Vom Förderantrag zum roten Teppich: Wie deutsche Filme wirklich international durchstarten – Ein Insider packt aus

Zwei deutsche Filmstars erobern die Oscar-Akademie! Entdecke, wie Nina Hoss und Sebastian Koch die Welt des Kinos bereichern.

von Michael von Adelhard

Okay, was bedeutet das wirklich, wenn deutsche Talente nach Hollywood gerufen werden?

Als neulich mal wieder die Nachricht durchsickerte, dass ein paar deutsche Schauspielgrößen in die berühmte Oscar-Academy eingeladen wurden, saß ich, wie so oft, über einer drögen Endkalkulation für ein neues Projekt. Mein erster Gedanke war ehrlich gesagt nicht der rote Teppich. Es war eine blitzartige Erinnerung an einen Dreh vor Ewigkeiten. Da war dieser junge Schauspieler, unfassbar talentiert, aber total unsicher. Wir haben ihm damals das Vertrauen geschenkt. Heute kennt ihn jeder. Und genau so fühlen sich diese Einladungen an: als Bestätigung, dass die ganze Knochenarbeit, die wir hier in Deutschland leisten, endlich auch mal weit weg von Hollywood wahrgenommen wird.

Wer ich bin? Spielt keine Rolle. Wichtig ist nur: Ich mache das hier seit über 30 Jahren als Produzent und Herstellungsleiter. Ich hab mit absoluten Meistern ihres Fachs gedreht und den Nachwuchs, unsere „Lehrlinge“, an die Hand genommen. Ich habe Projekte von der ersten wackeligen Idee über den zähen Kampf um die Finanzierung bis zur Premiere geprügelt. Manche wurden gefeiert, andere sind leise in der Versenkung verschwunden. Darum geht’s hier nicht. Ich will keine Pressemitteilung nachbeten. Ich will dir erklären, was diese Entwicklung wirklich bedeutet. Für uns, die hier Filme machen. Abseits vom Glamour, mitten im Handwerk.

der schauspieler sebastian koch, ein mann mit bart und einem schwarzen hemd

Es geht hier nicht um ein paar einzelne Schauspieler. Es geht um einen fundamentalen Wandel. Und um die eine große Frage: Wie zur Hölle kann ein deutscher Film, der oft nur mit einem Bruchteil des Budgets eines US-Blockbusters auskommen muss, international überhaupt eine Chance haben? Die Antwort liegt in unserem System. Einem System, das viele belächeln, das aber unsere größte Stärke ist.

1. Das System verstehen: Warum sich in Hollywood wirklich was bewegt

Zuerst mal muss man kapieren, dass die Academy in Hollywood kein elitärer Kunstverein ist. Das ist ein Branchenverband. Und dieser Verband war lange Zeit, sagen wir mal, sehr homogen. Die Mitglieder waren überwiegend weiß, männlich und amerikanisch. Ihre Entscheidungen haben natürlich ihre eigene Lebenswelt widergespiegelt. Das ist keine böse Absicht, das ist einfach menschlich.

Die Mechanik der Veränderung

Der Weckruf kam vor einigen Jahren durch massiven öffentlichen Druck, weil die Preisverleihungen als zu einseitig kritisiert wurden. Das war keine kleine Social-Media-Welle, das war eine existenzielle Krise für die Marke „Oscar“. Eine Marke, die von globaler Relevanz lebt. Wenn die ganze Welt zuschaut, sich aber nicht repräsentiert fühlt, verliert so eine Auszeichnung massiv an Wert. Die Öffnung für internationale Mitglieder war also kein reiner Akt der Nächstenliebe. Es war eine strategische Notwendigkeit, um die eigene Bedeutung zu sichern.

die deutsche schauspielerin nina hoss, eine frau mit goldener Halskette und mit roten lippen und blondem haar

Stell es dir mal physikalisch vor: Jahrelang lag der Schwerpunkt des Systems klar in Los Angeles. Jedes neue internationale Mitglied, jeder neue Stimmzettel aus Südkorea, Dänemark oder eben Deutschland verschiebt diesen Schwerpunkt. Nur ein winziges Stück, klar, aber die Summe macht’s. Plötzlich können Filme aus Asien den Hauptpreis gewinnen – das wäre vor ein paar Jahren noch undenkbar gewesen. Das ist das direkte Ergebnis: Mehr internationale Mitglieder bedeuten eine breitere Perspektive und, ganz einfach, einen anderen Geschmack.

Was macht so ein Academy-Mitglied eigentlich?

