Vom Flop zur Meisterklasse: Warum du der „His Dark Materials“-Serie eine Chance geben musst
Erlebe die Magie einer neuen Ära – His Dark Materials bringt dich in eine Welt voller Abenteuer und Geheimnisse. Bereit für die Reise?
„Die Schatten der Vergangenheit flüstern in den Ohren der Unschuldigen.“ So könnte es Lyra Belacqua in ihrem alternativen Oxford ergehen, während der Daemon an ihrer Seite die Geheimnisse dieser mysteriösen Welt entschlüsselt. Diese Serie verspricht, die Grenzen zwischen Realität und Phantasie zu verwischen und uns auf eine fesselnde Reise mitzunehmen.
Ganz ehrlich? Wenn es um Buchverfilmungen geht, bin ich von Natur aus skeptisch. Zu oft habe ich erlebt, wie die Seele einer großartigen Geschichte auf dem Weg zur Leinwand verloren geht. Und bei der „His Dark Materials“-Trilogie war die Fallhöhe gigantisch. Diese Bücher sind so viel mehr als nur Fantasy – sie sind ein komplexes Geflecht aus Philosophie, Abenteuer und knallharter Gesellschaftskritik.
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Deshalb saß der Stachel nach dem ersten Kinofilm-Versuch auch so tief. Erinnerst du dich? Es fühlte sich an, als hätte man ein Schweizer Uhrwerk mit dem Vorschlaghammer „vereinfacht“. Alle heiklen, aber wichtigen Teile wurden aus Angst vor Kontroversen entfernt. Was übrig blieb, war eine hübsche, aber seelenlose Hülle.
Als dann eine neue Serienadaption angekündigt wurde, war ich also… vorsichtig optimistisch. Die Frage war ja nicht, ob man es besser machen könnte als der Film. Die Hürde war lächerlich niedrig. Die eigentliche Frage war: Trauen sich die Macher, dem Geist der Bücher wirklich gerecht zu werden? Nach drei kompletten Staffeln kann ich sagen: Ja, verdammt. Und wie sie sich trauen. Das hier ist nicht nur eine gute Serie, es ist ein Lehrstück, wie man eine Adaption richtig macht.

Dein perfekter Einstieg: Buch, Serie oder beides?
Bevor wir aber ins Detail gehen, die wichtigste Frage zuerst: Wie steigst du am besten in dieses Universum ein? Die Serie, die du in Deutschland komplett bei WOW (ehemals Sky Ticket) streamen oder bei Diensten wie Amazon Prime für ca. 20–25 € pro Staffel kaufen kannst, ist mit ihren drei Staffeln abgeschlossen und erzählt die Haupttrilogie zu Ende.
Mein persönlicher Rat: Wenn du die Zeit hast, lies zuerst die Bücher. Die Original-Trilogie („Der Goldene Kompass“, „Das Magische Messer“, „Das Bernstein-Teleskop“) ist unschlagbar, wenn es um die Tiefe der Gedanken und die innere Welt der Charaktere geht. Achte beim Kauf darauf, die neuere Übersetzung zu erwischen, viele finden sie etwas moderner. Die Taschenbücher kosten je etwa 12-15 €.
Aber keine Sorge, die Serie funktioniert auch ohne Vorkenntnisse absolut fantastisch. Sie ist sogar so gut gemacht, dass sie eine perfekte Einführung ist. Die Prequel/Sequel-Reihe „The Book of Dust“ solltest du dir aber auf jeden Fall für später aufheben, die baut stark auf dem Wissen der Originalgeschichte auf.

Warum das Original so verdammt schwer zu verfilmen ist
Um zu kapieren, was die Serie so gut macht, muss man verstehen, warum das Ausgangsmaterial so knifflig ist. Oft wird es als eine Art Anti-„Narnia“ bezeichnet, aber das ist zu kurz gegriffen. Während die bekannte Allegorie eine christliche Botschaft vermittelt, ist diese Erzählung eine direkte Auseinandersetzung damit. Der Kern ist die Umkehrung der Sündenfall-Geschichte: Hier ist der Griff zur Frucht der Erkenntnis kein Fall, sondern ein glorreicher Aufstieg zu Weisheit und Bewusstsein.
Zwei Konzepte machen eine Verfilmung zur Herkulesaufgabe:
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Staub: Das ist kein Dreck, der unterm Sofa liegt. Staub ist das Mysterium der Geschichte – Materie, die sich ihrer selbst bewusst geworden ist. Die herrschende Kirchenmacht, das Magisterium, fürchtet ihn als Verkörperung der Erbsünde. Aber wie zur Hölle visualisiert man so ein abstraktes Konzept, ohne dass es kitschig wird? Die Serie löst das brillant, indem sie Staub als feinen, goldenen Schimmer darstellt, der auf Weisheit und Erfahrung reagiert. Poetisch, geheimnisvoll und nicht plump „magisch“.
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Dæmonen: Das sind keine bloßen Tierbegleiter. Ein Dæmon ist die sichtbare, physische Manifestation der menschlichen Seele. Mensch und Dæmon sind eine Einheit, sie teilen jeden Schmerz und jede Freude. Bei Kindern wechseln sie ständig die Form, was ihre offene Natur widerspiegelt. Bei Erwachsenen nehmen sie eine feste Gestalt an – ein Symbol für die gefestigte Identität. Diese ständige, nonverbale Verbindung darzustellen, ist die eigentliche Kunst. Und genau hier glänzt die Serie.

