Studie enthüllt: Pinguin-Kot bildet Wolken in der Antarktis

In der reinen, fast unberührten Luft der Antarktis ist die Entstehung von Wolken ein fragiles Phänomen. Es benötigt mehr als nur Wasserdampf; es braucht einen Anker, einen sogenannten Kondensationskern, an dem sich Feuchtigkeit sammeln kann. Während in anderen Teilen der Welt Staub, Pollen oder Industrieabgase diese Rolle übernehmen, rätselten Forscher lange über die treibende Kraft in der saubersten Atmosphäre der Erde. Eine Studie in Communications Earth & Environment liefert nun eine ebenso verblüffende wie tiefgründige Antwort: Der Kot von Seevögeln, insbesondere von Pinguinen, spielt eine entscheidende Rolle in diesem Prozess.
Die ursprüngliche Annahme, dass die Natur hier gänzlich ohne tierische Mithilfe agiert, wurde durch die Arbeit eines Teams um Matthew Boyer widerlegt. Die Wissenschaftler schlugen ihr Lager nahe der argentinischen Marambio-Station auf der Seymour-Insel auf, einem strategischen Punkt in unmittelbarer Nähe zu einer riesigen Pinguinkolonie. Über den südlichen Sommer sammelten sie akribisch Luftproben und machten eine bemerkenswerte Entdeckung. Immer wenn der Wind aus Richtung der Kolonie mit ihren rund 60.000 Pinguinen wehte, schnellte die Konzentration von Ammoniak in der Luft auf Werte, die in dieser Region zuvor nie gemessen wurden.
Dieses Ammoniak ist ein direktes Nebenprodukt der pinguinischen Verdauung. Die Tiere ernähren sich hauptsächlich von Krill und Fisch, was ihren Kot, den Guano, extrem stickstoffreich macht. An der Luft zersetzt sich dieser Guano und setzt Gase wie Ammoniak und Dimethylamin frei. Wenn diese chemischen Verbindungen auf Schwefeldämpfe treffen, die von marinem Phytoplankton im Ozean freigesetzt werden, geschieht die eigentliche Magie: Sie reagieren und bilden winzige Partikel. Diese Aerosole sind die fehlenden Puzzleteile – die Kondensationskerne, an denen sich Wassertröpfchen anlagern und zu Wolken formen. Der Prozess ist so nachhaltig, dass der mit Guano getränkte Boden selbst dann noch Ammoniak abgibt, wenn die Pinguine längst zu ihren Futtergründen auf See abgewandert sind.
Ein fragiles Gleichgewicht mit globalen Folgen
Was auf den ersten Blick wie eine faszinierende Kuriosität der Natur anmutet, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als zentraler Baustein des antarktischen Klimasystems. Wolken sind nicht nur passive Gebilde am Himmel; sie sind mächtige Regulatoren. Helle, dichte Wolken reflektieren das Sonnenlicht zurück ins All – ein als Albedo-Effekt bekannter Mechanismus. Dieser Effekt hilft, die gewaltigen Eismassen der Antarktis kühl zu halten und verlangsamt deren Schmelze. Die von Pinguinen erzeugten Wolken tragen also aktiv zur Selbsterhaltung des eisigen Kontinents bei.

Doch dieses System ist eine zweischneidige Klinge. Ändern sich Dichte, Höhe oder Zusammensetzung der Wolken, können sie die von der Erdoberfläche abgestrahlte Wärme wie eine Decke einfangen und den gegenteiligen Effekt bewirken: eine Erwärmung. Die Entdeckung offenbart damit eine beunruhigende Verletzlichkeit. Die Gesundheit der Pinguinpopulationen ist direkt an die Stabilität des lokalen Klimas gekoppelt – und umgekehrt.
Hier beginnt eine gefährliche Rückkopplungsschleife, die Klimaforscher, auch am deutschen Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven, mit großer Sorge beobachten. Die globale Erwärmung führt zu einem beschleunigten Verlust des Meereises. Dieses Meereis ist jedoch die Lebensgrundlage für Krill, die Hauptnahrungsquelle der Pinguine. Weniger Eis bedeutet weniger Krill, was wiederum zu schrumpfenden Pinguinpopulationen führt. Die Folgen sind bereits dramatisch: Ende 2022 wurde ein katastrophales Brutversagen bei mehreren Kaiserpinguin-Kolonien beobachtet, bei dem Schätzungen zufolge über 10.000 Küken starben, weil das Eis unter ihnen zu früh aufbrach.
Der Kreislauf schließt sich hier auf fatale Weise: Weniger Pinguine produzieren weniger Guano. Weniger Guano bedeutet weniger Ammoniak in der Atmosphäre und somit weniger Kondensationskerne für die Wolkenbildung. Ein klarerer Himmel über der Antarktis führt zu einer stärkeren Sonneneinstrahlung, die das Eis noch schneller schmelzen lässt. Ein Teufelskreis, der sich selbst verstärkt.

Diese Erkenntnis stellt auch die bisherigen Klimamodelle für die Polarregionen infrage. Die meisten globalen Modelle berücksichtigen solch hochspezifische, biologisch getriebene Aerosolquellen nicht. Die Studie legt nahe, dass wir einen wichtigen Faktor für die Klimaregulierung der Antarktis übersehen haben könnten. Der Verlust der antarktischen Eisdecke hat seit den 1990er Jahren bereits zu einem Meeresspiegelanstieg von über 7 Millimetern beigetragen. Wenn natürliche Schutzmechanismen wie die „Pinguin-Wolken“ wegfallen, könnte sich dieser Prozess unvorhersehbar beschleunigen.
Es geht also um weit mehr als den Schutz einer charismatischen Tierart. Die Gesundheit der Pinguinkolonien ist ein Indikator für die Stabilität eines ganzen Kontinents, dessen Schicksal untrennbar mit dem globalen Klima verbunden ist. Die einfache, fast banale Substanz des Pinguin-Kots entlarvt die komplexe und fragile Vernetzung unseres Planeten – und zeigt, wie das Verschwinden eines kleinen Rädchens ein ganzes System aus dem Gleichgewicht bringen kann.