Die Mitgliedschaft ist kein Orden, den man sich an die Brust heftet. Sie ist vor allem Arbeit: Filme ansehen und abstimmen. Die neu eingeladenen deutschen Kreativen werden jetzt jedes Jahr hunderte Filme sichten müssen. Ihre Stimme hat dabei genau das gleiche Gewicht wie die der größten Hollywood-Legenden. Sie bringen ihre europäische, ihre deutsche Seh-Erfahrung mit ein. Und das beeinflusst langsam, aber sicher, welche Geschichten und welche Art von Schauspielkunst als preiswürdig gelten. Ein schleichender, aber mächtiger Prozess.

eine alte frau mit sakko mit weißen blumen und mit einer pinken halskette und grauer brille und blauen ohrringen, doris dörrie

2. Der deutsche Weg: Zwischen Kunstfreiheit und Förderdschungel

Um unsere Chancen zu kapieren, müssen wir den krassen Unterschied zwischen dem deutschen und dem amerikanischen System begreifen. In Hollywood regiert der Markt. Ein Studio buttert 200 Millionen Dollar in einen Film und erwartet mindestens das Doppelte zurück. Punkt. Bei uns ist das komplett anders. Unser System ist kulturpolitisch gewollt und stützt sich auf eine komplexe Förderlandschaft. Das hat Vor- und Nachteile.

Willkommen im „Förderdschungel“!

Ein deutscher Produzent ist oft zur Hälfte Künstler und zur Hälfte Finanzbeamter. Unsere Arbeit beginnt nicht am Set, sondern mit Anträgen. Die wichtigsten Anlaufstellen, durch die wir uns kämpfen, sind:

  • FFA (Filmförderungsanstalt): Die nationale Filmförderung, die sich aus einer Kinoabgabe finanziert.
  • DFFF (Deutscher Filmförderfonds): Ein automatisches Fördermodell vom Bund, das Produktionen einen Teil der deutschen Kosten zurückerstattet.
  • BKM (Kulturstaatsministerium): Fördert gezielt kulturell besonders anspruchsvolle oder wichtige Projekte.
  • Regionale Förderungen: Jedes Bundesland kocht sein eigenes Süppchen, z.B. das Medienboard Berlin-Brandenburg, FFF Bayern oder die Film- und Medienstiftung NRW.

Ein typischer deutscher Film mit einem Budget von, sagen wir mal, 4 Millionen Euro, wird oft aus drei bis fünf dieser Töpfe zusammengestückelt. Das bedeutet monatelange Arbeit, unzählige Seiten Papierkram und endlose Verhandlungen. Klingt furchtbar mühsam? Ist es auch. Aber – und das ist das große Aber – es gibt uns eine unglaubliche Freiheit. Wir müssen nicht primär an die Kinokasse schielen. Wir können Geschichten erzählen, die in einem rein kommerziellen System niemals das Licht der Welt erblicken würden.

die deutsche autorin doris dörrie, eingeladen von der oscar akademie als mitglied, eine alte frau miteinemweißen schal mit orangen blumen und ästen, frau mit brille

Die Kunst der Kalkulation: Ein Praxisbeispiel

Stell dir einen Arthouse-Film mit 3 Millionen Euro Budget vor. In den USA quasi unmöglich zu finanzieren. Bei uns könnte die Rechnung so aussehen:

  • FFF Bayern: 700.000 € (weil wir in München drehen wollen)
  • FFA: 500.000 € (für das gute Drehbuch)
  • BKM: 400.000 € (weil der Stoff kulturell relevant ist)
  • Senderbeteiligung (z.B. ARD/ZDF): 600.000 € (dafür kriegen die später die TV-Rechte)
  • Verleih-Garantie: 300.000 € (das ist quasi ein Vorschuss vom Verleih, weil er an den Film glaubt; das Geld dient uns als Sicherheit für die Bank)
  • Eigenmittel/Private Investoren: 500.000 € (das ist unser unternehmerisches Risiko)

Achtung, hier kommt der Haken: Bei der regionalen Förderung (im Beispiel die 700.000 € aus Bayern) gibt es den sogenannten „Regionaleffekt“. Das bedeutet, du musst meistens 150 % bis 200 % dieser Summe auch nachweislich wieder in dieser Region ausgeben – für Motive, Team, Technik usw. Das schränkt die Planung massiv ein und ist ein klassischer Stolperstein für Anfänger.

die deutsche Silke Buhr, eine frau mit schwarzen schuhen und einem schwarzen mantel, blauer himmel
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Ach ja, und was muss in so einen Antrag eigentlich rein? Rechnet mal mit: dem fertigen Drehbuch, einer knackigen 10-Seiten-Zusammenfassung (Treatment), den Lebensläufen vom Kernteam, einer auf den Cent genauen Kalkulation und einem Konzept, wer sich den Film verdammt noch mal ansehen soll. Und wie lange dauert das? Seid realistisch: Von der ersten Idee bis zur Förderzusage vergehen oft 1-2 Jahre. Der reine Antragsprozess dauert schon mal 6-9 Monate, wenn alles glattgeht.