Der alte Film vs. die neue Serie: Ein Unterschied wie Tag und Nacht
Der frühere Kinofilm ist das perfekte Negativbeispiel. Aus Angst vor Ärger wurde die komplette Religionskritik rausgestrichen. Das Magisterium war plötzlich nur noch eine undefinierbare Behörde. Das ist, als würdest du einen Sportwagen ohne Motor verkaufen. Noch schlimmer: Das Ende des ersten Buches – ein tragischer, schockierender Verrat, der für die Hauptfigur alles verändert – wurde durch ein billiges Happy End ersetzt. Damit hat man nicht nur die Geschichte verraten, sondern auch das Publikum für dumm verkauft.
Die Serie macht genau das Gegenteil. Sie nimmt die komplexen Themen ernst und gibt ihnen Raum. Hier wird nichts weichgespült.
Eine der mutigsten Entscheidungen war, die Parallelwelten von Anfang an zu verweben. Im ersten Buch lernen wir die zweite Hauptfigur, einen Jungen aus unserer Welt, erst im zweiten Band kennen. Die Serie stellt ihn schon in der ersten Staffel vor. Puristen rümpften die Nase, aber aus erzählerischer Sicht war es genial. So verstehen wir als Zuschauer sofort, dass hier größere Zusammenhänge wirken und die Schicksale der beiden von Anfang an verbunden sind. Das ist eine smarte Anpassung an das Medium Fernsehen.

Eine Welt, die atmet: Design und Schauspiel
Auch optisch ist die Serie ein Meisterwerk. Lyras Oxford ist kein typisches Mittelalter-Fantasy-Dorf, sondern eine Mischung aus Art-Déco-Pracht und Steampunk-Technologie. Es wirkt traditionsbewusst, aber auch erstarrt – perfekt für eine Welt unter der Kontrolle des Magisteriums. Dessen Gebäude wiederum sind brutalistisch, kalt und kantig. Nichts ist Zufall, alles erzählt die Geschichte mit.
Und die Darsteller… einfach grandios. Vor allem die Schauspielerin, die Mrs. Coulter verkörpert, ist eine Offenbarung. Ihr ständiger, leiser Kampf mit ihrem goldenen Affen-Dæmon – wie sie ihn manchmal fast zärtlich streichelt und im nächsten Moment brutal zurückweist – ist eine Studie in unterdrücktem Selbsthass. Man spürt ihren inneren Konflikt in jeder Sekene, ohne dass ein Wort darüber fällt.
Kleiner Tipp von mir: Achte beim Schauen mal ganz gezielt darauf, wie die Darsteller mit ihren (digitalen) Dæmonen interagieren, selbst wenn sie nur am Rande des Bildes sind. Die Blicke, die kleinen Gesten, das unsichtbare Band – das ist Schauspielkunst auf höchstem Niveau.

