Japans Kaiserthron: Mehr als nur Pomp – Ein Blick hinter die Kulissen

Ein neuer Kaiser, ein uralter Brauch: Erlebe die magische Krönung Naruhitos und tauche ein in die faszinierende Welt japanischer Traditionen.

von Dagmar Brocken

Wenn ich mir die Fernsehbilder von einer japanischen Thronzeremonie ansehe, sehe ich mehr als nur prächtige Gewänder und ernste Gesichter. Als jemand, der sein Leben dem Handwerk verschrieben hat, erkenne ich die unzähligen Stunden Arbeit, die Logik hinter jedem Ritual und die Seele in jedem einzelnen Faden. Mein Name tut nichts zur Sache, aber meine Erfahrung hat mich gelehrt, dorthin zu schauen, wo die Kameras oft wegschwenken.

Vergiss mal für einen Moment den ganzen Pomp. Wir schauen jetzt tiefer. Wir fühlen die Materialien, für die uralte Techniken nötig sind. Wir zerlegen die Abläufe, die präziser sind als jedes Uhrwerk. Und wir entdecken die Symbole, deren Kraft weit über diesen einen Tag hinausreicht. Das hier ist kein trockener Geschichtsbericht, sondern eine Werkstatt-Tour durch eines der faszinierendsten Rituale unserer Zeit.

Der Rahmen: Ein Spagat zwischen Verfassung und Glaube

Um das Ganze zu verstehen, muss man erst mal ein Spannungsfeld begreifen. Auf der einen Seite steht die moderne japanische Verfassung, die Staat und Religion glasklar trennt. Der Staat darf also keine religiösen Feste fördern. Auf der anderen Seite ist das Kaiserhaus untrennbar mit dem Shintoismus, der traditionellen Naturreligion Japans, verbunden. Ein ziemlicher Knoten, oder?

der Kaiser Naruhito und die Kaiserin Masako setzen sich auf ihre Thronen

Die Lösung der Japaner ist, ehrlich gesagt, ziemlich pragmatisch. Die gesamten Feierlichkeiten werden einfach aufgeteilt. Die Kernzeremonie, die eigentliche Thronbesteigung, gilt offiziell als weltlicher Staatsakt. Damit ist die Verfassung glücklich. Andere, zutiefst religiöse Rituale, wie das große Erntedankfest, werden kurzerhand zu „privaten Angelegenheiten“ der kaiserlichen Familie erklärt. Ein juristischer Kniff, der in der Praxis natürlich für Debatten sorgt, vor allem, wenn die Finanzierung dieser „privaten“ Riten dann doch aus öffentlichen Töpfen kommt. Aber als Handwerker verstehe ich das: Man schafft sich einen Rahmen, in dem man arbeiten kann. Und die Arbeit ist hier die Fortführung einer über tausendjährigen Tradition.

Die spirituelle Basis für all das ist der Glaube, dass die kaiserliche Linie direkt von der Sonnengottheit abstammt. Ob man das nun als Mythos oder Tatsache sieht, ist für das Verständnis der Zeremonie erstmal zweitrangig. Dieser Glaube ist das Fundament für jedes Ritual und erklärt, warum alles so unglaublich präzise ablaufen muss. Ohne dieses Wissen bleibt es nur eine bunte, unverständliche Show.

Kaiser von Japan Naruhito folgt alle Ritualen, einen bevollmächtigen Kaiser zu werden

Die drei großen Akte der Thronfolge

Die Thronfolge ist kein einzelnes Event, sondern ein monatelanger Prozess. Man kann ihn aber gut in drei Hauptakte unterteilen, die unterschiedlicher nicht sein könnten: ein stiller, ein öffentlicher und ein zutiefst mystischer Akt.

Akt 1: Die stille Übergabe (Kenji-to-Shokei-no-gi)

Dieser Akt findet direkt nach der Abdankung des Vorgängers statt. Er ist kurz, fast lautlos und findet komplett hinter verschlossenen Türen statt. Seine Bedeutung ist aber riesig. Hier übernimmt der neue Kaiser die drei heiligen Throninsignien, die seine Herrschaft legitimieren.

  • Das Schwert: Symbol für Tapferkeit und Stärke.
  • Der Spiegel: Steht für Weisheit und die göttliche Verbindung.
  • Das Juwel: Repräsentiert Wohlwollen und die Fähigkeit, gut zu herrschen.