Koproduktionen: Ohne Partner geht oft nichts

Für größere Budgets sind internationale Koproduktionen überlebenswichtig. Wenn wir zum Beispiel mit einem französischen Partner arbeiten, können wir auch französische Fördergelder anzapfen. Das ermöglicht Budgets, die für einen rein deutschen Film utopisch wären. Es bedeutet aber auch, dass du mit gemischten Teams arbeitest. Deutscher Regisseur, französische Kamerafrau, belgischer Komponist. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen: Das erfordert enormes Fingerspitzengefühl. Ich erinnere mich an einen hitzigen Streit mit einem französischen Team wegen unterschiedlicher Überstundenregelungen. Was bei uns per Gewerkschaft klar geregelt ist, läuft dort ganz anders. Ohne kulturelle Kompetenz und Geduld kann so ein Projekt ganz schnell implodieren.

3. Die Oscar-Kampagne für Arme: Wie man ohne Millionen auffällt

Viele glauben, ein guter Film wird schon irgendwie von selbst entdeckt. Das ist ein Märchen. Eine Oscar-Nominierung ist das Ergebnis einer sündhaft teuren, strategisch geplanten Kampagne. Hollywood-Studios verballern Millionen für Anzeigen, Events und Lobbyarbeit. Das Geld haben wir nicht. Wir müssen schlauer sein.

Der Festival-Zirkus ist unser Schaufenster

Unser Weg führt über die großen A-Festivals: Berlinale, Cannes, Venedig. Ein Preis bei einem dieser Festivals ist unsere Eintrittskarte. Er schafft die Aufmerksamkeit, die wir brauchen. Plötzlich schreiben die wichtigen US-Fachblätter wie „Variety“ über den kleinen deutschen Film. Das ist Werbung, die wir uns niemals leisten könnten. Danach geht es weiter zu den Festivals in Nordamerika, die als Startrampe für die Oscar-Saison gelten. Ein guter „Buzz“ dort ist alles.

Die Wahl des richtigen Partners

Kein deutscher Produzent kann so eine Kampagne alleine stemmen. Wir brauchen einen Weltvertrieb. Das sind spezialisierte Firmen, die den Film international verkaufen. Die Wahl des richtigen Partners ist eine der wichtigsten Entscheidungen überhaupt. Ein Fehler hier, und dein Film versauert in Deutschland. Wer sind da die relevanten Player im Arthouse-Bereich? Namen, die man kennen sollte, sind zum Beispiel The Match Factory, Beta Cinema oder Films Boutique. Die haben die Kontakte und investieren auch eigenes Geld in die Vermarktung.

4. Die harte Realität: Risiken und Nebenwirkungen

Der Traum vom Goldjungen kann schnell zum Albtraum werden. Man muss ganz ehrlich über die Kehrseiten sprechen.

Kleiner Tipp: Unterschätze das finanzielle Risiko nicht

Eine Oscar-Kampagne, selbst die abgespeckte Version, kostet richtig Geld. Rechne mal mit mindestens 100.000 bis 500.000 Euro für Reisen, Vorführungen und einen US-Publizisten. Dieses Geld müssen oft die Produzenten vorstrecken. Bleibt die Nominierung aus, ist die Kohle weg. Das kann eine kleine Produktionsfirma ruinieren. Das ist keine Anlageberatung, das ist eine Warnung aus der Praxis: Es ist und bleibt ein Glücksspiel mit verdammt hohen Einsätzen.

Sicherheit am Set ist nicht verhandelbar

Jeder erfahrene Produktionsleiter weiß: Die größte Gefahr am Set ist Routine. Wenn man nachlässig wird. Ein Meister für Veranstaltungstechnik ist bei größeren Bauten Pflicht und wir halten uns an die strengen Vorschriften der Berufsgenossenschaften. Trotzdem passieren Unfälle. Und meistens sind es die dummen, kleinen Dinge. Der Klassiker ist die Leiter, die nicht gesichert ist, oder das Kabel, das „nur mal kurz“ im Weg liegt. Genau da passieren die schlimmsten Dinge. Sicherheit ist kein Vorschlag, sie ist ein Befehl. Das ist das Erste, was jeder Azubi bei mir lernt.