Eine kleine Warnung zum Schluss
Bevor du jetzt sofort losstreamst, eine kleine Warnung. Das ist keine Wohlfühl-Geschichte. Sie stellt unbequeme Fragen über Autorität, Glauben und Rebellion. Sie feiert die Neugier und den freien Willen als höchste Güter. Wenn du eine klare Einteilung in Gut und Böse suchst, bist du hier falsch. Die Figuren sind wunderbar kompliziert und widersprüchlich.
Aber genau das macht die Faszination aus. Die Serie ist mit ihren insgesamt 23 Folgen (FSK meist ab 12 Jahren) eine der besten, intelligentesten und mutigsten Literaturverfilmungen, die ich je gesehen habe. Sie beweist, dass man einem erwachsenen Publikum komplexe Themen zutrauen kann, ohne seine Seele zu verkaufen. Ein echtes Handwerksstück.
Ach ja, und wusstest du schon? Der Autor der Bücher hat selbst einen winzigen Gastauftritt in der ersten Staffel. Halte im Speisesaal von Jordan College mal die Augen nach einem Gelehrten mit Bart offen. Ein kleines Augenzwinkern für alle, die genau hinsehen.
Inspirationen und Ideen
Das Herzstück der Serie: die Dæmonen. Anders als im Film, wo sie oft nur niedliche Sidekicks waren, sind sie hier integraler Bestandteil der Seele eines Charakters. Die preisgekrönte Arbeit des VFX-Studios Framestore (bekannt für „Gravity“ und „Blade Runner 2049“) sorgt dafür, dass jede Bewegung, jeder Blick von Pantalaimon oder dem Goldenen Affen eine emotionale Wucht hat. Man spürt die Verbindung, den Schmerz, die Freude – eine technische und erzählerische Meisterleistung.
„Jeder sollte Paradise Lost lesen“, sagte Philip Pullman einmal, „das ist die Grundlage für alles.“
Diese Aussage ist der Schlüssel zum Verständnis der Serie. Es ist keine simple Gut-gegen-Böse-Geschichte. Pullman adaptiert John Miltons Epos über den Sündenfall und stellt kühn die Frage: War die Rebellion gegen eine autoritäre Allmacht vielleicht gar keine Sünde, sondern ein notwendiger Schritt zur Freiheit und zum Wissen? Die Serie scheut sich nicht, diese komplexen, theologischen und philosophischen Fragen aufzugreifen – genau das, was den Film so zahnlos machte.
Was genau ist eigentlich das Magisterium?
Stell es dir nicht als klassisches Fantasy-Reich des Bösen vor. Das Magisterium ist eine allmächtige, theokratische Organisation, die in Lyras Welt die Wissenschaft, Politik und das tägliche Leben kontrolliert. Ihre größte Angst ist der freie Wille und das unkontrollierte Wissen, symbolisiert durch den „Staub“. Die Serie stellt brillant dar, wie sich diese Institution durch Kontrolle, Zensur und dogmatische Regeln an der Macht hält – eine kaum verhüllte Kritik an historischen und gegenwärtigen autoritären Machtstrukturen.
- Das kaum hörbare, goldene Flüstern des Staubs.
- Die präzisen, mechanischen Klicks des Alethiometers.
- Die unheimliche Stille der Geisterwelt.
Das Geheimnis der Atmosphäre? Der Soundtrack von Lorne Balfe. Er schafft es, jedem Ort und jeder Emotion eine eigene Klangfarbe zu geben, die weit über die übliche orchestrale Untermalung hinausgeht.
Ein zentraler Grund für den Erfolg der Serie ist das phänomenale Casting, das weit über die bloße Ähnlichkeit mit den Buchfiguren hinausgeht. Dafne Keen verkörpert Lyras ungestüme, wilde und doch verletzliche Natur perfekt. An ihrer Seite brilliert Amir Wilson als der ernste, von Verantwortung gezeichnete Will Parry. Der wahre Geniestreich ist jedoch Ruth Wilson als Marisa Coulter: Ihre Darstellung ist eine faszinierende, erschreckende Mischung aus eiskalter Kontrolle, verletztem Stolz und einer tief verborgenen, fast animalischen Mutterliebe. Sie ist der furchterregende, charismatische Mittelpunkt, den die Geschichte braucht.
Deutsche Erstübersetzung: Gilt als klassisch, kann aber heute etwas steif wirken.
Neuübersetzung (Carlsen Verlag): Wird von vielen Lesern als flüssiger, moderner und näher am Rhythmus von Pullmans Originalprosa empfunden.
Gerade wenn man neu in die Welt einsteigt, ist die modernere Übersetzung oft die bessere Wahl, um den erzählerischen Flow voll auszukosten.
Wusstest du schon? Am Set interagierten die Schauspieler nicht mit leeren Händen. Für jeden Dæmon gab es eine eigene Puppe, die von professionellen Puppenspielern bewegt wurde. So konnten die Darsteller, insbesondere Dafne Keen, eine echte emotionale Verbindung aufbauen, bevor die Magie der CGI-Künstler einsetzte.
Wenn du mit der Trilogie durch bist und mehr willst, gibt es Nachschub:
- Die „The Book of Dust“-Trilogie: Ein Prequel/Sequel, das die Geschichte um Lyras Geburt („La Belle Sauvage“) und ihr Leben als junge Erwachsene („The Secret Commonwealth“) erweitert. Unbedingt nach der Haupttrilogie lesen!
- „Lyras Oxford“ & „Über den wilden Strom“: Zwei kurze Novellen, die kleine, aber feine Lücken füllen und das Universum noch reicher machen.
