Kino im Dornröschenschlaf: So weckst du es ohne teure Pannen wieder auf
Kinos sind mehr als nur Räume für Filme – sie sind ein wichtiger Teil unserer Kultur. Entdecke, wie das Coronavirus diese Welt verändert hat.
In einer Stadt, in der das Licht der Projektoren die Dunkelheit durchbricht, ist plötzlich alles still. Der Duft von Popcorn verweht im Wind, während die Schatten der Zuschauer in den leeren Reihen verweilen. Was passiert, wenn das cineastische Herz einer Gesellschaft plötzlich stillsteht? Die Antwort liegt in den unzähligen Geschichten, die in den Kinos warten, aber jetzt im Schatten des Virus gefangen sind.
Ich kann mich noch gut an eine Zeit erinnern, als die Anrufe plötzlich im Minutentakt kamen. Verunsicherte Kinobetreiber, mit denen ich seit Jahren arbeite, mussten ihre Türen von heute auf morgen schließen. Viele dachten damals: „Na gut, dann sperren wir halt ab und warten.“ Aber ganz ehrlich? Das ist ein Trugschluss, der richtig teuer werden kann. Ein Kino ist kein Gegenstand, den man wie eine Nachttischlampe ausknipst. Es ist ein lebendiger, atmender Organismus.
Inhaltsverzeichnis
Als Meister für Veranstaltungstechnik habe ich in den letzten zwei Jahrzehnten wohl hunderte Kinos von innen gesehen – vom winzigen Programmkino im alten Fachwerkhaus bis zum riesigen Multiplex. Ich habe die große Umstellung von den alten 35-Millimeter-Rollen auf die digitale Projektion miterlebt und unzähligen Azubis beigebracht: Unser Job findet im Dunkeln statt, damit der Zauber auf der Leinwand überhaupt erst entstehen kann. Und dieser Job hört nicht auf, nur weil keine Gäste mehr da sind. Im Gegenteil.

Dieser Beitrag soll keine Panik verbreiten. Er ist ein ehrlicher Blick hinter die Kulissen, direkt aus der Praxis. Ich zeige dir, was bei einem längeren Stillstand wirklich auf dem Spiel steht – bei der Technik, der Sicherheit und den Kosten, die im Verborgenen lauern.
Der unsichtbare Feind: Warum „Aus“ nicht wirklich „Aus“ bedeutet
Der häufigste Denkfehler ist, dass ein geschlossenes Kino keine Kosten verursacht. Hauptschalter umlegen, fertig. Leider spielt die Physik da nicht mit. Ein Gebäude und seine sensible Technik brauchen ein Minimum an Zuwendung, um nicht kaputtzugehen. Das ist kein Luxus, sondern pure Notwendigkeit, um massive Folgeschäden zu vermeiden.
Heizung, Lüftung, Klima: Der Kampf gegen Schimmel und Moder
Die größte Gefahr in einem leeren Saal? Feuchtigkeit. Normalerweise bringen Besucher Wärme und geben Feuchtigkeit ab. Fällt das weg, kühlt das Gebäude aus, besonders in den kühleren Monaten. Kalte Luft kann weniger Feuchtigkeit halten, und die kondensiert dann an Wänden, Polsterstühlen und Teppichen. Das Ergebnis ist Schimmel. Und der modrige Geruch, der einem dann bei der Wiedereröffnung entgegenschlägt, ist noch das geringste Problem. Im schlimmsten Fall steht eine komplette Sanierung des Saals an.

Aus meiner Erfahrung: Haltet die Heizung auf einer Grundtemperatur von etwa 15 bis 16 Grad. Noch wichtiger ist aber die Lüftung. Die Luft muss zirkulieren! Moderne Anlagen haben oft einen Sparmodus für minimale Luftumwälzung. Ziel ist es, die relative Luftfeuchtigkeit konstant zwischen 40 und 60 Prozent zu halten. Ein einfaches digitales Hygrometer für 15 € aus dem Baumarkt oder online hilft dir dabei, das zu überwachen.
Kleiner Tipp: Zeigt das Hygrometer über 65 % an? Dann lass die Lüftung mal für zwei, drei Stunden auf voller Stufe laufen. Hartnäckiger Fall? Ein mobiler Luftentfeuchter (ab ca. 100 €) kann eine Rettung sein und ist viel billiger als neue Kinosessel.
Elektronik & Projektoren: Die sensiblen Herzen des Kinos
Die Vorstellung, man könne einen modernen Digitalprojektor einfach monatelang vom Netz nehmen, ist fatal. Im Inneren steckt empfindliche Technik. Mainboards haben kleine Pufferbatterien, die sich entladen. Bestimmte Bauteile wie Kondensatoren können bei langer Inaktivität kaputtgehen. Startet man das System nach Monaten wieder, sind Fehler vorprogrammiert.

