Ihr Müll enthält Gold: Der 22-Karat-Schatz im Elektroschrott

In den Schubladen und Kellern deutscher Haushalte schlummert ein verborgener Schatz. Alte Smartphones, ausgediente Laptops und kaputte Fernseher – für die meisten nur nutzloser Elektroschrott. Doch was fast jeder achtlos entsorgt, rückt nun in den Fokus einer wissenschaftlichen Sensation, die das Potenzial hat, nicht nur das Recycling, sondern auch die globale Goldgewinnung neu zu definieren. Forscher haben einen Weg gefunden, aus diesem Abfall hochreines, 22-karätiges Gold zu extrahieren. Und das auf eine Weise, die erstaunlich einfach und umweltfreundlich ist.
Die Entdeckung, die aus den Laboren der renommierten ETH Zürich stammt, ist mehr als nur ein cleverer Trick. Sie ist eine mögliche Antwort auf eine der drängendsten Fragen unserer Zeit: Wie gehen wir mit den wachsenden Bergen an Elektronikmüll um, die unsere digitalisierte Welt produziert? Allein im Jahr 2022 fielen weltweit fast 62 Millionen Tonnen Elektroschrott an – eine Menge, die schwerer ist als alle kommerziellen Flugzeuge, die je gebaut wurden. In Deutschland sind es jährlich über 20 Kilogramm pro Kopf. Dieser Schrott ist eine tickende Zeitbombe aus giftigen Substanzen, aber eben auch eine urbane Mine voller wertvoller Rohstoffe.
Vom Milchabfall zum Goldmagneten
Das Team um Professor Raffaele Mezzenga an der ETH Zürich hat einen verblüffenden Ansatz entwickelt. Der Schlüssel liegt nicht in aggressiven Chemikalien, sondern in einem Nebenprodukt der Käseherstellung: Molke. Die Forscher verarbeiteten Molkenproteine unter Hitze und Säure zu einem feinen Gelfaden, der anschließend getrocknet einen leichten, porösen Schwamm ergibt. Dieser Proteinschwamm entpuppt sich als wahrer Goldmagnet.
Der Prozess ist elegant in seiner Einfachheit: Die Metallteile aus alten Leiterplatten werden in einem Säurebad aufgelöst, sodass die verschiedenen Metalle als Ionen in der Lösung schweben. Taucht man nun den Proteinschwamm in diese Flüssigkeit, saugt er selektiv und mit erstaunlicher Effizienz fast ausschließlich die Gold-Ionen auf. „Aus dem Metall von 20 alten Computer-Leiterplatten konnten wir ein 450 Milligramm schweres Nugget mit 22 Karat Reinheit gewinnen“, erklärt Mezzenga. Der Wert dieses Goldes übersteigt die Kosten für den gesamten Prozess um das Fünfzigfache.
Diese Methode umgeht die hochgiftigen und umweltschädlichen Verfahren, die bisher im Recycling und im traditionellen Bergbau dominieren. Dort wird oft Zyanid eingesetzt, eine Substanz, die ganze Ökosysteme zerstören kann. Der Schweizer Ansatz hingegen ist nicht nur sauber, sondern fügt sich perfekt in die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft ein: Ein Abfallprodukt der Lebensmittelindustrie wird genutzt, um ein wertvolles Material aus einem anderen Abfallstrom zu gewinnen.
Ein globales Wettrennen um sauberes Gold

Die Zürcher Entdeckung steht nicht allein. Weltweit suchen Forscher nach Alternativen zur toxischen Goldgewinnung. An der Flinders University in Australien etwa hat ein Team eine Methode entwickelt, bei der Zyanid durch Trichlorisocyanursäure (TCCA) ersetzt wird – eine Verbindung, die man sonst aus der Pool-Desinfektion kennt. Auch dieser Ansatz verspricht eine umweltfreundlichere und sicherere Extraktion.
Dieses wissenschaftliche Wettrennen zeigt einen tiefgreifenden Wandel im Denken. Es geht nicht mehr nur darum, Rohstoffe aus der Erde zu holen, sondern sie intelligent aus dem bereits Vorhandenen zurückzugewinnen. Für Industrienationen wie Deutschland, die rohstoffarm, aber reich an Technologie und Abfall sind, ist „Urban Mining“ längst kein Nischenkonzept mehr, sondern eine strategische Notwendigkeit. Es reduziert die Abhängigkeit von globalen Lieferketten und politisch instabilen Förderländern und stärkt die eigene wirtschaftliche Resilienz.
Die geopolitische Dimension ist nicht zu unterschätzen. Ein Großteil des weltweit geförderten Goldes stammt aus Minen, die mit schweren Menschenrechtsverletzungen und katastrophalen Umweltzerstörungen in Verbindung gebracht werden. Eine effiziente, saubere Recycling-Technologie könnte die Machtdynamik auf dem globalen Rohstoffmarkt verschieben. Profitieren würden jene Länder, die in Innovation und Kreislaufwirtschaft investieren, während traditionelle Bergbaunationen unter Druck geraten könnten.
Die Hürden vor der Gold-Revolution

Trotz des enormen Potenzials bleiben wichtige Fragen offen. Die größte Herausforderung ist die Skalierbarkeit. Lässt sich ein Verfahren, das im Labor brillant funktioniert, auch im industriellen Maßstab wirtschaftlich betreiben? Die Logistik des Sammelns, Sortierens und Aufbereitens von Millionen Tonnen Elektroschrott ist komplex und kostenintensiv. Bisher landet ein Großteil des deutschen Elektroschrotts immer noch nicht im fachgerechten Recycling, sondern verschwindet auf illegalen Wegen oder wird exportiert.
Zudem ist Gold nur eines von vielen wertvollen Metallen in einem Smartphone. Platin, Palladium, Kupfer und seltene Erden sind ebenfalls enthalten und für die Industrie von entscheidender Bedeutung. Eine umfassende Lösung muss daher nicht nur Gold, sondern ein ganzes Spektrum an Materialien effizient zurückgewinnen können.
Dennoch markiert die Entdeckung aus Zürich einen Wendepunkt. Sie beweist, dass Lösungen für unsere größten Umweltprobleme oft an unerwarteten Orten zu finden sind – in diesem Fall im Abfallbehälter der Lebensmittelindustrie. Die Vorstellung, dass aus alter Molke ein Schwamm entsteht, der das Gold aus unseren alten Handys fischt, ist mehr als nur eine faszinierende Anekdote. Es ist ein kraftvolles Symbol für eine Zukunft, in der wir Abfall nicht mehr als Ende, sondern als Anfang eines neuen Wertschöpfungszyklus begreifen.