Das Wein-Geheimnis der 382 Stufen von Corniglia

von Brittany Alaine Koehler
das wein geheimnis der 382 stufen von corniglia

Ich erinnere mich noch genau an meinen ersten Besuch in den Cinque Terre. Der Zug spuckte mich am winzigen Bahnhof von Corniglia aus, und im Gegensatz zum trubeligen Vernazza oder dem postkartenschönen Manarola war hier… Stille. Vor mir lag die Wahl: der kleine, vollgestopfte Shuttlebus oder die legendäre „Lardarina“, eine Zickzack-Treppe mit 382 Stufen, die sich den Felsen hinaufschlängelt. Ich entschied mich für die Treppe, und mit jedem Schritt, der mich dem Himmel näherbrachte, ließ ich den Massentourismus der anderen Dörfer ein Stück weiter hinter mir. Oben angekommen, verschwitzt, aber glücklich, verstand ich: Corniglia ist anders. Es ist ein Juwel, das seine Geheimnisse nur denen preisgibt, die bereit sind, ein wenig mehr zu geben.

Mit gerade einmal 150 ständigen Einwohnern thront Corniglia majestätisch auf einem 100 Meter hohen Felsvorsprung. Es ist das einzige der fünf Dörfer ohne direkten Meerzugang, was es vor den Tagestouristen schützt, die mit den Fähren anreisen. Diese Isolation hat eine Weinbautradition bewahrt, die Kenner wie mich in Verzückung versetzt. Was die Einheimischen hier über ihren kostbaren Vernaccia-Wein nur unter vorgehaltener Hand flüstern, ist ein sensorisches Abenteuer, das den Aufstieg mehr als wert ist.

Das bestgehütete Weingeheimnis der Cinque Terre

Während sich in den Gassen der Nachbardörfer die Menschenmassen drängen, bleibt Corniglia ein Refugium. Die lokalen Winzer hüten ein Wissen, das über Jahrhunderte perfektioniert wurde. Der Vernaccia di Corniglia, ein trockener Weißwein von bemerkenswerter Finesse, entsteht aus einer einzigartigen Kombination der Rebsorten Bosco, Vermentino und Albarola. Diese Trauben gedeihen auf winzigen, terrassierten Weinbergen, die sich wie ein Amphitheater um das Dorf schmiegen. Ich habe mit einem Winzer gesprochen, der mir erklärte, dass die Arbeit hier reine Handarbeit ist – Maschinen haben auf diesen steilen Terrassen keine Chance. Das allein verleiht dem Wein schon einen unschätzbaren Wert.

Die exponierte Lage hoch über dem Mittelmeer gibt dem Vernaccia seine besondere Note. Die salzige Meeresbrise und die intensive Sonne prägen das Terroir. Wenn man ein Glas trinkt, schmeckt man es förmlich: eine feine Mineralität, fast eine salzige Note auf der Zunge, gepaart mit Aromen von Zitrusfrüchten und wilden Kräutern. Einheimische Winzer verraten im Vertrauen, dass gerade diese herausfordernde Umgebung dem Wein seine Komplexität schenkt – eine Eigenschaft, die ihn von vielen anderen italienischen Weißweinen abhebt.

Die Wahrheit über die 382 Stufen

das wein geheimnis der 382 stufen von corniglia 2

Die berühmte Treppe „Lardarina“ ist mehr als nur ein sportliches Hindernis. Sie ist ein natürlicher Filter. Wer die Anstrengung auf sich nimmt, wird mit atemberaubenden Ausblicken belohnt, die mit jedem Höhenmeter spektakulärer werden. Es ist eine Art Pilgerreise zum wahren Herzen der Cinque Terre. Aber ich muss ehrlich sein: Nicht jeder kann oder will diesen Aufstieg machen. Was viele Reiseführer verschweigen: Es gibt einen kleinen Shuttlebus! Er pendelt regelmäßig zwischen dem Bahnhof und dem Dorfzentrum. Eine Einzelfahrt kostet ca. 1,50 €, ist aber in der „Cinque Terre Treno MS Card“ (ca. 18,20 € pro Tag in der Hauptsaison) bereits enthalten, die ich ohnehin jedem empfehle, der die Dörfer mit dem Zug erkunden will.

