Schluss mit den Klischees: So schreibst du endlich tiefgründige lateinamerikanische Charaktere
Hollywoods Schatten birgt mehr als nur Glanz – Eva Longoria kämpft gegen die verzerrte Darstellung der Latinos und fordert ein neues Bild.
„Wir sind nicht nur Klischees“, flüstert der Schatten eines alten Filmplakats, das in einem vergessenen Kino hängt. In einer Welt, in der Geschichten Macht haben, erhebt Eva Longoria ihre Stimme für die, die oft im Dunkeln bleiben. Während die Leinwand blitzt und blitzt, fordert sie die Filmindustrie heraus, die wahre Vielfalt der Latino-Kultur zu zeigen – und damit auch die ihrer eigenen Seele.
Gute Geschichten scheitern oft am selben Punkt: Den Charakteren
Egal ob am Schneidetisch, am Set oder am Schreibtisch – ich sehe es immer wieder. Man hat eine geniale Idee, eine spannende Handlung, die Bilder im Kopf sind glasklar, aber die Geschichte… sie zündet einfach nicht. Ganz ehrlich? Meistens liegt das Problem an den Figuren. Sie bleiben flach, wirken wie Pappaufsteller und man kann einfach keine Verbindung zu ihnen aufbauen.
Inhaltsverzeichnis
- Gute Geschichten scheitern oft am selben Punkt: Den Charakteren
- Warum unser Gehirn Stereotype liebt (und wie wir es überlisten)
- Die Werkstatt: Wie man einen echten Charakter zusammenbaut
- Der Mythos vom „einen Latino“: Warum Vielfalt alles ist
- Dein Werkzeugkasten für die Praxis
- Unsere Verantwortung als Geschichtenerzähler
Besonders kritisch wird es, wenn wir über Charaktere schreiben, deren kultureller Hintergrund nicht unser eigener ist. Ich hab das in über zwanzig Jahren als Autor und Berater unzählige Male erlebt. Vor einiger Zeit landete das Drehbuch für eine deutsche Krimiserie auf meinem Tisch. Darin: eine kolumbianische Putzfrau als wichtige Zeugin. Natürlich war sie ängstlich, sprach kaum Deutsch und hatte panische Angst vor der Abschiebung. Ein Klischee, wie es im Buche steht.
Wir haben darüber im Team lange diskutiert. Meine Position war klar: Diese Figur schadet der Geschichte. Sie ist austauschbar, vorhersehbar und, seien wir ehrlich, einfach langweilig. Warum nicht eine kolumbianische Architektin, die um die Anerkennung ihres Diploms kämpft? Oder eine Studentin, die alles tut, um ihr Visum nicht zu verlieren? Eine Figur mit eigenen Zielen, eigenen Widersprüchen. Eine Figur, die mehr ist als nur ihre Herkunft.

Dieser Kampf um echte Charaktere ist kein nettes Extra, er ist das Herzstück unseres Handwerks. Auch die großen Namen in Hollywood kritisieren immer wieder, wie Latinos oft auf die ewig gleichen Rollen festgelegt werden. Das ist nicht nur gesellschaftlich ein Problem, sondern vor allem ein Zeichen für faules und uninspiriertes Schreiben. Dieser Artikel hier ist keine Anklage, sondern ein Werkzeugkasten. Ich will dir zeigen, wie du als Kreativer tiefgründige, echte Charaktere erschaffst, die im Gedächtnis bleiben und deine Geschichte wirklich tragen.
Warum unser Gehirn Stereotype liebt (und wie wir es überlisten)
Um das Problem an der Wurzel zu packen, müssen wir kurz verstehen, wie unser Kopf tickt. Unser Gehirn ist auf Effizienz getrimmt und liebt Abkürzungen. Stereotype sind genau solche Abkürzungen. Hören wir „mexikanischer Gärtner“, ploppt sofort ein fertiges Bild im Kopf auf. Das Gehirn spart sich die Energie, eine komplexe Persönlichkeit zu entwerfen. Für den Alltag mag das manchmal funktionieren, für gutes Storytelling ist es pures Gift.

Ein flacher Charakter erzeugt keine emotionale Bindung. Wir fiebern nicht mit, wir haben keine Angst um ihn. Er ist nur eine Requisite, die eine Funktion erfüllt. Gutes Erzählen braucht aber Reibung und Komplexität. Eine Figur muss Ecken und Kanten haben, sie muss uns überraschen. Wenn sie genau das tut, was wir von ihrem Klischee erwarten, wird die Geschichte gähnend langweilig.
Der goldene Grundsatz: Zeigen, nicht nur behaupten!
