Das Geheimnis guter Bücher: Was ein Buchbinder über den wahren Wert von Geschichten denkt
Ein neues Kinderbuch von J. K. Rowling, das kostenlos online lesbar ist? Das klingt nach einem Märchen, das man nicht verpassen sollte!
„Die Wahrheit ist ein schimmernder Ickabog, der in den Schatten der Macht lauert.“ So könnte ein weiser König einst gesagt haben. Mit ihrem neuen Werk nimmt uns J. K. Rowling mit auf eine zauberhafte Reise, die nicht nur Kinderherzen höherschlagen lässt. Inmitten der Pandemie öffnete sie die Türen zu einer imaginären Welt, die den kleinen Lesern Trost und Abenteuer bietet.
In meiner Werkstatt habe ich, ehrlich gesagt, schon unzählige Bücher in den Händen gehalten. Schwere, alte Schinken mit rissigem Ledereinband, die nach Geschichte riechen. Und natürlich auch moderne Taschenbücher, bei denen man schon beim ersten Aufklappen Angst hat, dass die Klebebindung den Geist aufgibt. Als Buchbindermeister lernt man schnell, ein Buch nicht nur nach seinem Inhalt zu beurteilen. Man spürt das Papier, prüft die Stabilität des Rückens und versteht: Ein Buch ist ein Handwerksprodukt. Entweder für die Ewigkeit gemacht – oder für den schnellen Konsum.
Inhaltsverzeichnis
Als vor einiger Zeit ein ganz besonderes Märchen, „Der Ickabog“, während einer außergewöhnlichen globalen Situation erschien, war das speziell. Es landete nicht sofort als fertiges Buch in den Läden, sondern wurde Kapitel für Kapitel kostenlos online veröffentlicht. Viele fanden das eine nette Geste, andere eine clevere Marketingaktion. Ich sah darin etwas anderes: eine Chance, mal wieder über den wahren Wert einer Geschichte nachzudenken. Was ist ein Buch, wenn es keine Seiten zum Umblättern hat? Und was können wir – Eltern, Leser, Handwerker – aus einer Erzählung über Wahrheit, Angst und Gemeinschaft wirklich mitnehmen?

Ganz ehrlich? Dieses Buch ist mehr als nur ein digitales Märchen. Es ist ein Lackmustest dafür, was wir Kindern über die Welt beibringen. Und es ist eine kraftvolle Erinnerung daran, dass die Qualität einer Geschichte und die Qualität ihrer physischen Form oft Hand in Hand gehen.
Die Seele der Geschichte: Wahrheit und Macht
Jede wirklich gute Geschichte hat einen wahren Kern. „Der Ickabog“ ist da keine Ausnahme. Die Autorin selbst beschrieb es als ein Märchen über Wahrheit und den Missbrauch von Macht – ein Thema, so alt wie die Menschheit selbst. Die Handlung führt uns in ein Königreich, das von einem eitlen König regiert wird. Als das Gerücht über ein Monster aufkommt, nutzen seine korrupten Berater die Angst der Bevölkerung schamlos aus, um Steuern zu erheben und ihre eigene Macht zu sichern.
Das ist keine reine Fantasie. In meiner Lehre habe ich gelernt, dass Präzision und Ehrlichkeit die Grundpfeiler meines Handwerks sind. Ein Buchrücken, der nicht exakt im Winkel steht, bricht irgendwann. Ein Faden, der nicht fest genug gezogen wird, lässt Seiten herausfallen. Diese handwerkliche Ehrlichkeit überträgt sich aufs Leben. Wenn ich einem Lehrling zeige, wie man ein Werkstück beurteilt, bringe ich ihm bei, genau hinzusehen. Ist das Material gut? Ist die Arbeit sauber? Oder versucht hier jemand, einen Mangel zu vertuschen?

Und genau das lernen Kinder auch in dieser Geschichte. Sie lernen, die Motive der Figuren zu hinterfragen:
- Warum lügt der eine Berater? Er giert nach Macht und Reichtum. Die Geschichte zeigt aber wunderbar, dass seine Lügen am Ende nur Zerstörung bringen.
