Alte Blogs, neuer Trend: Die Renaissance des Schreibens

von Anette Hoffmann
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In den endlosen Feeds von Instagram, TikTok und Co., wo die Aufmerksamkeitsspanne auf wenige Sekunden schrumpft, vollzieht sich eine leise, aber bedeutsame Gegenbewegung. Ein Medium, das viele bereits für ein Relikt aus den frühen Tagen des Internets hielten, feiert ein unerwartetes Comeback: der Blog. Nach Jahren der Dominanz von schnellen, visuellen sozialen Netzwerken wenden sich immer mehr Menschen wieder einer persönlicheren und entschleunigten Form des Ausdrucks zu. Dies ist mehr als nur Nostalgie – es ist eine bewusste Entscheidung für Tiefe in einer von Oberflächlichkeit geprägten digitalen Welt.

Die Anziehungskraft liegt auf der Hand. Im Gegensatz zu Plattformen, die uns mit einem ständigen Strom von Kurznachrichten, Fotos und Reels überfluten, bietet der Blog einen geschützten Raum für tiefere Reflexion. Es geht nicht darum, Likes zu jagen, sich den Launen undurchsichtiger Algorithmen anzupassen oder in einem lauten Markt um die knappste Ressource – Aufmerksamkeit – zu buhlen. Das Schreiben eines Blogs ist eine Rückkehr zur Authentizität, ein Akt der digitalen Selbstbestimmung.

Flucht aus dem goldenen Käfig des Algorithmus

Die letzten Jahre haben eine wachsende „algorithmische Erschöpfung“ offenbart. Kreative und Nutzer fühlen sich gleichermaßen in einem ständigen Hamsterrad gefangen, in dem sie Inhalte nicht mehr für Menschen, sondern für eine maschinelle Logik produzieren. Der Druck, permanent sichtbar zu sein, Trends zu folgen und Formate zu bedienen, die die Plattform bevorzugt, führt zu kreativem Burnout und einem Gefühl des Kontrollverlusts. Ein einziger unangekündigter Update des Algorithmus kann die Reichweite, die man sich über Jahre aufgebaut hat, über Nacht zunichtemachen.

Der Blog hingegen ist ein selbstverwalteter Raum. Er ist das eigene digitale Zuhause, dessen Regeln man selbst bestimmt. Hier zählt der Gedanke, nicht das Format. Ein Langform-Essay hat hier genauso seinen Platz wie eine kurze Beobachtung. Diese digitale Souveränität ist ein entscheidender Faktor für die Renaissance des Bloggens. In einer Zeit, in der unsere Daten und Inhalte auf den Servern von US-Konzernen liegen, bietet ein eigener Blog ein Stück Unabhängigkeit und Permanenz. Was hier veröffentlicht wird, gehört dem Autor und verschwindet nicht mit dem nächsten App-Update.

Dieser Wunsch nach Kontrolle und Datensicherheit findet in Deutschland und Europa einen besonderen Resonanzboden. Das Bewusstsein für Datenschutz, geschärft durch Debatten um die DSGVO, lässt viele Nutzer skeptischer gegenüber Plattformen werden, die ihre persönlichen Geschichten und Gedanken als Währung betrachten.

Mehr als nur ein Online-Tagebuch: Die Suche nach „Slow Content“

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Viele Menschen entdecken, dass das Bloggen ihnen hilft, ihre Gedanken zu ordnen, Klarheit über eigene Gefühle zu gewinnen und eine tiefere Verbindung zu sich selbst herzustellen. In diesem Sinne wird der Blog zu einer Form der mentalen Hygiene, ähnlich dem Führen eines Papiertagebuchs. Er wird zu einem Ort der Reflexion in einer reizüberfluteten Welt. Dieses Bedürfnis nach Entschleunigung ist Teil eines größeren gesellschaftlichen Trends, der sich auch in Bewegungen wie „Slow Food“ oder „Digital Minimalism“ zeigt. Es ist die bewusste Entscheidung für Qualität statt Quantität, für „Slow Content“ statt Fast-Food-Information.

Doch die Motive sind vielfältig. Für die Generation der Millennials, die in den 2000er-Jahren mit Plattformen wie LiveJournal oder den ersten WordPress-Blogs aufwuchs, mag ein Hauch von Nostalgie mitschwingen – eine Sehnsucht nach einem „einfacheren“ Internet, in dem es mehr um den Austausch von Ideen als um die Monetarisierung von Inhalten ging. Gleichzeitig entdeckt die Generation Z den Blog als authentisches Gegenmodell zur hochkuratierten Perfektion von Instagram. Es ist ein Ort, an dem Unfertiges, Nachdenkliches und Verletzliches Platz hat, ohne sofort bewertet zu werden.

Ein Fundament in der Creator Economy

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Die Rückkehr des Blogs hat auch eine handfeste ökonomische Dimension. Erfahrene Kreative und Unternehmer erkennen, dass es riskant ist, sein gesamtes Geschäft auf „gemietetem Land“ wie Social-Media-Plattformen aufzubauen. Der Blog wird wieder zum zentralen Ankerpunkt, zur eigenen „Homebase“ im Netz. Von hier aus werden Newsletter (über Plattformen wie Substack oder Ghost), Podcasts und Produkte gesteuert. Während Social Media als Satelliten zur Reichweitengenerierung dienen, bleibt der Blog der Ort, an dem die tiefste Verbindung zur Community entsteht und der eigentliche Wert geschaffen wird.

Der Einstieg ist heute einfacher denn je. Plattformen wie WordPress, Wix oder das minimalistischere Ghost ermöglichen es jedem, in wenigen Minuten einen eigenen Blog zu starten, oft ohne technisches Vorwissen. Der Schlüssel zum Erfolg hat sich jedoch nicht geändert: Es geht um Regelmäßigkeit, eine authentische Stimme und den Mut, man selbst zu sein. Es ist nicht entscheidend, wie viele Menschen den Blog am Anfang lesen. Das Wichtigste ist die Freude am Prozess des Schreibens und Klärens der eigenen Gedanken.

Viele Blogger bestätigen, dass dieser Prozess ihnen geholfen hat, die Angst vor dem öffentlichen Ausdruck abzubauen und eine Kreativität zu entdecken, die im Alltag oft unterdrückt wird. Und nicht selten finden die eigenen Texte wie von selbst jene Leser, denen sie etwas bedeuten. Selbst wenn man mit einem Blog nur eine einzige Person zum Nachdenken anregt oder inspiriert, hat er seinen Sinn bereits erfüllt. In diesem Sinne ist die Rückkehr des Blogs vielleicht weniger ein Trend als vielmehr die Wiederentdeckung eines fundamentalen menschlichen Bedürfnisses: die eigene Geschichte in eigenen Worten zu erzählen.

Anette Hoffmann

Annette Hoffmans erstaunliche Medienkarriere spiegelt ihr pures Engagement für den Journalismus und das Publizieren wider. Ihre Reise begann 2010 als freiberufliche Journalistin bei Vanity Fair, wo sie ihre einzigartige kreative Perspektive einbringt.