Jeder, der mal einen Schreibkurs gemacht hat, kennt den Satz: „Show, don’t tell.“ Sag nicht, dass eine Figur mutig ist. Zeig, wie sie zitternd und mit Herzklopfen trotzdem den entscheidenden Schritt macht. Dasselbe gilt für kulturelle Hintergründe. Schreib nicht „Maria ist eine leidenschaftliche Latina.“ Was soll das heißen? Zeig es uns! Vielleicht kocht sie mit einer Hingabe, die an Besessenheit grenzt. Vielleicht verteidigt sie ihre Liebsten mit einer lauten, unerbittlichen Wut. Vielleicht tanzt sie Salsa, als gäbe es kein Morgen.
Aber – und das ist der entscheidende Punkt – gib diesen Handlungen immer einen individuellen Kern. Warum kocht sie so? Vielleicht ist es die einzige Verbindung, die sie noch zu ihrer verstorbenen Großmutter in Peru hat. Das ist der kleine, aber feine Unterschied zwischen einem Klischee und einem echten Charakter. Denk immer dran: Die Nationalität ist ein Teil einer Person, aber niemals die ganze Person. Ein Ingenieur aus Deutschland wird ja auch durch seine Hobbys, seine Familie und seine Träume definiert. Genauso hat ein Anwalt aus Buenos Aires mehr zu bieten als Tango und Steak. Vielleicht hat er eine heimliche Leidenschaft für deutschen Krautrock. Vielleicht ist er ein furchtbarer Tänzer. Genau diese Widersprüche machen eine Figur lebendig.

Die Werkstatt: Wie man einen echten Charakter zusammenbaut
Gute Charaktere sind kein Zufallsprodukt. Sie sind das Ergebnis von harter Arbeit und bewährten Techniken. Man muss sich das vorstellen wie ein Tischler, der ein Möbelstück baut: mit Sorgfalt, dem richtigen Werkzeug und einem klaren Plan.
Das Fundament: Die Charakterbiografie
Bevor ich auch nur eine einzige Szene schreibe, erstelle ich für meine Hauptfiguren eine detaillierte Biografie, oft mehrere Seiten lang. 90 Prozent davon tauchen später nie im Film auf, aber als Autor muss ich es wissen. Es ist das unsichtbare Fundament, auf dem die Figur steht. Stell dir mal diese Fragen:
- Woher genau kommt die Figur? Nicht nur „Kolumbien“. Sondern: „Ein kleines Dorf in den Bergen bei Medellín“ oder „Die reiche Oberschicht von Bogotá“. Das macht einen Riesenunterschied bei Sprache, Werten und Weltanschauung.
- Wie spricht sie? Perfektes Hochspanisch? Ein bestimmter Dialekt? Englisch mit Akzent? Oder wechselt sie fließend zwischen den Sprachen (Code-Switching)? Ein typischer Fehler in Filmen ist, wenn Charaktere untereinander perfektes Englisch sprechen, obwohl sie alle aus demselben lateinamerikanischen Dorf kommen.
- Was hat ihre Familie geprägt? War der Vater politisch aktiv? Musste die Mutter die Familie allein durchbringen? Gab es Wohlstand oder Armut? Diese Erfahrungen formen eine Person bis ins Mark.
- Was sind ihre kleinen, seltsamen Eigenheiten? Welche Musik hört sie heimlich? Welches Essen katapultiert sie sofort in ihre Kindheit? Ist sie abergläubisch? Hat sie einen komischen Tick beim Kaffeetrinken? Diese Details hauchen einer Figur Leben ein.
Kleine Challenge für dich: Nimm dir jetzt 5 Minuten Zeit und beantworte diese eine Frage für deine Figur: Worüber hat sie sich beim letzten Telefonat mit ihrer Mutter so richtig gestritten? Du wirst sehen, allein diese Überlegung eröffnet ganz neue Facetten.

Recherche, die tiefer geht als Google
Wenn du über eine Kultur schreibst, die nicht deine eigene ist, reicht eine kurze Internetrecherche einfach nicht. Das ist eine Frage des Respekts und der Professionalität. Du musst tiefer graben.
- Tauch ein in die Kunst: Lies Romane und Gedichte von Autoren aus dem jeweiligen Land. Literatur gibt dir einen viel tieferen Einblick in die Seele einer Kultur als jeder Reiseführer. Schau dir Filme und Dokus aus der Region an, am besten in der Originalsprache. Achte darauf, wie die Leute miteinander reden, welcher Humor durchscheint.
- Sprich mit Menschen: Das ist der wichtigste Punkt überhaupt. Such den Kontakt zu Menschen mit dem entsprechenden Hintergrund. Führe lange Gespräche. Frag nicht nur nach Fakten, sondern nach Gefühlen, Erinnerungen und Träumen. Und ganz wichtig: Biete eine faire Bezahlung für ihre Zeit an. Ihre Expertise ist wertvoll.