5. Und jetzt? Was ich dem Nachwuchs mit auf den Weg gebe

Die internationale Anerkennung ist ein Signal an den Nachwuchs: Es ist möglich! Aber die Anforderungen haben sich geändert.

Neue Fähigkeiten für einen globalen Markt

Fließendes, verhandlungssicheres Englisch ist keine Option mehr, sondern Pflicht. Genauso wichtig: die Grundlagen des internationalen Vertragsrechts. Du musst wissen, was ein „Distribution Agreement“ ist oder was die „Chain of Title“ bedeutet. (Kleiner Exkurs: Die „Chain of Title“ ist die lückenlose Kette aller Rechte-Dokumente – vom Autor des Romans über den Drehbuchautor bis zum Produzenten. Wenn da ein Glied fehlt, ist dein Film quasi wertlos, weil du nicht beweisen kannst, dass er dir gehört.)

Die große Frage: Streamer oder klassische Auswertung?

Netflix, Amazon und Co. winken mit riesigen Budgets und kreativer Freiheit. Sehr verlockend. Aber es gibt einen gewaltigen Haken: den „Buyout“ aller Rechte. Das heißt, sie zahlen dir eine hohe Summe auf einen Schlag und dafür gehört der Film dann ihnen. Für immer. Weltweit.

Das traditionelle deutsche Modell funktioniert anders. Wir finanzieren uns über eine Verwertungskette: Erst Kino, dann DVD/Blu-ray, dann Pay-TV, dann Free-TV, dann Streaming. Jeder dieser Schritte spült über Jahre hinweg Geld zurück in die Firma, das wir für neue Projekte nutzen können. Es ist ein stetiger, tröpfchenweiser Geldfluss, der uns am Leben hält.

Der Streamer-Buyout durchbricht diese Kette. Es ist viel Geld auf einmal, ja. Aber danach ist der Film für dich als Produzent tot – kein Restwert, kein Vermögensaufbau. Es ist eine unternehmerische Sackgasse. Ich rate jungen Produzenten immer, das genau abzuwägen. Ist der schnelle Reichtum die langfristige Unabhängigkeit wert?

Bewahre deine eigene Stimme!

Die größte Gefahr im globalen Geschäft ist die Angleichung. Man versucht, es allen recht zu machen, und produziert am Ende einen Film ohne Gesicht und Haltung. Die Stärke des europäischen Films war immer seine spezifische Perspektive. Einige der größten deutschen Kinoerfolge der letzten Jahrzehnte waren erfolgreich, WEIL sie zutiefst deutsch oder europäisch waren und gerade deshalb universell berührten. Das ist die Lektion, die wir nie vergessen dürfen.

Ein realistischer Blick nach vorn

Die Türen in Hollywood stehen also einen Spalt weiter offen. Das ist gut und eine Anerkennung für unser hohes handwerkliches Niveau. Aber es ist kein Freifahrtschein. Der Weg zum internationalen Erfolg bleibt steinig und erfordert neben Talent vor allem strategisches Denken, kaufmännisches Geschick und eine Zähigkeit wie ein Terrier.

Gut zu wissen für alle, die anfangen wollen: Wie kommt man da überhaupt rein? Fang an, die Branche zu lesen! Abonniere die Newsletter von Fachmagazinen wie „Blickpunkt:Film“ und schau dir die Infos von Organisationen wie „German Films“ an. Geh auf Festivals, auch auf die kleinen. Vernetz dich. Der wichtigste Teil der Arbeit findet nicht auf dem roten Teppich statt, sondern in unzähligen Meetings und bei der mühsamen Suche nach der letzten Finanzierungslücke.

Der nächste große deutsche Film, der international für Furore sorgt, wird nicht in Hollywood geboren. Er entsteht hier, bei uns. Durch die Hände von Handwerkern, die ihre Kunst lieben und die wissen, dass ein guter Film mehr ist als Glamour. Er ist das Ergebnis von Schweiß, Präzision und unbändigem Willen.

Michael von Adelhard

Michael von Adelhard ist 31 Jahre alt. Er arbeitet seit vielen Jahren als Journalist für einige der erfolgreichsten Nachrichten-Portale Deutschlands. Autor vieler Bücher und wissenschaftlicher Publikationen zum Thema «Einfluss sozialer Medien auf Jugendliche«. Schreibt über Themen wie Lifestyle, Umweltschutz, sowie Tech and Gadgets. In seiner Freizeit ist er häufig mit dem Fahrrad unterwegs – so schöpft er Inspiration für seine neuen Artikel.