Die Exklusivität, die durch die Lage entsteht, ermöglicht es den Winzern, ihre Traditionen zu bewahren. Oben im Dorf finden Sie kleine, authentische „Enoteche“ (Weinbars), in denen Sie den lokalen Wein probieren können. Mein Favorit ist die „Enoteca Il Pirun“. Hier können Sie für etwa 7-9 € ein Glas des kühlen Vernaccia genießen, oft begleitet von kleinen ligurischen Spezialitäten wie Pesto-Bruschetta oder Sardellen. Das ist der Moment, in dem sich der ganze Aufstieg bezahlt macht.

Verborgene Schätze für Eingeweihte

das wein geheimnis der 382 stufen von corniglia 3

Abseits der winzigen Hauptgasse finden sich in Corniglia versteckte Ecken. Statt nach geheimen Weinkellern zu suchen, empfehle ich, einfach das Leben zu beobachten. Setzen Sie sich auf die Piazza, bestellen Sie einen Aperitivo und schauen Sie den Einheimischen zu. Hier lagern nicht nur edle Tropfen des Vernaccia, sondern auch der legendäre Süßwein Sciacchetrà in kleinen Mengen. Er wird aus getrockneten Trauben hergestellt und ist unglaublich intensiv und teuer. Ein kleines Glas kann leicht 15-20 € kosten, aber es ist ein unvergessliches Erlebnis – eine Art flüssiges Gold, das nach getrockneten Aprikosen, Honig und Meer schmeckt.

Einige Winzer experimentieren sogar mit innovativen Methoden wie der Reifung in Terrakotta-Amphoren, eine Rückbesinnung auf antike Traditionen. Diese Verbindung von Altbewährtem und Neuem macht die Weinszene hier so spannend und lebendig.

Mein Fazit und praktische Tipps für Ihren Besuch

Corniglia bleibt mein persönlicher Favorit in den Cinque Terre, gerade weil es nicht perfekt für den Massentourismus optimiert ist. Hier findet man noch Authentizität.

Beste Reisezeit: Meiden Sie unbedingt Juli und August. Die Hitze und die Menschenmassen sind erdrückend. Ideal sind Mai, Juni und September. Das Wetter ist perfekt zum Wandern und die Dörfer sind belebt, aber nicht überfüllt.

Anreise: Vergessen Sie das Auto! Die beste und einfachste Anreise ist der Zug. Von deutschen Städten wie München gibt es gute Verbindungen über Bologna nach La Spezia. Von dort bringt Sie der Regionalzug „Cinque Terre Express“ in wenigen Minuten zu den Dörfern.

Mein persönlicher Tipp zum Übernachten: Während die meisten Touristen die Cinque Terre als Tagesausflug besuchen, empfehle ich dringend, mindestens eine Nacht hier zu verbringen – am besten in Corniglia. Wenn um 18 Uhr die letzten Tagesausflügler das Dorf verlassen, kehrt eine magische Ruhe ein. Dann gehören Ihnen die Gassen, die atemberaubende Aussicht und das leise Rauschen des Meeres fast allein. Ein kleines Abendessen in der „Trattoria La Posada“ mit Blick auf die Weinberge ist dann ein Erlebnis, das Sie nie vergessen werden.

Wer also bereit ist, die 382 Stufen (oder den Bus) zu nehmen, wird in Corniglia mit einem authentischen Stück Italien belohnt. Hier, wo die Zeit ein wenig langsamer zu laufen scheint, offenbart sich der wahre Geist der Cinque Terre – in den freundlichen Gesichtern der Menschen und in jedem Schluck des wunderbaren Vernaccia di Corniglia.

Brittany Alaine Koehler

Brittany Koehler ist eine amerikanische Autorin und Bloggerin, die in Norddeutschland lebt. Ihre Arbeit konzentriert sich auf die Themen „Slow Living“, kulturelle Eingewöhnung und die persönlichen Veränderungen, die das Leben im Ausland mit sich bringt.