Ich erinnere mich an eine Produktion, für die wir eine Figur aus El Salvador entwickelten. Wir engagierten eine Kulturberaterin. Sie bewahrte uns vor einem Riesenfehler. Wir wollten die Figur typisch salvadorianische Pupusas essen lassen. Die Beraterin erklärte uns: „Ja, das ist typisch. Aber in der Region, aus der eure Figur kommt, isst man eine ganz spezielle Variante mit einem anderen Teig. Wenn ihr das falsch macht, wird jeder Salvadorianer sofort merken, dass ihr keine Ahnung habt.“ Dieses kleine Detail hat die Glaubwürdigkeit der ganzen Szene gerettet.

Dialoge, die klingen – und die Falle des peinlichen „Spanglish“
Ein Klassiker des schlechten Schreibens: Dialoge werden mit ein paar spanischen Wörtern gespickt, um sie „authentisch“ wirken zu lassen. Das Ergebnis ist meistens nur zum Fremdschämen. „Sí, amigo. Let’s go to the fiesta, por favor.“ So redet kein Mensch. Echter Sprachwechsel, das sogenannte Code-Switching, folgt komplexen, oft unbewussten Regeln. Wenn du dir da nicht absolut sicher bist, lass es lieber. Schreib den Dialog in gutem Deutsch und lass einen Muttersprachler oder einen Experten drüberschauen, an welcher Stelle ein spanisches Wort natürlich und passend wäre.
Der Mythos vom „einen Latino“: Warum Vielfalt alles ist
Einer der größten Denkfehler ist die Annahme, es gäbe eine einheitliche „Latino-Kultur“. Das ist ungefähr so, als würde man behaupten, ein Bayer, ein Friese und ein Berliner hätten dieselbe Kultur, nur weil sie alle Deutsch sprechen. Lateinamerika ist ein riesiger, unfassbar vielfältiger Kontinent.
Nur ein paar Beispiele, um das klarzumachen:
- Mexiko vs. Argentinien: Ein Mexikaner lebt in einer Kultur, die stark von indigenen Traditionen und der direkten Nachbarschaft zu den USA geprägt ist. Ein Argentinier hingegen hat oft starke europäische Wurzeln, vor allem aus Italien und Spanien. Das zeigt sich im Essen, in der Musik (Mariachi vs. Tango) und in der Mentalität.
- Kuba vs. Puerto Rico: Beides sind Karibikinseln mit afrikanischen Einflüssen, aber ihre politische Geschichte könnte nicht unterschiedlicher sein. Ein kubanischer Einwanderer hat oft eine Fluchtgeschichte und eine ganz andere politische Haltung als ein Puertoricaner, der US-Bürger ist und sich frei zwischen Insel und Festland bewegen kann.
- Andenländer vs. Brasilien: Länder wie Peru oder Bolivien haben einen hohen Anteil indigener Bevölkerung und eine von den Bergen geprägte Kultur. Brasilien hingegen ist ein portugiesischsprachiger Gigant mit einem einzigartigen kulturellen Mix aus europäischen, afrikanischen und indigenen Einflüssen.
Als Kreativer musst du dich für eine spezifische Herkunft entscheiden und genau diese recherchieren. Eine Figur, die nur „Latino“ ist, ist keine Figur. Sie ist eine leere Hülle.
Dein Werkzeugkasten für die Praxis
Okay, genug der Theorie. Wie können wir es im Alltag besser machen? Hier sind konkrete Werkzeuge und Denkanstöße, die dir helfen, Klischees zu vermeiden.
Die Klischee-Checkliste für dein Drehbuch
Lies dein fertiges Drehbuch und sei brutal ehrlich zu dir selbst. Prüfe deine lateinamerikanischen Charaktere mit diesen Fragen:
- Der Beruf: Ist der Job ein Klischee (z.B. Gärtner, Drogendealer, Bauarbeiter)?
Bessere Frage: Welchen Beruf würde sich diese Person aussuchen, wenn Geld und Herkunft keine Rolle spielen würden? Und was hält sie wirklich davon ab? - Die Funktion: Dient die Figur nur dazu, Exotik zu liefern, als Übersetzer zu fungieren oder dem weißen Hauptcharakter das Tanzen beizubringen?
Bessere Frage: Was würde passieren, wenn diese Figur die Hauptfigur der Geschichte wäre? Was ist ihr eigenes, dringendes Ziel? - Die Träume: Hat die Figur eigene Ziele, die nichts mit ihrer Kultur zu tun haben? Will sie vielleicht einfach nur einen Marathon gewinnen, eine App entwickeln oder ihre kaputte Beziehung kitten?
Bessere Frage: Worüber macht sich diese Figur nachts um 3 Uhr Sorgen, wenn es nicht um Geld oder Familie geht? - Die Familie: Ist die Familie der Figur überzeichnet (z.B. die überfürsorgliche Oma, der Macho-Bruder)?
