Nominiert – und jetzt? Dein ehrlicher Guide für Preisverleihungen (ohne pleitezugehen)

Taylor Swift bricht Rekorde und Billie Eilish begeistert – die American Music Awards 2019 waren ein Feuerwerk der Talente!

von Elke Schneider

Ich bin seit Ewigkeiten im Musikgeschäft unterwegs und hab schon so ziemlich alles gesehen. Vor allem junge Talente, die mit leuchtenden Augen von der großen Bühne träumen, auf der sie einen Preis in die Hand gedrückt bekommen. Klar, das ist ein starkes Bild. Aber das Erste, was ich jedem Musiker sage, ist: Eine Preisverleihung ist nicht das Ziel. Sie ist ein Werkzeug. Ein verdammt teures und kompliziertes, das man richtig einsetzen muss.

Ganz ehrlich? Ich habe Künstler gesehen, die sich für eine einzige Nominierung finanziell komplett ruiniert haben. Aber ich habe auch erlebt, wie eine clever genutzte Show eine Karriere in den Orbit katapultiert hat. Der Unterschied liegt selten allein im Talent, sondern im Verständnis für das System dahinter. Es geht um Strategie, kluge Planung und eine ehrliche Kosten-Nutzen-Analyse. Also, schnall dich an, hier kommt der ungeschminkte Blick hinter die Kulissen.

Wie das Spiel wirklich funktioniert: So entsteht eine Nominierung

Viele glauben, Nominierungen sind reine Magie. Du machst gute Musik, und zack, ruft jemand an. Die Realität ist, nun ja, deutlich nüchterner. Hinter jeder Nominierung bei den großen, kommerziellen Preisverleihungen steckt ein knallharter Prozess, der auf drei Dingen basiert: Daten, Geld und Beziehungen.

Die große Gewinnerin der American Music Awards Taylor Swift in Glitzerkleid

Die Basis: Harte Fakten, die zählen

Kein Komitee nominiert dich aus reiner Nettigkeit. Die Grundlage sind immer messbare Erfolge. Ohne die kommst du gar nicht erst auf den Radar.

  • Verkäufe und Streams: Das ist die Währung der Branche. Wie oft wurde dein Album gekauft, dein Song gestreamt? Plattformen liefern exakte Daten, die von Branchenverbänden geprüft werden. Ohne eine solide Verkaufs- und Streaming-Historie ist eine Nominierung in den Hauptkategorien praktisch ausgeschlossen.
  • Radio-Airplay: Ja, auch im Streaming-Zeitalter ist das Radio ein mächtiger Faktor. Wie oft ein Song im Radio läuft, zeigt seine Breitenwirkung. Ein Song, der im Radio nicht existiert, ist für einen großen Teil des Publikums unsichtbar.
  • Chart-Platzierungen: Eine hohe Platzierung in den offiziellen Charts ist das ultimative Signal an die Branche. Es zeigt, dass du nicht nur eine kleine Nischen-Fanbase hast, sondern den Massenmarkt erreichst. Das lieben die Gremien.

Diese Kennzahlen sind deine Eintrittskarte. Punkt. Daran musst du mit deinem Team über Monate, manchmal Jahre, arbeiten. Das ist die eigentliche Knochenarbeit.

Billie Eilish bei American Music Awards 2019 in kariertem Outfit, silberne Maske

Die Kampagne: Sichtbarkeit kaufen

Stimmen die Zahlen, geht die eigentliche Arbeit erst los. Jetzt investiert das Label oder Management gezielt Geld, um die Juroren oder wählenden Fans zu überzeugen. Das nennt sich „For Your Consideration“-Kampagne und ist ein völlig legitimer Teil des Geschäfts. Das kann Anzeigen in Fachmagazinen wie der „MusikWoche“ oder „Billboard“ umfassen, aber auch digitale Kampagnen in sozialen Medien. Eine gute PR-Agentur mit den richtigen Kontakten ist hier Gold wert. So eine Kampagne kann locker fünf- bis sechsstellige Beträge verschlingen. Ein Label macht das nur, wenn die Chancen wirklich gut stehen.

Die Nominierung ist da – Dein Erste-Hilfe-Kasten!

Okay, der Anruf kam. Du bist nominiert. Was jetzt? Bevor du in Panik verfällst oder dein Konto plünderst, hier die ersten drei Schritte:

  1. Atmen & Feiern (kurz!): Gönn dir einen Moment. Ein Sekt, ein lauter Schrei, was auch immer du brauchst. Du hast es dir verdient. Aber wirklich nur kurz, denn jetzt beginnt die Arbeit.
  2. Team-Meeting einberufen: Setz dich sofort mit deinem Manager, deinem Label oder – falls du solo unterwegs bist – deinen engsten Vertrauten zusammen. Wer sind die wichtigsten Ansprechpartner bei der Verleihung? Was sind die Deadlines?
  3. Ehrlicher Kassensturz: Das ist der wichtigste Schritt. Was ist unser Budget? Was können wir uns WIRKLICH leisten, ohne uns zu verschulden? Definiert eine absolute Obergrenze. Jede weitere Entscheidung muss sich daran messen lassen.
Post Malone bei American Music Awards 2019, in kariertem Anzug

Was der Spaß wirklich kostet: Eine ehrliche Kalkulation

Die romantische Vorstellung, man geht mal eben für 50 Euro zu einer Preisverleihung, ist ein Märchen. Selbst wenn alles geliehen ist, entstehen Kosten. Hier mal ein paar realistische Beispiele.

