Namen in Rot? Ein Aberglaube warnt vor großem Unglück

Haben Sie jemals einen Stift zur Hand genommen, um einen Namen zu notieren, und dabei kurz über die Farbe der Tinte nachgedacht? Für die meisten Menschen in Deutschland ist das eine triviale Entscheidung, oft diktiert von dem, was gerade greifbar ist. Doch in anderen Teilen der Welt kann diese simple Handlung eine tiefe, oft unbeabsichtigte Botschaft senden. In Südkorea und Japan etwa ist die Farbe Rot für Namen von Lebenden tabu – ein alter Aberglaube, der auch im 21. Jahrhundert noch eine erstaunliche Kraft besitzt und als düsteres Omen gilt.
Trotz unseres digitalen Zeitalters, in dem Tastaturen und Touchscreens dominieren, haben handschriftliche Notizen und Unterschriften ihre Bedeutung nicht verloren. Sie besiegeln Verträge, personalisieren Grußkarten und halten flüchtige Gedanken fest. Genau hier, an der Schnittstelle zwischen Tradition und Moderne, entfaltet sich die kulturelle Brisanz der roten Tinte. Der koreanische Volksglaube warnt eindringlich davor, den Namen einer lebenden Person in Rot zu schreiben. Der Grund dafür ist tief in der Geschichte und dem Umgang mit Leben und Tod verwurzelt.
Die Farbe des Blutes und der Vergänglichkeit
Die Assoziation von Rot mit Unglück und Tod ist kein Zufall. Historisch wurde rote Tinte in Korea verwendet, um die Namen der Verstorbenen in Familienregistern und auf Grabsteinen zu vermerken. Ein Name, der zu Lebzeiten in Schwarz eingraviert wurde, erhielt nach dem Tod seine rote Färbung. Einen lebenden Menschen namentlich in Rot zu erfassen, kam daher symbolisch dem Wunsch gleich, diese Person möge sterben oder ihr stehe ein großes Unglück bevor. Es ist eine Geste, die als extremer Akt der Respektlosigkeit oder gar als Fluch verstanden werden kann.
Diese Symbolik hat auch kriegerische Wurzeln. Vor Jahrhunderten sollen Samurai in Japan Briefe mit roter Tinte verfasst haben, wenn sie einen Gegner zum Duell auf Leben und Tod herausforderten. Die Farbe stand für das Blut, das vergossen werden sollte. Auch im bürokratischen Alltag hat sich eine klare Trennung etabliert: Offizielle Dokumente werden mit schwarzer oder blauer Tinte unterzeichnet, während Korrekturen oder Anmerkungen oft in Rot erfolgen – was den Namen einer Person in diesem Kontext als „fehlerhaft“ oder „zu korrigieren“ markieren würde.
In einer globalisierten Arbeitswelt kann diese kulturelle Nuance zu erheblichen Missverständnissen führen. Stellen Sie sich einen deutschen Manager vor, der in einer Besprechung mit koreanischen Geschäftspartnern wohlmeinend einen Namen auf einer Liste rot einkreist, um ihn hervorzuheben. Was hierzulande als Zeichen der Priorisierung gilt, könnte in Seoul oder Tokio als schwere Beleidigung aufgefasst werden, die das Vertrauensverhältnis nachhaltig beschädigt. Große international agierende Konzerne wie Siemens oder Hyundai schulen ihre Mitarbeiter daher gezielt auf solche interkulturellen Feinheiten, denn im globalen Handel kann der Erfolg von solchem Wissen abhängen.
Rot: Eine Farbe, zwei Welten

Die negative Konnotation der roten Farbe ist jedoch keineswegs universell, was das Thema umso faszinierender macht. Tatsächlich steht sie oft für das genaue Gegenteil. In der benachbarten chinesischen Kultur ist Rot die dominierende Farbe für Glück, Wohlstand und Freude. Rote Umschläge mit Geldgeschenken zum Neujahrsfest, rote Lampions und traditionelle rote Hochzeitskleider zeugen von ihrer durchweg positiven Bedeutung. Hier symbolisiert Rot Lebenskraft und soll böse Geister vertreiben.
Auch im westlichen Kulturkreis ist die Symbolik ambivalent, aber selten so eindeutig negativ wie im koreanischen Kontext. Rot steht für Liebe und Leidenschaft, man denke nur an rote Rosen zum Valentinstag. Gleichzeitig ist es eine Warnfarbe im Straßenverkehr und signalisiert Gefahr. Doch der Gedanke, dass das Schreiben eines Namens in Rot Unglück bringen könnte, ist hierzulande praktisch inexistent.
Dieser Aberglaube ist ein perfektes Beispiel dafür, wie die südkoreanische Kultur im Zuge der „Hallyu“, der koreanischen Welle, weltweit an Einfluss gewinnt. Fans von K-Pop, K-Dramas und Filmen wie dem Oscar-prämierten „Parasite“ stoßen immer wieder auf solche kulturellen Codes. In manchen koreanischen Horrorfilmen ist die rote Tinte ein wiederkehrendes Motiv, um eine Todesliste oder eine übernatürliche Bedrohung zu visualisieren. Durch die Popkultur verbreitet sich das Wissen um diese Tabus und fördert ein tieferes Verständnis für eine faszinierende Gesellschaft, die hochmodern und gleichzeitig tief in ihren Traditionen verwurzelt ist.
Ein Aberglaube im digitalen Zeitalter

Doch was passiert mit einer solchen Regel in einer Welt von E-Mails, Chats und digitalen Dokumenten? Gilt das Tabu auch, wenn ein Name in einer WhatsApp-Nachricht oder einer Excel-Tabelle rot markiert wird? Hier verschwimmen die Grenzen. Ältere Generationen in Korea mögen auch hier noch zusammenzucken, während jüngere, digital aufgewachsene Menschen dies oft lockerer sehen. Dennoch bleibt eine Restunsicherheit. Im Zweifel ist es eine Frage des Respekts, auf die rote Farbe zu verzichten, besonders im formellen oder beruflichen Kontakt.
Letztlich ist die Geschichte der roten Tinte mehr als nur eine skurrile Anekdote. Sie erinnert uns daran, dass Logik und Effizienz nicht die einzigen Maßstäbe menschlicher Interaktion sind. Kulturen entwickeln über Jahrhunderte komplexe symbolische Sprachen, die nonverbal kommunizieren. Sie zu ignorieren, kann zu Missverständnissen führen. Sie zu verstehen, öffnet Türen – nicht nur im Geschäftsleben, sondern auch im menschlichen Miteinander. Es ist der Beweis, dass selbst im Zeitalter der künstlichen Intelligenz althergebrachte Überzeugungen unser Verhalten noch immer maßgeblich prägen.