Mythos vs. Realität: Und hier kommt ein super spannender Punkt, der oft falsch verstanden wird. Niemand, außer dem Kaiser und ein paar Hohepriestern, hat die echten Insignien je zu Gesicht bekommen. Was bei der Zeremonie übergeben wird, sind extrem gut gemachte Repliken oder, genauer gesagt, die kunstvollen Schreine, in denen sich die Gegenstände befinden. Das Originalschwert liegt in einem Schrein in Nagoya, der Spiegel im berühmten Ise-Großschrein. Nur das Juwel wird tatsächlich im Kaiserpalast aufbewahrt. Diese Geheimhaltung ist Teil des Ganzen, sie schützt die Objekte vor Profanisierung. Es geht nicht um den materiellen Wert, sondern um die unantastbare Symbolkraft.

der Kaiser von Japan Naruhito geht durch alle Abgeordnete vom Hof

Die Zeremonie dauert kaum zehn Minuten. Nur männliche Mitglieder der Kaiserfamilie sind anwesend. In dieser Stille und den rituellen Bewegungen liegt eine unglaubliche Kraft. Hier wird Macht nicht genommen, sondern ehrfürchtig empfangen.

Akt 2: Die öffentliche Verkündung (Sokuirei-Seiden-no-gi)

Das ist die Zeremonie, die wir alle aus dem Fernsehen kennen. Hier wird der Welt und dem japanischen Volk offiziell verkündet: Der neue Kaiser sitzt auf dem Thron. Alles ist auf maximale Sichtbarkeit und staatliche Symbolik ausgelegt.

Im Mittelpunkt stehen zwei Throne, die einem den Atem rauben:

  • Der Takamikura-Thron: Ein über 6 Meter hoher, achteckiger Pavillon für den Kaiser, fast 8 Tonnen schwer. Gefertigt aus japanischer Zypresse, überzogen mit Schwarzlack und verziert mit purem Gold. Oben thront ein riesiger, goldener Phönix.
  • Der Michodai-Thron: Etwas kleiner und filigraner, für die Kaiserin.

Diese Throne sind keine Requisiten. Es sind historische Meisterwerke der Handwerkskunst. Sie wurden ursprünglich für eine Zeremonie vor langer Zeit gebaut und seither immer wieder verwendet. Für jede neue Thronfolge werden sie in Kyoto, der alten Kaiserstadt, von Spezialisten sorgfältig in über 3000 Einzelteile zerlegt, nach Tokio transportiert und im Kaiserpalast wieder aufgebaut. Allein dieser Prozess ist eine logistische Meisterleistung, die Monate dauert und Wissen erfordert, das von Meister zu Lehrling weitergegeben wird.

die Kaiserin Masako mit ihrem Kopfschmuck und buntem Kimono, die Gemahlin von Naruhito

Der Ablauf ist auf die Sekunde choreografiert. Hofdiener öffnen langsam die Vorhänge, der Kaiser verliest eine kurze Ansprache, der Premierminister hält eine Glückwunschrede und ruft dreimal „Banzai!“ (was so viel wie „Zehntausend Jahre“ bedeutet). Jeder Fehler wäre ein schlechtes Omen. Disziplin pur.

Akt 3: Das mystische Erntedankfest (Daijosai)

Einige Wochen später folgt der geheimnisvollste und auch umstrittenste Teil. In einer einzigen Nacht dankt der Kaiser in einem tief religiösen Shinto-Ritual den Göttern für Frieden und reiche Ernte. Er opfert frisch geernteten Reis und teilt symbolisch eine Mahlzeit mit der Sonnengottheit. Damit festigt er seine Rolle als oberster Priester des Landes.

Extra für diese eine Nacht wird ein riesiger Schrein-Komplex aus über 30 Gebäuden aus unbehandeltem Holz errichtet und danach sofort wieder komplett abgerissen. Das ist keine Verschwendung, sondern ein Symbol für Reinheit und den ewigen Kreislauf des Lebens. Allein die Baukosten dafür liegen oft bei über 20 Millionen Euro. Wegen dieses stark religiösen Charakters und der hohen Kosten aus der Staatskasse gibt es hierzu regelmäßig öffentliche Debatten. Das gehört zur Realität einer modernen Monarchie einfach dazu.

der Kaiser trägt ein Kimono im Stil von neunten Jahrhundert mit traditionellen Kopgschmuck
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Das Handwerk dahinter: Wenn Seide und Holz sprechen

Als Handwerker schlägt mein Herz bei den Materialien höher. Die Gewänder sind keine Kostüme, sie sind Bedeutungsträger.

