Seehamer See: Das 2-Meter-Geheimnis unter der Oberfläche

Ich erinnere mich noch genau an meinen ersten Besuch am Seehamer See, einem Juwel, das sich nur einen Katzensprung südlich von München an die A8 schmiegt. Ich stand am Ufer in Großseeham, das Wasser schien sich meterweit zurückgezogen zu haben und legte einen breiten, schlammigen Streifen frei. Mein erster Gedanke: „Ein trockener Sommer.“ Erst später, im Gespräch mit einem Einheimischen beim Seewirt, verstand ich, dass ich Zeuge eines faszinierenden, unsichtbaren Zyklus wurde, den die meisten Besucher völlig übersehen.
Dieses bayerische Naturparadies verbirgt nämlich ein gewaltiges Geheimnis direkt unter seiner glitzernden Oberfläche: ein über 100 Jahre altes Pumpspeicherkraftwerk. Diese technische Meisterleistung lässt den Wasserspiegel des Sees um bis zu 2 Meter schwanken – ein ständiges Ein- und Ausatmen, das Ihren Besuch dramatisch beeinflusst, ob Sie es wissen oder nicht.
Der unsichtbare Rhythmus des Sees
Die meisten kommen hierher, stellen ihr Auto auf dem (meist kostenpflichtigen, ca. 3-5 € für ein Tagesticket) Parkplatz ab, breiten ihre Decke aus und gehen davon aus, dass der See einfach nur ein See ist. Doch dieser Irrtum führt oft zu kleinen Enttäuschungen, ohne dass man den wahren Grund kennt:
- Sie planen einen Badetag, doch das Wasser ist so weit zurückgewichen, dass der Einstieg über einen matschigen Grund führt.
- Sie wollen mit dem Stand-Up-Paddle loslegen, müssen es aber erst 50 Meter über den feuchten Seeboden tragen.
- Oder umgekehrt: Sie möchten die geheimnisvolle Burgstallinsel zu Fuß erkunden, doch das Wasser steht so hoch, dass sie unerreichbar bleibt.
Ich habe diesen „Fehler“ selbst gemacht. Mein Plan war es, die Insel zu umrunden, aber bei Hochwasser war das Ufer schmal und an vielen Stellen unpassierbar. Hätte ich das Prinzip des Sees gekannt, hätte ich meinen Ausflug anders geplant.
Ein Kraftwerk als Herz des Sees

Was also steckt dahinter? Der Seehamer See ist das Oberwasserbecken für die nahegelegenen Leitzachwerke. Wenn in München und Umgebung die Lichter angehen und der Strombedarf steigt, schießt Wasser aus dem See durch unterirdische Stollen 128 Meter in die Tiefe, treibt Turbinen an und erzeugt Strom für rund 58.000 Haushalte. In Zeiten niedrigen Verbrauchs, oft nachts, wird mit überschüssigem Strom Wasser aus der Leitzach wieder in den See zurückgepumpt. Ein ewiger Kreislauf, der direkt unter den Füßen der Badegäste stattfindet.
Diese technische Meisterleistung hat einen ganz praktischen Einfluss auf Ihr Erlebnis. Die Schwankung von zwei Metern ist gewaltig und verändert den Charakter des Sees komplett.
So erleben Sie den See bei Ebbe & Flut

Anstatt sich vom Wasserstand überraschen zu lassen, können Sie ihn gezielt für sich nutzen. Der See hat quasi zwei Gesichter, und beide sind auf ihre Art wunderschön.
Bei niedrigem Wasserstand: Das Abenteuer ruft
Wenn das Wasser niedrig steht, fühlt es sich an wie ein kleines bayerisches Wattenmeer. Das ist die perfekte Zeit für Entdecker. Die sonst unzugängliche Burgstallinsel wird zur Halbinsel. Mein Tipp: Ziehen Sie festes Schuhwerk oder Gummistiefel an. Der Weg dorthin kann schlammig sein, aber die Belohnung ist großartig. Sie können die Überreste der alten Burg der Grafen von Falkenstein erkunden und die besondere Stille dieses geschützten Naturparadieses genießen. Es ist ein magischer Ort, an dem man spürt, wie Geschichte und Natur verschmelzen. Auch für Fotografen ist diese Zeit ideal, da die freigelegten Wurzeln und die weiten Uferzonen einzigartige Motive bieten.
Bei hohem Wasserstand: Das perfekte Badevergnügen
Steht das Wasser hoch, zeigt sich der See von seiner klassischen Seite. Die Wiesen reichen direkt bis ans klare Wasser und die Bedingungen sind ideal zum Schwimmen und für Wassersport. Die beliebteste Badestelle befindet sich in Großseeham, direkt am Campingplatz. Hier gibt es einen Kiosk für das obligatorische Eis oder eine kühle Halbe. Einen offiziellen SUP- oder Bootsverleih gibt es nicht, was den See angenehm unaufgeregt hält. Wenn Sie also ein eigenes Board haben, ist jetzt die Zeit, es zu Wasser zu lassen. Das Wasser ist dann tief genug und man kann herrlich über den See paddeln und die Aussicht auf die Voralpen genießen.
Praktische Tipps für Ihren Besuch
Um den Seehamer See wirklich zu erleben, sollten Sie Ihren Besuch ein wenig planen. Der genaue Wasserstand wird leider nicht öffentlich kommuniziert, es ist Teil des Geheimnisses. Aber mit etwas Erfahrung kann man es erahnen oder einfach das Glück entscheiden lassen.
Mein Rat: Seien Sie flexibel. Wenn Sie zum Baden kommen und das Wasser ist niedrig, packen Sie die Badesachen weg und machen Sie stattdessen eine Entdeckungstour zur Insel. Wenn Sie die Insel erkunden wollen und das Wasser steht hoch, genießen Sie einen entspannten Tag am Ufer.
Für eine Stärkung kann ich den Gasthof „Seewirt“ in Kleinseeham wärmstens empfehlen. Der Biergarten bietet einen traumhaften Blick über den See. Hier sitzen Sie neben Einheimischen und genießen bayerische Küche zu fairen Preisen (ein Hauptgericht kostet um die 15-20 €, ein Bier um die 4 €). Das ist der perfekte Ort, um den Tag ausklingen zu lassen.
Mehr als nur Technik: Ein Natur- und Geschichtsort
Der Seehamer See ist weit mehr als nur ein technisches Wunderwerk. Er ist ein ausgewiesenes Landschaftsschutzgebiet. Besonders wichtig ist die Winterruhe von November bis April. In dieser Zeit gehört der See ganz der Natur. Die Vögel finden hier wichtige Rückzugsorte. Ein Spaziergang in dieser stillen Zeit hat einen ganz besonderen Reiz – die Luft ist klar, die Menschen sind wenige und die Landschaft strahlt eine unglaubliche Ruhe aus.
Indem Sie den verborgenen Rhythmus des Seehamer Sees verstehen, wird Ihr Besuch zu einem völlig neuen Erlebnis. Sie werden nicht mehr nur an einem See sitzen, sondern die faszinierende Symbiose aus Natur, Technik und Geschichte spüren, die diesen Ort so einzigartig im bayerischen Alpenvorland macht. Nehmen Sie sich die Zeit, beide Gesichter des Sees kennenzulernen – es lohnt sich.