- Warum schweigt der König? Aus Feigheit und Bequemlichkeit. Kinder sehen so, dass Wegschauen manchmal genauso schlimm sein kann wie die böse Tat selbst.
- Wer traut sich, die Wahrheit zu sagen? Am Ende sind es die Kinder, die den Mut aufbringen, die Lügen aufzudecken. Sie zeigen, dass Ehrlichkeit Stärke erfordert.
Diese Lektionen sind fundamental, gerade heute. Wir leben in einer Zeit, in der Informationen und Falschinformationen oft schwer zu trennen sind. Ein Buch wie dieses gibt Eltern ein Werkzeug an die Hand. Man kann nach einem Kapitel innehalten und fragen: „Was meinst du, warum hat die Figur das getan? War das richtig? Was hättest du gemacht?“ So wird aus passivem Vorlesen ein aktives Gespräch über Werte. Das ist Erziehung im besten Sinne.

Digitales Erlebnis vs. echtes Buch: Ein handwerklicher Vergleich
Dass die Geschichte zuerst online erschien, war eine Notwendigkeit der Zeit und machte sie für alle zugänglich. Genial war auch der Illustrationswettbewerb, der Kinder zu Mitschöpfern machte. Trotzdem sehe ich als Handwerker natürlich den riesigen Unterschied zwischen einer Datei auf dem Bildschirm und einem echten Buch in der Hand.
Die Seele eines gedruckten Buches
Ein gedrucktes Buch spricht alle Sinne an. Ich denke da an die fertige Hardcover-Ausgabe, die später erschien. Die Wahl des Papiers ist so entscheidend! Ein glattes, gestrichenes Papier lässt Farben leuchten, während ein raueres, cremefarbenes Werkdruckpapier sich einfach wärmer und gemütlicher anfühlt. Die meisten Standardbücher nutzen ein Papier um die 90 g/m². Für ein besonderes Kinderbuch, das lange halten soll, investieren gute Verlage aber gerne in 120 g/m² oder mehr, damit die Druckfarbe nicht durchscheint und die Seite sich wertig anfühlt.
Und dann, ach ja, die Bindung. Das ist mein Spezialgebiet! Die meisten Taschenbücher, die du für rund 10 € kaufst, sind heute klebegebunden (man nennt das auch „PUR-Klebebindung“). Das ist schnell, günstig und der Buchblock ist hinten einfach ein glatter, verleimter Block. Bricht man es zu stark auf, knackt der Rücken und die ersten Seiten lösen sich. Es ist für den schnellen Verbrauch gedacht.

Die Königsklasse ist aber die Fadenheftung. Hier werden die gefalteten Papierbögen in kleinen Bündeln (Lagen) miteinander vernäht, bevor sie in den Einband kommen. Ein solches Buch lässt sich wunderbar flach aufschlagen, ohne zu brechen, und hält praktisch ein Leben lang. Es ist die Art von Qualität, die man bei einem Hardcover für 25 € oder mehr erwartet – und auch bekommen sollte.
Kleiner Detektiv-Tipp für den Buchladen: Du willst wissen, ob du ein langlebiges, fadengeheftetes Buch in der Hand hältst? Schau dir das geschlossene Buch von oben oder unten an. Siehst du am Buchrücken kleine, separate Papierbündel, die wie winzige Hefte aussehen? BINGO! Das sind die vernähten Lagen. Ist alles ein einziger, glatter Block? Dann ist es wahrscheinlich eine Klebebindung.
Vom Wert der Arbeit und der Erinnerung
Oft wird gesagt, die Autorin hätte das Buch „verschenkt“. Das stimmt aber nur für die digitale Version. Das gedruckte Buch hat seinen Preis, und das ist auch gut so. Denn Qualität kostet nun mal. Ein gutes Hardcover für ca. 25 Euro ist keine Abzocke, sondern eine bewusste Entscheidung des Verlags für Langlebigkeit.
Stell dir vor:
- Das Taschenbuch (ca. 10-15 €): Oft holzhaltiges Papier, das mit der Zeit vergilbt. Eine einfache Klebebindung, die bei starker Nutzung brechen kann. Ein dünner Kartoneinband. Perfekt für den Urlaub, aber kein Erbstück.