Ich empfehle dringend, die Systeme entweder in einem offiziellen Standby-Modus zu lassen oder sie kontrolliert einmal im Monat hoch- und wieder herunterzufahren. Block dir dafür am besten jeden ersten Montag im Monat zwei Stunden im Kalender. Das hält die internen Komponenten fit und die Software stabil.
Die ultimative Stilllegungs-Checkliste: Dein Fahrplan zur Rettung
Eine Stilllegung ist kein Akt der Verzweiflung, sondern ein geplanter Prozess. Mit einer sauberen Checkliste verhinderst du Probleme, bevor sie überhaupt entstehen. Das ist die Professionalität, die den Unterschied macht.
Im Projektionsraum (Das Gehirn)
- Digitalprojektor: Immer über die Software-Routine herunterfahren, niemals einfach den Stecker ziehen! Notiere die Betriebsstunden der Lampe (besonders bei Xenon-Lampen). Eine Lampe, die kurz vor dem Ende ihrer Lebensdauer steht, kann bei der nächsten Zündung explodieren. Der Schaden ist immens. Und: Deck die Projektionslinse mit der Schutzkappe ab, um Staub zu vermeiden, der das Bild später trübt.
- Medienserver (TMS): Mach ein VOLLSTÄNDIGES Backup. Nicht nur die Filme, sondern auch alle Konfigurationen, Playlists und die wichtigen Schlüsseldateien (KDMs). Speicher das Ganze auf einer externen Festplatte (eine mit 1-2 TB kostet um die 80 €). Prüfe auch den Status der Festplatten im RAID-System.
- Soundsystem: Verstärker kontrolliert und in der richtigen Reihenfolge abschalten, um Spannungsspitzen zu vermeiden. Ein kurzer Blick auf alle Steckverbindungen kann nicht schaden. Ich hab schon erlebt, wie Korrosion an einem einzigen Stecker einen ganzen Soundkanal lahmgelegt hat. Ein Spritzer Kontaktspray (ca. 10 €) wirkt hier Wunder.

Im Saal & Foyer (Der Körper)
- Sitze und Teppiche: Eine absolute Grundreinigung vor der Schließung ist Pflicht. Hier geht es nicht um Optik, sondern darum, organische Reste zu entfernen. Popcornkrümel, Colaflecken, Schokoreste – das ist ein Festmahl für Schimmel, Bakterien und Ungeziefer.
- Leinwand: Inspiziere die Leinwand auf kleine Risse oder Löcher. Wichtig: Niemals mit bloßen Händen anfassen! Das Hautfett hinterlässt Flecken, die du nie wieder rausbekommst.
- Sicherheitsbeleuchtung: Wird oft übersehen, ist aber gesetzlich vorgeschrieben. Die Notbeleuchtung hängt an Akkus, und diese müssen gewartet und geladen werden. Eine lange Stromunterbrechung kann die Akkus tiefentladen und zerstören. Regelmäßige Kontrollen sind Pflicht, das wird jeder Prüfer als Erstes checken.
Die unsichtbaren Kosten: Was der Stillstand wirklich frisst
Klar, die Einnahmen fallen auf null. Aber die Ausgaben laufen munter weiter. Viele Betreiber sind schockiert, welche Verträge und Pflichten auch bei geschlossenen Türen weiterlaufen.
Laufende Verträge & Gebühren
- Miete & Nebenkosten: Der größte Brocken. Hier hilft oft nur das direkte Gespräch mit dem Vermieter.
- Software-Lizenzen: Dein Kassensystem, die Warenwirtschaft, die Gebäudesteuerung – vieles läuft als Abo und die Gebühren laufen weiter.
- Wartungsverträge: Die Verträge für die Brandmeldeanlage, Aufzüge oder den Projektor müssen eingehalten werden, schon allein um den Versicherungsschutz nicht zu gefährden.
- GEMA: Selbst wenn keine Musik im Foyer läuft, können Gebühren anfallen. Ein Anruf bei der GEMA kann hier Klarheit bringen und vielleicht eine Aussetzung ermöglichen.
- Versicherungen: Gebäude-, Inhalts- und Haftpflichtversicherung müssen absolut weiterlaufen. Ein Wasserschaden oder Brand kann auch im leeren Kino passieren.
