu schreiben, ist die Hölle. Die Erwartungen sind gigantisch, die Fans beobachten dich mit Argusaugen. Man kann eigentlich nur verlieren. Die andere Gewinnerin hat mit ihrer Fortsetzung aber gezeigt, wie man diese Aufgabe meisterhaft löst.

Ihr Trick war brillant: Sie hat nicht versucht, die alte Geschichte direkt weiterzuerzählen. Stattdessen hat sie die bekannte, düstere Welt aus völlig neuen Perspektiven beleuchtet. Sie führt drei neue Erzählerinnen ein: eine junge Frau, die im System aufwächst, eine von außen, und – der genialste Schachzug – eine der verhasstesten Figuren des Originals, eine der Architektinnen des Schreckens.

Damit erreicht sie gleich mehrere Dinge:

  • Sie beantwortet alte Fragen, ohne das Mysterium des Originals zu zerstören.
  • Sie gibt einer abgrundtief bösen Figur eine komplexe, überraschende Hintergrundgeschichte. Das macht die Welt vielschichtiger.
  • Sie schlägt eine Brücke zur Gegenwart und spricht Themen wie Überwachung und Populismus noch direkter an.

Die Lektion hier ist glasklar: Wenn du eine bestehende Welt erweiterst, wiederhole nicht nur, was schon da war. Finde neue Türen. Zeig uns Ecken, die wir noch nicht kannten. Gib uns neue Augen, um das Bekannte anders zu sehen.

eine alte frtau mit weißem logigen haar, die autorin margaret atwood
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Die Statik des Marktes: Was ein Preis wirklich bedeutet

Ein großer Preis ist mehr als nur eine Ehre auf dem Kaminsims. Er ist ein Verkaufs-Turbo. Das Preisgeld ist dabei fast nebensächlich. Die wahre Währung ist Sichtbarkeit. Nach der Bekanntgabe schießen die Verkaufszahlen in die Höhe. Für das experimentellere Buch bedeutete der Preis den absoluten Durchbruch beim Massenpublikum. Ein echter „Preis-Effekt“.

Viele Leser sind von der Flut an Neuerscheinungen überfordert. Ein bekannter Preis ist da ein Gütesiegel, eine Orientierungshilfe. Plötzlich liegt das Buch in den Läden ganz vorn, es bekommt einen schicken Sticker, und die Übersetzungsrechte werden international zu Gold. Verlage in Deutschland oder Frankreich, die vorher vielleicht gezögert haben, greifen jetzt zu.

Und hier kommt die unsichtbare Arbeit im Hintergrund ins Spiel: Ein guter Literaturagent und ein starker Verlag. Das ist dein Team. Ein Buch zu schreiben ist die eine Hälfte der Arbeit. Die andere Hälfte ist, es in die Welt zu bringen. Ohne ein gutes Team bleibt selbst das beste Manuskript oft unbemerkt.

die autorin margaret atwood, eine alte frau mit lockigem haar, gewinnerin des booker literaturpreises

Werkstatt-Gespräch: Dein Weg zum fertigen Buch

Wenn junge Autoren zu mir kommen, sind ihre Köpfe voll. Aber sie wissen oft nicht, wie aus der Idee ein Produkt wird. Also, ran an die Werkbank.

Schritt 1: Das Rohmaterial. Die erste Fassung ist der rohe Holzklotz. Hau die Geschichte raus. Perfektionismus ist hier dein größter Feind. Schreib schnell, schreib schlecht, Hauptsache, du schreibst. Du brauchst Material, mit dem du arbeiten kannst.

Schritt 2: Das Bearbeiten. Das ist der wichtigste und oft schmerzhafteste Teil. Jetzt wird gesägt, geschliffen und poliert. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen. Ein Profi verbringt 80 % seiner Zeit mit dem Editieren. Mein Tipp: Leg das Manuskript für ein paar Wochen weg. Mit frischen Augen siehst du jeden Riss. Und wie gesagt: laut lesen!

Schau mal, das ist der Unterschied. Vorher: „Er war traurig über die Nachricht.“ Nachher: „Als er die Nachricht las, spürte er, wie ihm die Wärme aus dem Gesicht wich und sich ein kalter Knoten in seinem Magen bildete.“ Das ist Handwerk zum Anfassen!

Schritt 3: Das Feedback von außen. Such dir Testleser. Aber bitte nicht nur Mama oder den besten Freund, die sind zu nett. Such dir Leute, die viel lesen, oder tritt einer Schreibgruppe bei. Plattformen wie das „Autoren-Forum“ oder lokale Schreibwerkstätten sind Gold wert. Feedback von Kollegen ist unbezahlbar.