Fallbeispiel 1: Aufstrebende Band (erste Nominierung)

Stell dir eine junge Band aus Hamburg vor, nominiert für eine relevante deutsche Auszeichnung in Berlin. Kein großes Label im Rücken, alles wird selbst gestemmt.

  • Reise & Hotel: Für eine vierköpfige Band plus Manager sind das schnell fünf Bahntickets und zwei Hotelzimmer. Rechne mal mit 800 € bis 1.200 €.
  • Styling: Selbst bei geliehenen Outfits fallen Kosten für Reinigung, Anpassung und Versicherung an. Ein Minimalbudget liegt hier bei 1.000 € bis 2.500 €.
  • PR vor Ort: Ein lokaler PR-Agent, der Termine koordiniert, ist Gold wert und kostet für den Tag mindestens 500 € bis 1.500 €.
  • Sonstiges: Essen, Taxis, Getränke… da kommen locker 300 € zusammen.

Wir sind also schnell bei 2.600 € bis 5.500 €. Das ist eine Stange Geld für eine junge Band. Der Gewinn ist hier nicht die Trophäe, sondern die geknüpften Kontakte.

Ciara bei American Music Awards 2019, in königsblauem Outfit

Die Ultra-Sparfuchs-Variante

Aber geht es auch günstiger? Ja, aber dann musst du den Glamour komplett streichen. Ich erinnere mich an eine junge Punkband, die es knallhart durchgezogen hat. Die sind mit dem 9-Euro-Ticket angereist, haben bei einem Freund auf der Couch geschlafen, ihre saubersten Band-Shirts angezogen und nach der Verleihung den letzten Zug nach Hause genommen. Gesamtkosten: Vielleicht 150 Euro. Sie haben auf die Aftershow-Party verzichtet, aber vorher gezielt die zwei Journalisten angesprochen, die für sie wichtig waren. Das geht auch, erfordert aber eiserne Disziplin.

Fallbeispiel 2: Etablierter Star (internationale Show)

Fliegt ein deutscher Top-Act zu einer großen Show in die USA, explodieren die Kosten. Das Label zahlt das zwar meistens, verbucht es aber als Vorschuss. Indirekt zahlst du es also von deinen Einnahmen zurück.

  • Team & Reise: Der Star reist mit Manager, Assistent, Stylist, Make-up-Artist und Security. Flüge in der Business Class, Luxushotel… da bist du allein für die Logistik schnell bei 30.000 € bis 50.000 €.
  • Styling & Haute Couture: Ein maßgeschneidertes Kleid kann 10.000 € bis 100.000 € kosten. Dazu kommt hochversicherter Schmuck.
  • Internationale PR: Eine US-Agentur für mehrere Wochen? Rechne mit 20.000 € bis 40.000 €.

Die Gesamtrechnung kann hier locker 100.000 € übersteigen. Das ist die Realität auf diesem Level.

Christina Aguilera bei American Music Awards 2019, in weißem Outfit mit Kapuze
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Nicht jede Preisverleihung ist gleich: USA vs. Deutschland

Ein riesiger Fehler ist die Annahme, alle Preisverleihungen ticken gleich. Die Mentalität in den USA ist eine völlig andere als bei uns in Deutschland. Das muss man verstehen, um die richtige Strategie zu wählen.

Drüben in den USA, bei den großen, kommerziellen Shows, dreht sich alles um Spektakel. Oft sind es reine Fan-Votings, das heißt, die Mobilisierung der eigenen Community ist alles. Es geht um Breitenwirkung, nicht zwingend um künstlerische Tiefe. Der rote Teppich ist fast wichtiger als die Show selbst. Hier musst du eine Geschichte erzählen, polarisieren oder durch einen extremen Look auffallen. Es ist eine riesige, von Werbeeinnahmen getriebene TV-Produktion.

Ganz anders hier in Deutschland, zum Beispiel bei Auszeichnungen wie dem „Preis für Popkultur“. Hier wählt oft eine große Fachjury aus Journalisten, Bookern, Label-Mitarbeitern und anderen Künstlern. Hier zählen künstlerische Relevanz, Innovation und der Einfluss auf die Szene. Ein reiner Charterfolg reicht nicht, du musst die Profis überzeugen. Die Atmosphäre ist oft eher die eines großen Klassentreffens der Branche. Deine Strategie muss also eine andere sein: gezielte PR bei Fachmedien und der Aufbau eines guten Rufs in der Szene sind hier viel wichtiger als eine laute Social-Media-Kampagne.

