Erbe annehmen? Vorsicht vor der Schuldenfalle

von Anette Hoffmann
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Ein Brief vom Nachlassgericht liegt im Briefkasten. Ein Moment, der oft Trauer und komplexe Emotionen mit sich bringt. Doch nach dem ersten Schock folgt eine pragmatische Frage, die weitreichende finanzielle Konsequenzen haben kann: Was genau hat der Verstorbene hinterlassen? Denn ein Erbe ist weit mehr als nur das Haus der Großeltern oder das Sparbuch der Tante. Es ist ein Gesamtpaket, das Segen und Fluch zugleich sein kann.

Im deutschen Erbrecht gilt das Prinzip der Gesamtrechtsnachfolge. Das bedeutet, Erben treten vollständig in die rechtliche und finanzielle Position des Verstorbenen ein. Man kann sich das Erbe wie ein verschnürtes Paket vorstellen: Man kann es nur als Ganzes annehmen oder ablehnen. Sich die Rosinen herauspicken, also das Vermögen nehmen und die Schulden ignorieren, ist rechtlich unmöglich. Wer erbt, erbt alles – die idyllische Gartenlaube, aber eben auch den überzogenen Dispokredit.

Das Erbe: Eine zweiseitige Medaille

Die Aktivseite, also das Vermögen, ist meist schnell identifiziert: Immobilien, Bankguthaben, Wertpapierdepots, Fahrzeuge oder wertvolle Kunstgegenstände. Doch die wahre Gefahr lauert oft auf der Passivseite, bei den Verbindlichkeiten. Dazu zählen nicht nur offensichtliche Posten wie Hypotheken auf ein Haus oder offene Raten für ein Auto.

Viel tückischer sind Schulden, von denen die Erben oft nichts ahnen. Das können unbezahlte Rechnungen von Handwerkern, Steuerschulden beim Finanzamt oder die Forderungen eines Versandhauses sein. Ein besonders heikler Punkt, der in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat: Rückforderungen von Sozialleistungen. Hat der Verstorbene in den letzten zehn Jahren vor seinem Tod Sozialhilfe oder Grundsicherung im Alter bezogen, kann das Sozialamt versuchen, diese Kosten von den Erben zurückzuholen – allerdings nur bis zur Höhe des Nachlasswertes.

In einer Gesellschaft, in der die Konsumverschuldung steigt und immer mehr Menschen im Alter auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, wird das Erbe zunehmend zu einem finanziellen Risikofaktor. Die Vorstellung, dass jede Erbschaft ein Gewinn ist, ist ein Relikt aus vergangenen Zeiten. Heute ist sie oft der Beginn einer aufwendigen Detektivarbeit.

Die Ermittlung: Was steckt wirklich im Nachlass?

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Bevor eine Entscheidung getroffen werden kann, müssen Erben zu Ermittlern im eigenen Familienkreis werden. Der erste Schritt ist die Sichtung der Unterlagen des Verstorbenen. Kontoauszüge, Kreditverträge, Steuerbescheide und Mahnungen geben erste Hinweise. Ein Gespräch mit dem Steuerberater oder ein Blick ins Grundbuch, um die Belastung einer Immobilie zu prüfen, sind unerlässlich.

Banken sind verpflichtet, Erben nach Vorlage eines Erbscheins oder eines notariellen Testaments Auskunft über Kontostände und Verbindlichkeiten zu geben. Um ein umfassendes Bild zu erhalten, kann beim Nachlassgericht ein sogenanntes Nachlassinventar beantragt werden. Hierbei wird ein Notar oder ein gerichtlich bestellter Beamter ein offizielles Verzeichnis aller Vermögenswerte und Schulden erstellen. Dies schafft Klarheit, ist aber auch mit Kosten verbunden.

Stellt sich während dieser Recherche heraus, dass der Nachlass stark überschuldet ist, gibt es weitere Instrumente wie die Beantragung einer Nachlassverwaltung oder einer Nachlassinsolvenz. In beiden Fällen wird die Haftung des Erben auf den Nachlass beschränkt, sodass das Privatvermögen geschützt bleibt.

Die entscheidende Frist: Nur sechs Wochen Zeit

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Die wohl wichtigste und oft übersehene Regel im deutschen Erbrecht ist die extrem kurze Frist zur Ausschlagung des Erbes. Ab dem Moment, in dem man von der Erbschaft erfährt, hat man nur sechs Wochen Zeit, um zu handeln. Diese Frist verlängert sich auf sechs Monate nur dann, wenn der Erblasser seinen letzten Wohnsitz im Ausland hatte oder der Erbe sich bei Fristbeginn im Ausland aufhielt.

Lässt man diese Frist verstreichen, ohne aktiv zu werden, gilt das Erbe automatisch als angenommen – und zwar mit allen Konsequenzen, einschließlich der unbeschränkten persönlichen Haftung. Das bedeutet: Reicht das Erbe nicht aus, um die Schulden zu decken, müssen die Erben mit ihrem eigenen Vermögen dafür geradestehen.

Zwei Wege: Ausschlagen oder mit Bedacht annehmen

Steht das Ergebnis der Recherche fest, gibt es zwei klare Wege. Ist der Nachlass eindeutig überschuldet, ist die Ausschlagung die sicherste Option. Dies muss persönlich beim zuständigen Nachlassgericht oder vor einem Notar zur Niederschrift erklärt werden. Wichtig zu wissen: Schlägt ein Erbe aus, rückt automatisch der Nächste in der gesetzlichen Erbfolge nach. Oft sind das die eigenen Kinder. Um eine Schulden-Kaskade durch die Familie zu verhindern, müssen häufig mehrere Generationen nacheinander das Erbe ausschlagen.

Ist der Nachlass werthaltig, aber die Schuldenlage unübersichtlich, sollte man das Erbe zwar annehmen, aber gleichzeitig die Haftung beschränken. Dies geschieht, indem man beim Nachlassgericht eine Nachlassverwaltung oder, bei Zahlungsunfähigkeit des Nachlasses, eine Nachlassinsolvenz beantragt. Dadurch wird eine klare Trennung zwischen dem geerbten Vermögen und dem Privatvermögen des Erben geschaffen. Gläubiger können dann nur noch auf den Nachlass zugreifen.

Die Entscheidung über ein Erbe ist heute keine rein emotionale Angelegenheit mehr. Sie erfordert kühlen Kopf, schnelles Handeln und finanzielle Weitsicht. In einer Zeit der Trauer eine enorme Belastung, aber eine notwendige, um sich nicht unwissentlich in die Armut zu erben.

Anette Hoffmann

Annette Hoffmans erstaunliche Medienkarriere spiegelt ihr pures Engagement für den Journalismus und das Publizieren wider. Ihre Reise begann 2010 als freiberufliche Journalistin bei Vanity Fair, wo sie ihre einzigartige kreative Perspektive einbringt.