Was ein Meisterwerk uns wirklich übers Filmemachen lehrt – mehr als nur Applaus
Ein Film, der die Grenzen sprengt: „Parasite“ ist der erste fremdsprachige Oscar-Gewinner in der Geschichte. Entdecke, was ihn so besonders macht!
„Was wäre, wenn die Realität wie ein Film wäre?“ fragte einst ein visionärer Geist. „Parasite“ hat diese Frage auf ein neues Level gehoben. Als der erste fremdsprachige Film, der den Oscar für den besten Film gewinnt, entfaltet sich hier eine Geschichte, die sowohl das Publikum als auch die Academy überrascht hat. Die Grenzen zwischen Arm und Reich verschwimmen in einer fesselnden Gesellschaftssatire, die zum Nachdenken anregt.
Ich saß damals in der Farbkorrektur für ein deutsches Fernsehdrama. Die Nächte waren lang, der Kaffee lief literweise. Als dann die Nachricht kam, dass dieser eine, besondere Film den ganz großen internationalen Preis gewonnen hatte, hielten wir alle für einen Moment inne. In unserem abgedunkelten Raum, tausende Kilometer von Hollywood entfernt, spürte man eine echte Veränderung. Kein lauter Knall, eher so ein tiefes, seismisches Rumpeln.
Inhaltsverzeichnis
Viele Kollegen sahen es als einen Sieg über das etablierte System. Ich sah etwas anderes, etwas viel Wichtigeres: den Sieg des puren, ehrlichen Handwerks. Dieser Film ist keine plötzliche Revolution. Er ist das Ergebnis meisterhafter Präzision, jahrelanger Erfahrung und eines unbestechlichen Blicks für Details. Für uns, die wir tagtäglich Filme machen, ist er keine Zauberei, sondern eine Blaupause. Eine Erinnerung daran, worauf es wirklich ankommt, wenn das Scheinwerferlicht ausgeht und die Arbeit beginnt.
Das Fundament: Warum die Geschichte nur der Anfang ist
Jeder gute Film beginnt natürlich mit einem soliden Drehbuch. Das ist die Basis, das Fundament des Hauses. Aber ein genialer Bauplan allein garantiert noch kein stabiles Gebäude, oder? Die wahre Kunst, das, was am Ende zählt, liegt in der Ausführung. Bei diesem Film ist das Drehbuch brillant, keine Frage. Doch sein Erfolg steht auf mehreren Säulen, die jeder Filmschaffende, vom neugierigen Anfänger bis zum alten Hasen, genau studieren sollte.

Die Sprache der Kamera: Wie Bilder Hierarchien erschaffen
Was der Regisseur und sein Kameramann hier geleistet haben, ist pures Lehrbuchmaterial. Sie benutzen die Kamera nicht nur, um die Geschichte zu zeigen. Sie benutzen sie, um die sozialen Gräben fühlbar zu machen.
Achte mal bewusst darauf, wenn du den Film siehst: Wie oft bewegt sich die Kamera nach oben oder unten? Die eine Familie lebt im Souterrain, ihr Blick geht immer nach oben, aus dem Dreck heraus. Um zum Haus der reichen Familie zu gelangen, müssen sie endlose Treppen steigen. Die Reichen wiederum blicken von ihrem Hügel auf die Stadt herab. Das ist keine zufällige Bildsprache, das ist visuelle Soziologie in Reinform.
Kleiner Tipp zum Selbermachen: Nimm einfach mal dein Handy. Filme eine Kaffeetasse zuerst von Tischhöhe aus. Dann leg dich auf den Boden und filme sie von unten nach oben. Und dann steig auf einen Stuhl und filme sie von oben herab. Merkst du, wie sich die „Macht“ und Präsenz der Tasse verändert? Genau das ist die Basis visueller Sprache. So einfach und so wirkungsvoll.