Die Notfallrücklage: Realistisch kalkuliert
Eine Krise hat uns gelehrt: Ohne Notfallrücklage geht es nicht. Aber wie hoch muss die sein? Es reicht nicht, nur die Fixkosten zu addieren.
Eine ehrliche Rechnung umfasst:
- Monatliche Fixkosten: Miete, Gehälter, Versicherungen, Lizenzen, Leasingraten.
- Monatliche Standby-Kosten: Strom für Grundheizung/Lüftung (rechne mal mit 150-250 € für ein kleines Kino), Kosten für Kontrollgänge.
- Einmalige Wiederanlaufkosten: Geld für eine Grundreinigung, technische Wartung, Kalibrierung der gesamten Anlage und ganz wichtig: Marketing, um die Leute wieder ins Kino zu locken.
Ganz grob über den Daumen gepeilt sollte ein kleines Programmkino mit zwei Sälen mindestens 30.000 bis 50.000 Euro als Puffer haben. Bei einem Multiplex reden wir schnell von sechsstelligen Summen. Das ist der Unterschied zwischen einer kontrollierten Pause und dem endgültigen Aus.
Der Behörden-Dschungel und die Wiedereröffnung
In Deutschland ist vieles Ländersache. Das betrifft auch die technischen Vorschriften. Die Muster-Versammlungsstättenverordnung (MVStättV) ist nur eine Vorlage. Ob du in Bayern, NRW oder an der Küste bist – die lokalen Regeln können abweichen. Mein Rat: Such einfach online nach „Versammlungsstättenverordnung“ plus dem Namen deines Bundeslandes. Das Wissen erspart dir Ärger.
Der Kaltstart: Dein Erste-Hilfe-Kit für die Technik
Die Wiedereröffnung ist mehr als nur den Schlüssel umzudrehen. Plane mindestens drei bis fünf volle Tage nur für die Technik ein. Und sei gewarnt: Irgendwas geht immer schief.
Fahre die Systeme kontrolliert hoch: Erst Hauptverteilung, dann Unterverteilungen, dann Lüftung, Licht und erst ganz am Schluss die Projektionstechnik. Nach einer langen Pause muss alles neu kalibriert werden – Bild und Ton. Profi-Tipp: Bevor du irgendetwas verstellst, mach ein Foto von den alten Einstellungen oder schreib sie dir auf! Nichts ist ärgerlicher, als etwas zu „verschlimmbessern“.
Hier sind die häufigsten Probleme und ihre Quick-Fixes:
- Problem: Der Server oder die Kasse bootet nicht.
Quick-Fix: Oft ist nur die kleine CMOS-Pufferbatterie auf dem Mainboard leer. Das ist meist eine CR2032-Knopfzelle für 2 €. Achtung: Vor dem Tausch unbedingt den Netzstecker ziehen! - Problem: Ein leises Brummen im Ton.
Quick-Fix: Das riecht nach einer Masseschleife. Überprüfe, ob alle Audiogeräte an derselben Steckdosenleiste hängen. Manchmal hilft es schon, einen Stecker andersherum einzustecken. - Problem: Das Bild flackert leicht.
Quick-Fix: Bevor du den teuren Techniker rufst, ziehe alle Bildkabel (HDMI, SDI) am Projektor und am Server ab und stecke sie wieder fest ein. Manchmal ist es nur ein Wackelkontakt.
Ich geb’s zu: Bei einem Kino habe ich mal vergessen, die Akkus der unterbrechungsfreien Stromversorgung (USV) zu checken. Bei der Wiedereröffnung war das ganze Kassensystem tot. Hat uns einen halben Tag und unzählige Nerven gekostet. Aus solchen Fehlern lernt man.
Sicherheit geht vor – Ein letztes, wichtiges Wort
Ein Kino zu betreiben, bedeutet eine riesige Verantwortung. Diese Verantwortung pausiert nie.
Achtung, Lebensgefahr: Arbeiten an elektrischen Anlagen, besonders im Hochspannungsbereich von Xenon-Projektoren, dürfen NUR von ausgebildeten Elektrofachkräften durchgeführt werden. Das Gleiche gilt für die Wartung von Brandmeldeanlagen. Versuch hier niemals, selbst zu sparen. Im Ernstfall geht es um Menschenleben und deinen Versicherungsschutz.
Ein Stillstand ist eine immense Herausforderung. Aber mit guter Planung, technischem Verstand und einem ehrlichen Blick auf die Zahlen lässt er sich meistern. Die Magie des Kinos hat schon so manche Krise überlebt. Und das wird sie auch weiterhin – dank der Menschen hinter den Kulissen, die mit Leidenschaft dafür sorgen, dass der Vorhang wieder aufgeht.