Schritt 4: Der Weg zum Verlag. Wenn dein Manuskript poliert ist, beginnt die Suche nach einem Agenten. Agenturen findest du über Branchenverzeichnisse oder eine einfache Online-Suche nach „Literaturagentur Deutschland“. Du brauchst ein gutes Anschreiben und ein überzeugendes Exposé. Und jetzt mal Butter bei die Fische: Was gehört da rein?

  • Die Anatomie eines Exposés: Normalerweise umfasst es 3-5 Seiten. Es enthält den Arbeitstitel, eine knackige Logline (die Story in einem Satz), kurze Charakterbeschreibungen der Hauptfiguren und eine detaillierte, aber spannende Zusammenfassung der kompletten Handlung – inklusive Ende! Zeig, dass du deine Geschichte im Griff hast.

Bereite dich auf Absagen vor. Sie gehören dazu. Mein Tipp: Leg eine „Absagen-Mappe“ an. Jede Absage ist ein Beweis, dass du es versuchst. Sieh es als Sport. Auch die ganz Großen haben mal klein angefangen.

Sicherheitshinweise: Die Realität des Autorenlebens

Der Beruf des Autors wird oft romantisiert. Die Realität kann aber verdammt hart sein. Deswegen gibt’s jetzt die obligatorische Sicherheitseinweisung, bevor du die Kreissäge anwirfst.

Finanzielle Unsicherheit: Nur die allerwenigsten können vom Schreiben leben. Ein typischer Vorschuss für einen Debütroman in Deutschland liegt oft nur zwischen 2.000 und 8.000 Euro. Davon musst du leben, während du schreibst. Später bekommst du Tantiemen, meist 5-8 % vom Netto-Ladenpreis eines Taschenbuchs. Rechne selbst aus, wie viele Bücher du verkaufen musst, um deine Miete zu zahlen. Die meisten Autoren haben einen Brotjob. Finanzielle Sorgen sind der Tod jeder Kreativität.

Mentale Belastung: Schreiben ist einsam. Dazu kommen Selbstzweifel und Absagen. Ein stabiles Netz aus Freunden oder anderen Autoren ist überlebenswichtig. Kümmere dich um deine mentale Gesundheit. Ein ausgebrannter Autor schreibt keine guten Bücher.

Rechtliche Fallstricke: Ein Verlagsvertrag ist ein juristisches Dokument. Unterschreib niemals etwas, das du nicht zu 100 % verstehst.
Gut zu wissen: Rote Flaggen im Vertrag!

  • Rechteübertragung: Achtung, wenn du pauschal alle Nebenrechte (Film, Hörbuch, Ausland) abtrittst, ohne dass dafür eine gesonderte Vergütung oder eine klare Regelung vorgesehen ist.
  • Laufzeit: Vorsicht bei unklar definierten oder „ewigen“ Vertragslaufzeiten. Deine Rechte sollten nach einer angemessenen Zeit an dich zurückfallen, wenn das Buch nicht mehr verlegt wird.
  • Manuskriptabnahme: Die Klauseln zur Abnahme des Manuskripts sollten fair und klar formuliert sein.

Im Zweifel lieber ein paar hundert Euro in einen auf Urheberrecht spezialisierten Anwalt investieren. Das kann dir später Tausende sparen.

Fazit des Meisters: Deine Geschichte zählt

Was bleibt also von dieser ungewöhnlichen Preisverleihung? Sie war ein Brennglas für unsere Branche.

Erstens: Das Handwerk ist und bleibt die absolute Grundlage. Ohne Qualität ist alles andere nichts.

Zweitens: Literatur ist immer Teil eines größeren Gesprächs. Dein Buch wird nicht im luftleeren Raum existieren.

Drittens: Erfolg ist eine Mischung aus Talent, verdammt harter Arbeit und einer Prise strategischem Geschick.

Vielleicht müssen wir uns von der Idee eines einzigen „besten“ Buches verabschieden. Vielleicht geht es in Zukunft mehr darum, die Vielfalt der Stimmen zu feiern. Für dich als Autor ist die Lektion klar: Lern dein Handwerk. Sei mutig. Und sei klug auf deinem Weg. Denn eine gute Geschichte zu erzählen, ist eines der schönsten, aber auch anspruchsvollsten Handwerke der Welt.

Michael von Adelhard

Michael von Adelhard ist 31 Jahre alt. Er arbeitet seit vielen Jahren als Journalist für einige der erfolgreichsten Nachrichten-Portale Deutschlands. Autor vieler Bücher und wissenschaftlicher Publikationen zum Thema «Einfluss sozialer Medien auf Jugendliche«. Schreibt über Themen wie Lifestyle, Umweltschutz, sowie Tech and Gadgets. In seiner Freizeit ist er häufig mit dem Fahrrad unterwegs – so schöpft er Inspiration für seine neuen Artikel.