Dein Plan für den großen Abend (und davor)

Okay, du gehst also hin. Was nun? Hier sind meine praxiserprobten Tipps.

1. Das richtige Team aufbauen – aber wie?

Du brauchst Leute, die an dich glauben und das Geschäft verstehen. Aber wo findest du die? Einen guten Manager erkennst du nicht am teuren Anzug, sondern an den richtigen Fragen. Er fragt nach deinem 5-Jahres-Plan, nicht nur nach dem nächsten Gig. Er spricht offen über Budgets und sagt auch mal „Nein“. Frag andere Bands nach Empfehlungen! Einen guten Anwalt für Musikrecht findest du oft über Musikerverbände oder ebenfalls über Empfehlungen aus der Szene. Diese Investition schützt dich vor teuren Fehlern.

2. Der Abend ist Arbeit, nicht Party

Wenn du hingehst, dann gehst du nicht zum Feiern, sondern zum Arbeiten. Der Abend ist eine einzige, riesige Networking-Veranstaltung. Die eigentliche Magie passiert abseits der Kameras. Dein Manager sollte dir vorher eine Liste mit 3-5 Leuten geben, die du unbedingt treffen solltest. Und keine Angst vor dem ersten Schritt! Anstatt rumzudrucksen, geh einfach hin und sag was in der Art wie: „Hi, ich bin [Name], ebenfalls nominiert heute Abend. Ich wollte nur mal Hallo sagen, ich finde deine Arbeit beim [Festival/Label/Magazin] super!“ Das bricht das Eis und ist tausendmal besser als stumm in der Ecke zu stehen.

3. DIY-PR für Sparfüchse

Kein Budget für eine teure Agentur? Kein Problem. Du kannst eine Nominierung auch mit einfachen Mitteln für dich nutzen. Erstelle eine simple, aber professionelle Pressemappe als PDF (Bio, gute Fotos, Links zu deiner Musik). Schreib gezielt lokale Zeitungen und Blogs an – die lieben Geschichten über Talente aus ihrer Region. Nutze deine Social-Media-Kanäle, um deine Fans hinter die Kulissen mitzunehmen und sie zum Voten zu mobilisieren, falls das möglich ist.

Kleiner Tipp für deine Tasche (mental & physisch):
Pack unbedingt ein paar Visitenkarten oder QR-Codes ein, ein aufgeladenes Handy (mit deiner Pressemappe drauf), einen Energieriegel (die Abende sind lang!) und die Nummer eines guten Freundes für den mentalen Support, wenn der Trubel zu viel wird.

Achtung, Stolperfallen! Was alles schiefgehen kann

Das Musikgeschäft ist kein Ponyhof. Und bei Preisverleihungen kann man viel gewinnen, aber auch verdammt viel verlieren. Aus meiner Erfahrung sind das die größten Gefahren.

  • Die Schuldenfalle: Ich kann es nicht oft genug sagen. Gib kein Geld aus, das du nicht hast. Der Druck, mit den anderen mithalten zu wollen, ist enorm. Aber Fotos vom roten Teppich sind nichts wert, wenn du danach einen Schuldenberg hast, der deine Kreativität erstickt.
  • Der Reputationsschaden: Ein unbedachtes Wort im Interview, zu viel Alkohol auf der Aftershow-Party… in dieser Branche kennt jeder jeden. Eine schlechte Geschichte verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Professionalität ist keine Option, sie ist eine Notwendigkeit.
  • Die mentale Belastung: Der Druck ist unmenschlich. Du wirst bewertet, verglichen, kritisiert. Es ist absolut okay, damit überfordert zu sein. Sorge für ein starkes soziales Netz – Familie, Freunde, vielleicht sogar ein Therapeut. Dein Wert als Künstler hängt nicht an einer Trophäe. Deine mentale Gesundheit ist dein wichtigstes Kapital. Schütz es!

Ein letztes Wort…

Eine Preisverleihung ist ein Spiegel des Musikgeschäfts: glänzend an der Oberfläche, verdammt hart und kompliziert darunter. Lass dich vom Glamour nicht blenden. Versteh die Regeln, kenne die Kosten und nutze die Chancen klug.

Aber vergiss nie: Der wahre Erfolg wird nicht an einem Abend auf einer Bühne entschieden. Er wird jeden Tag im Proberaum, im Studio und auf den kleinen Bühnen dieses Landes erarbeitet. Wenn du diese Arbeit mit Leidenschaft und Professionalität machst, ist ein Preis vielleicht eines Tages ein netter Bonus. Aber du wirst ihn nicht mehr brauchen, um zu wissen, dass du es geschafft hast.

Elke Schneider

Elke Schneider ist eine vielseitige Sammlerin von Fachkenntnissen. Ihren Weg in den Journalismus begann sie mit einem soliden Fundament aus ihrem Studium an der Universität Dresden. Literatur, Kunstgeschichte und Philologie sind ihre Lieblingsfächer.