Im Handwerk sprechen wir von der „Blickachse“ und der Wahl der Objektive. Stell dir vor, die klaustrophobische Kellerwohnung wird mit einem extremen 16mm-Weitwinkelobjektiv gefilmt, das die Ränder verzerrt und alles noch bedrohlicher wirken lässt. Das Gespräch im luxuriösen Garten hingegen wird vielleicht mit einem sanften 85mm-Objektiv gefilmt, das den Hintergrund wunderschön verschwimmen lässt und eine heile Welt vorgaukelt. Das sind keine technischen Spielereien. Das ist die Grammatik des Films.
Übrigens: Du musst dafür keine Tausende von Euro ausgeben. Günstige, aber tolle Alternativen für DSLR-Filmer sind zum Beispiel ein Samyang 14mm (kostet um die 300-400€) und ein altes, manuelles 50mm-Objektiv vom Flohmarkt für einen Fünfziger. Damit kannst du schon Welten erschaffen!
Das Szenenbild: Wenn der Drehort zum Hauptdarsteller wird
Ich habe mit vielen genialen Szenenbildnern gearbeitet. Die besten von ihnen sind keine Dekorateure, sie sind Architekten von Welten. Das Haus der reichen Familie in diesem Film ist das perfekte Beispiel. Es wurde extra für den Film gebaut. Jede Linie, jede Fensterfront, jeder Schattenwurf ist bis ins Kleinste kalkuliert. Das riesige Wohnzimmer ist wie eine Bühne, auf der die Familie ihr Leben aufführt.

Ein guter Szenenbildner denkt an alle Sinne. Man kann die unterschiedlichen Ebenen fast riechen: oben die saubere, sterile Luft der Reichen; unten der modrige Geruch des Kellers. Er plant die Laufwege der Schauspieler, damit die räumliche Enge oder Weite ihre Haltung beeinflusst. Ohne diese Detailverliebtheit – von den Lichtschaltern bis zur Maserung des Holzes – würde die ganze Geschichte wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen.
Schnitt und Rhythmus: Die unsichtbare Kunst des Timings
Als Meister meines Fachs sage ich immer: Ein Film wird dreimal gemacht. Beim Schreiben, beim Drehen und ganz entscheidend im Schnitt. Der Cutter ist oft der unsichtbare Held.
Der Rhythmus in diesem Film ist einfach genial. Er beginnt fast wie eine Komödie, die Schnitte sind schnell, die Montage hat Tempo und Witz. Doch dann kippt die Stimmung abrupt. Ab einem gewissen Wendepunkt verlangsamt sich der Schnitt, die Einstellungen werden länger. Die Spannung baut sich nicht durch Hektik auf, sondern durch das Aushalten von Momenten. Das erfordert Mut. Man muss dem Publikum zutrauen, die Spannung in der Stille zu spüren. Ganz ehrlich: Ein Schnitt zur falschen Zeit, eine Sekunde zu lang oder zu kurz, und eine ganze Szene verliert ihre Wirkung. Ein guter Schnitt ist wie ein guter Witz. Das Timing ist alles.

Die Wirtschaft dahinter: Mehr als nur ein goldener Mann
Ein großer Filmpreis ist nicht nur eine Ehre. Er ist eine wirtschaftliche Waffe. Aber die Vorstellung, dass die besten Filme einfach so gewinnen, ist, ehrlich gesagt, naiv. Hinter einem solchen Erfolg, besonders für einen nicht-englischsprachigen Film, steckt eine massive und teure Kampagne.
Man spricht hier von Kosten, die leicht in den siebenstelligen Bereich gehen. Das Geld fließt nicht in Bestechung, sondern in pure Sichtbarkeit: exklusive Vorführungen für die Academy-Mitglieder, ganzseitige Anzeigen in Branchenmagazinen, teure PR-Agenturen. Der amerikanische Verleih hat hier einen perfekten Job gemacht, indem er den Film nicht als „ausländischen Film“, sondern schlicht als „großartigen Film“ vermarktet hat.
Gut zu wissen: Die digitalen Kopien, die an die Wähler verschickt werden, sind mit unsichtbaren Wasserzeichen versehen. Taucht eine Kopie im Netz auf, kann sie genau zurückverfolgt werden. Das schützt die Millionen-Investition des Studios.
Und wie läuft das bei uns in Deutschland?
In Deutschland funktioniert die Filmfinanzierung ganz anders. Wir haben ein starkes System der Filmförderung. Institutionen wie die Filmförderungsanstalt (FFA) auf Bundesebene oder die regionalen Förderungen (z.B. FFF Bayern, Medienboard Berlin-Brandenburg) sind die wichtigsten Partner. Ein typischer deutscher Film wird oft aus vielen Töpfen finanziert.