Das Gewand des Kaisers während der öffentlichen Zeremonie hat eine tief orange-braune Farbe, die seit Jahrhunderten nur ihm vorbehalten ist. Sie symbolisiert die aufgehende Sonne. Der Farbton wird in einem streng geheimen Verfahren aus Baumharz und Gardenienfrüchten gewonnen. Der schwere Seidenstoff ist durchwebt mit Glückssymbolen wie dem Phönix oder Bambus.

Die Kaiserin trägt ein sogenanntes „zwölflagiges Gewand“ (Junihitoe). Stell dir mal vor, du trägst ein Kunstwerk aus vielen Seidenschichten, das bis zu 20 Kilogramm wiegen kann! Das Ankleiden selbst ist eine Zeremonie, dauert Stunden und erfordert speziell ausgebildete Helfer. Sich darin mit Anmut zu bewegen, ist eine körperliche und mentale Meisterleistung. Das ist kein Kleid, das ist gelebte Würde.

Was macht der Kaiser eigentlich heute?

Okay, die Zeremonie ist vorbei. Und nun? Hat der Kaiser im modernen Japan überhaupt eine Aufgabe? Ja, aber eine rein symbolische. Er hat keinerlei politische Macht. Seine Rolle ist es, das „Symbol des Staates und der Einheit des Volkes“ zu sein. Sein Alltag besteht aus repräsentativen Aufgaben: Er empfängt Staatsgäste, eröffnet das Parlament, verleiht Orden und nimmt an Gedenkveranstaltungen teil. Viel wichtiger ist aber seine spirituelle Rolle als oberster Priester des Shinto, der bei unzähligen Ritualen für das Wohl des Landes betet. Er ist quasi der moralische Anker und der Hüter der Traditionen.

Kleiner Tipp für Neugierige: So erlebst du den Kaiserpalast

Lust bekommen, selbst einen Hauch kaiserlicher Luft zu schnuppern? Das geht tatsächlich, aber du musst wissen, wo und wie!

  • In Tokio: Du kannst den Kaiserpalast von außen sehen und die wunderschönen Ostgärten besuchen. Der Eintritt dorthin ist meistens kostenlos. Die Palastgebäude selbst sind für die Öffentlichkeit tabu. Plane für die Gärten gut und gerne 2-3 Stunden ein, es lohnt sich!
  • In Kyoto: Hier wird es richtig spannend! Im Park des alten Kaiserpalastes in Kyoto stehen oft die Repliken der Throne (Takamikura und Michodai) zur Besichtigung aus. Ein absolutes Muss! Informiere dich am besten vorab online über die Besuchszeiten der Palastanlage, oft ist eine kostenlose Anmeldung nötig, die dir aber lange Wartezeiten erspart.

Worauf du bei TV-Bildern achten solltest

Falls du mal wieder Bilder der Zeremonie siehst, achte auf diese drei Details. Das macht es gleich viel spannender:

  1. Die Farbe des kaiserlichen Gewands: Ist es das spezielle, sonnen-orange Braun? Dann ist es die öffentliche Proklamation. Ist es reines Weiß? Dann handelt es sich um ein tief religiöses Reinigungsritual.
  2. Die Bewegungen der Hofdiener: Achte darauf, wie unglaublich langsam, synchron und lautlos sie sich bewegen. Das ist jahrelang trainierte Perfektion.
  3. Der „Banzai!“-Ruf: Wenn der Premierminister den dreifachen Ruf ausbringt, ist das der offizielle, weltliche Höhepunkt.

Ein Fazit aus der Werkstatt

Die Thronbesteigung in Japan ist so viel mehr als nur ein Staatsakt. Sie ist ein lebendiges Gesamtkunstwerk aus Religion, Politik, Kunst und Handwerk. In unserer schnellen, lauten Welt ist es fast schon meditativ, einer Zeremonie zuzusehen, die so viel Wert auf Geduld, Präzision und Respekt vor dem Erbe legt.

Ganz ehrlich? Ob man ein Möbelstück baut oder eine Tradition pflegt, die Prinzipien sind dieselben: Du brauchst Wissen über dein Material, Respekt vor der Geschichte und den Mut, Verantwortung zu übernehmen. Und diese universelle Wahrheit ist vielleicht die wichtigste Botschaft, die aus dem Kaiserpalast kommt.

Dagmar Brocken

Dagmar Brocken hat Medienwissenschaft in Bonn absolviert und innerhalb fünf Jahren ist Teil von bekannten deutschen Nachrichtenteams.