- Das Hardcover (ca. 25-30 €): Säurefreies, alterungsbeständiges Papier. Eine robuste Fadenheftung, die Generationen überdauert. Ein stabiler, oft mit Leinen oder speziellem Papier bezogener Einband. Manchmal sogar mit einer schicken Prägung.
Wer das versteht, kauft nicht nur eine Geschichte, sondern investiert in ein Stück Handwerk.
Ein Buch für Generationen: Pflege und Erste Hilfe
Letzte Woche kam eine Kundin in meine Werkstatt. Sie hatte das zerfledderte Lieblingsmärchenbuch ihres Vaters dabei, die Seiten fielen schon beim Ansehen heraus. Das zu reparieren, ist mehr als nur Handwerk – das ist Erinnerungen retten. Damit deine Lieblingsbücher nicht so enden, hier ein paar einfache Regeln:
- Sonne meiden: UV-Strahlen sind der Tod für Farben und Papier. Also nicht auf der Fensterbank lagern!
- Aufrecht stellen: Bücherstapel sehen vielleicht cool aus, aber der Druck schadet den unteren Bänden. Besser stehend im Regal.
- Den Rücken schonen: Ein neues Buch niemals sofort mit Gewalt um 180 Grad aufbiegen. Blättere es von vorne und hinten sanft durch, um den Rücken langsam zu dehnen.
Achtung, kleiner Erste-Hilfe-Tipp! Ist eine Seite eingerissen? BITTE, benutze niemals normales Klebeband (Tesafilm)! Der Kleber wird mit der Zeit braun, frisst sich ins Papier und macht alles nur schlimmer. Hol dir aus dem Bastel- oder Bürobedarf lieber spezielles, säurefreies und nahezu unsichtbares Dokumenten-Reparaturband. Das kostet nur ein paar Euro die Rolle und rettet dein Buch, ohne es langfristig zu beschädigen.
Und jetzt eine kleine Aufgabe für dich: Schnapp dir dein ältestes Lieblingsbuch. Wie sieht der Rücken aus? Was für eine Bindung hat es? Schau mal genau hin und entdecke die Handwerkskunst dahinter!
Dein 5-Minuten-Buch-Check im Laden
Damit du beim nächsten Mal nicht die Katze im Sack kaufst, hier deine persönliche Checkliste. So wirst du zum Buch-Profi:
1. Fühl das Papier: Ist es hauchdünn und durchscheinend oder griffig und stabil? Deine Finger lügen nicht!
2. Mach den Detektiv-Check: Schau von oben auf den Buchblock. Siehst du die kleinen, gebündelten Lagen der Fadenheftung? Ein super Zeichen!
3. Öffne es vorsichtig: Gib der Buchmitte sanft nach oder knackt und knirscht es verdächtig? Ein gutes Buch öffnet sich geschmeidig.
Gut zu wissen: Die deutsche Hardcover-Ausgabe vom „Ickabog“ aus dem Carlsen Verlag (ISBN 978-3-551-55822-7) ist zum Beispiel ein schönes, fadengeheftetes Buch. Daran kann man sich orientieren.
Fazit: Ein Märchen für unsere Zeit
„Der Ickabog“ ist ein faszinierendes Phänomen. Es zeigt uns, dass eine gute Geschichte in jedem Medium funktioniert. Aber es erinnert uns auch daran, dass das physische Buch einen unersetzlichen Wert hat. Es ist ein Stück Handwerk, ein Speicher für Erinnerungen und ein Vermächtnis.
Für mich als Buchbinder ist die Lehre klar: Ob wir eine Geschichte erzählen oder ein Buch binden, die Prinzipien sind dieselben. Wir brauchen gute Materialien, Sorgfalt und Ehrlichkeit. Das gedruckte Buch gibt der Geschichte ein Zuhause. Ein festes, beständiges Zuhause, das man in die Hand nehmen, ins Regal stellen und eines Tages weitergeben kann. Und das ist vielleicht die schönste Eigenschaft eines wirklich guten Buches.