Das ist super, weil es künstlerisch anspruchsvolle Filme ermöglicht, die am freien Markt vielleicht untergehen würden. Der Nachteil? Manchmal führt die Abhängigkeit zu Kompromissen, weil man es den verschiedenen Geldgebern recht machen muss. Die Anträge für diese Förderungen findest du übrigens online auf den Webseiten der jeweiligen Anstalten. Ist zwar ein kleiner Papierkrieg, aber oft der einzige Weg, ein Herzensprojekt auf die Beine zu stellen.
Praktische Lehren für dich – egal ob Anfänger oder Profi
Was nehmen wir also aus all dem für die tägliche Arbeit mit? Ob du nun am nächsten Kinohit oder an deinem ersten eigenen Kurzfilm bastelst, die Prinzipien sind die gleichen.
Für den Nachwuchs: Meistere dein Werkzeug!
Einem jungen Menschen, der ins Filmgeschäft will, gebe ich immer denselben Rat: Lerne dein Handwerk von der Pike auf. Eine Vision zu haben ist toll, aber du musst wissen, wie du sie umsetzt. Verstehe, was ein Objektivwechsel bewirkt. Lerne die Grundlagen der Lichtsetzung. Sei bescheiden und lerne von den erfahrenen Leuten am Set. Der Beleuchter, der seit 30 Jahren seinen Job macht, weiß mehr über Licht als jedes Lehrbuch. Höre zu! Arroganz ist der größte Feind jeder guten Produktion.

Für Fortgeschrittene: Wann man einen Spezialisten ruft
Selbst die größten Regisseure machen nicht alles allein. Professionalität bedeutet auch, die eigenen Grenzen zu kennen. Gerade im Independent-Bereich wollen viele aus Kostengründen alles selbst machen. Das ist oft ein Riesenfehler.
Nehmen wir mal zwei Beispiele:
- Tonmischung: Klar kannst du das mit Kopfhörern und einer kostenlosen Software probieren. Das Risiko ist aber, dass es blechern klingt und Dialoge untergehen. Ein Profi kostet dich für einen 10-Minuten-Kurzfilm vielleicht zwischen 400€ und 1.000€, aber das Ergebnis ist kinoreifer Sound, der den entscheidenden Unterschied macht.
- Farbkorrektur: Ähnlich sieht es hier aus. Die Standard-Filter in deinem Schnittprogramm schreien oft „billiger Instagram-Look“. Ein professioneller Colorist kostet dich für einen Kurzfilm vielleicht zwischen 500€ und 1.500€, aber er gibt deinem Film einen einheitlichen, hochwertigen Look, der im Gedächtnis bleibt.
Glaub mir, ich spreche aus bitterer Erfahrung. Bei einem meiner ersten Kurzfilme wollte ich 200 Euro sparen und hab den Ton selbst gemischt. Das Ergebnis? Man hat die Dialoge kaum verstanden und die ganze Atmosphäre war im Eimer. Das war die teuerste Lektion meiner Karriere: Spar NIEMALS am Ton!


Weihnachtssterne selber machen: Dein ehrlicher Guide vom Basteltisch – ganz ohne Frust
Achtung: Die unsichtbare Verantwortung am Set
Ein Thema, über das kaum jemand spricht: Sicherheit. Ein Filmset kann ein gefährlicher Ort sein. Denk nur mal an die Szene, in der die Souterrain-Wohnung geflutet wird. Das sieht spektakulär aus, ist für die Crew aber eine enorme Herausforderung. Man arbeitet mit riesigen Mengen Wasser direkt neben elektrischem Equipment. Ein falsches Kabel, eine Unachtsamkeit, und es kann lebensgefährlich werden.
Hättest du’s gewusst? Für solche Flutungsszenen werden oft spezielle Schlamm- und Schmutzarten aus dem Kosmetikbereich verwendet, die für die Haut der Schauspieler völlig unbedenklich sind. Es ist eben nicht nur dreckiges Wasser.
In Deutschland regelt die Berufsgenossenschaft viele dieser Aspekte. Pausen, Arbeitszeiten, Sicherheitsmaßnahmen – das ist alles festgeschrieben. Und ein gutes Team nimmt das todernst. Die Gesundheit der Crew steht immer an erster Stelle. Nicht verhandelbar.
Ein letzter Gedanke…
Der Erfolg dieses Meisterwerks war kein Zufall. Er war die logische Konsequenz aus der Verbindung einer starken Geschichte mit universellen Emotionen und einer handwerklichen Ausführung auf Weltklasse-Niveau. Er hat gezeigt, dass das Publikum weltweit bereit ist für komplexe Geschichten, solange sie verdammt gut erzählt sind.
Für uns Filmschaffende ist das eine Ermutigung und ein Auftrag zugleich. Die wahre Magie des Kinos entsteht nicht auf dem roten Teppich. Sie entsteht in kalten Lagerhallen, in dunklen Schneideräumen und im konzentrierten Schweigen eines Sets, kurz bevor die Klappe fällt und jemand „Action!“ ruft. Dort wird die Arbeit gemacht. Und gute Arbeit, das hat dieser Film bewiesen, findet immer ihren Weg.