Bessere Frage: Welches Familiengeheimnis würde diese Figur um jeden Preis schützen? - Die Rettung: Wird die Figur am Ende „gerettet“, vielleicht sogar von einem weißen Charakter (der klassische „White Savior“-Moment)?
Bessere Frage: Welche unerwartete Stärke oder Fähigkeit entdeckt die Figur in sich selbst, um ihr Problem allein zu lösen?
Wenn du bei mehreren Punkten der ursprünglichen Fragen „Ja“ antwortest, ist das ein Alarmsignal. Geh zurück an die Arbeit. Dein Charakter ist noch nicht stark genug.
Der Profi-Tipp: Kulturberater engagieren
Kein Autor kann Experte für alle Kulturen dieser Welt sein. Das ist keine Schande, sondern eine Tatsache. Professionelle Produktionen arbeiten deshalb mit Kulturberatern. Das ist kein Luxus, sondern eine absolute Notwendigkeit für Qualität.
- Wo finde ich die? Ein guter Startpunkt sind Kulturinstitute (wie das Instituto Cervantes), Universitäten oder lokale Community-Vereine. Es gibt auch spezialisierte Agenturen.
- Wann hole ich sie dazu? So früh wie möglich! Am besten schon bei der Entwicklung des Konzepts, nicht erst, wenn das Drehbuch schon fertig ist und man nur noch ein paar Fehler ausbügeln will.
- Was kostet das? Das ist oft die erste Hürde, also mal Butter bei die Fische: Rechne für einen freiberuflichen Berater mit einem Stundensatz zwischen 50 € und 150 €. Agenturen können teurer sein, liefern aber oft ein komplettes Paket. Sieh es als Investition, die dich vor peinlichen Fehlern und öffentlicher Kritik schützt.
- Wie arbeite ich mit ihnen? Sieh den Berater nicht als Zensor, sondern als kreativen Partner. Hör zu, stell Fragen und sei offen für Kritik. Ein guter Berater wird deine Geschichte nicht zerreißen, sondern sie reicher und authentischer machen.
Kein Budget? Kein Problem! 3 Dinge, die du trotzdem tun kannst:
Wenn du als freier Autor gerade knapp bei Kasse bist, ist das keine Ausrede für mangelnde Recherche. Erstens: Werde aktiv in Online-Communitys. Auf Plattformen wie Reddit gibt es Foren (z.B. r/asklatinamerica), wo du respektvoll Fragen stellen kannst. Zweitens: Nutze die Mediatheken und YouTube. Es gibt unzählige kostenlose Dokumentationen, Interviews und Reiseberichte. Drittens: Folge Autoren, Journalisten und Künstlern aus den jeweiligen Ländern auf Social Media. So bekommst du ein Gefühl für aktuelle Themen und den Zeitgeist.
Der Kampf im System: Wie man Produzenten überzeugt
Manchmal scheitern gute Ideen nicht am Autor, sondern am System. Sender und Produzenten haben oft Angst vor dem Unbekannten und setzen lieber auf das, was schon mal funktioniert hat. Sei auf Sätze wie „Das versteht der Zuschauer nicht“ oder „Ist das nicht zu nischig?“ vorbereitet.
Dein Konter: Argumentiere mit Qualität und verweise auf internationale Erfolge, die mit authentischen, diversen Charakteren Kasse gemacht haben. Betone, dass sich der Markt verändert und das Publikum, besonders das jüngere, sich nach neuen, echten Geschichten sehnt. Übrigens: Viele Filmförderungen haben Diversität mittlerweile als wichtiges Förderkriterium. Das ist nicht nur ein moralisches, sondern auch ein knallhartes strategisches Argument.
Unsere Verantwortung als Geschichtenerzähler
Am Ende des Tages haben wir eine riesige Macht. Wir prägen Bilder in den Köpfen von Millionen von Menschen. Daraus erwächst eine Verantwortung. Ein guter Handwerker ist stolz auf seine Arbeit und steht für ihre Qualität ein. Das sollten wir auch tun.
Ein letzter Gedanke: Authentische Charaktere zu erschaffen, ist mehr als nur eine technische Übung. Es ist der Versuch, die Welt in ihrer ganzen wunderbaren Komplexität zu verstehen und abzubilden. Es ist der Unterschied zwischen einem seelenlosen Produkt und einem bleibenden Werk. Jedes Mal, wenn wir ein Klischee durch einen echten, atmenden Menschen ersetzen, machen wir nicht nur unsere Geschichte besser. Wir machen die Welt auch ein kleines bisschen verständlicher. Und das, finde ich, ist eine Aufgabe, die man verdammt ernst nehmen sollte.
