Plötzlicher Herztod im Verein: Warum Hoffen keine Option ist und was Ihr jetzt tun müsst
Ein Herzschlag kann alles verändern. Rafael Henzel, Überlebender des Chape-Unglücks, ist verstorben – ein tragisches Ende einer inspirierenden Geschichte.
„Manche Geschichten enden nicht mit einem Punkt, sondern mit einem Herzschlag.“ So könnte ein fiktives Zitat von Kafka lauten, wenn er von Rafael Henzels Leben erzählen würde. In den Schatten des Abgrunds, wo Hoffnung und Schmerz sich vereinen, war Henzel ein Lichtstrahl für viele. Sein plötzlicher Tod beim Fußballspielen hinterlässt nicht nur eine Trauer, sondern auch die Erinnerung an einen Überlebenden, der das Unvorstellbare überwand.
Ich kann mich noch an eine dieser Nachrichten erinnern, die einen einfach nicht loslassen. Man liest von einem Sportler, topfit und mitten im Leben, der eine unfassbare Katastrophe übersteht. Und ein paar Jahre später bricht er beim lockeren Kicken mit Freunden zusammen und stirbt. An einem Herzstillstand. Das fühlt sich nicht nur unfair an, es ist eine brutale Mahnung.
Inhaltsverzeichnis
Ganz ehrlich? Als jemand, der seit Ewigkeiten im Rettungsdienst und in der Ausbildung von Ersthelfern unterwegs ist, war das für mich vor allem eines: ein Weckruf. Denn was auf den großen Bühnen passiert, geschieht leider auch jede Woche auf unseren Amateur-Sportplätzen. Ein Spieler kippt um. Stille. Dann aufkeimende Panik und pure Ratlosigkeit. Genau in diesen ersten Sekunden entscheidet sich alles. Und es sind fast nie die Profis, die den Unterschied machen. Es sind die Mitspieler, der Trainer, ein Zuschauer am Rand.
Dieser Artikel hier ist keine trockene Wissenschaft. Er ist eine Anleitung aus der Praxis, für die Praxis. Ich will euch erklären, was bei diesem Notfall wirklich im Körper passiert und was ihr als Verein ganz konkret tun könnt – und müsst –, um nicht hilflos danebenzustehen. Denn Vorbereitung ist hier wirklich alles.

Herzinfarkt oder plötzlicher Herztod? Der kleine, aber entscheidende Unterschied
Wenn in den Medien von so einem Fall berichtet wird, fällt oft das Wort „Herzinfarkt“. Meistens ist das aber nicht ganz die richtige Schublade, und der Unterschied ist super wichtig für das, was ihr dann tun müsst. Stellt euch das Herz einfach mal wie ein Haus vor. Es hat Rohrleitungen (die Herzkranzgefäße) und eine Elektrik (das Reizleitungssystem).
Ein klassischer Herzinfarkt ist ein Rohrleitungs-Problem. Eine Ader verstopft, ein Teil des Herzmuskels bekommt keinen Sauerstoff mehr und droht abzusterben. Die Betroffenen haben oft heftige Schmerzen in der Brust, kriegen schlecht Luft, sind aber wach und ansprechbar. Hier gilt: sofort die 112 anrufen, damit die Person ins Krankenhaus kommt und die Verstopfung beseitigt wird.
Der plötzliche Herztod ist dagegen ein Elektrik-Problem. Die komplette Elektrik im Haus Herz spielt verrückt. Statt geordnet zu pumpen, zittert und flimmert der Muskel nur noch unkoordiniert. Man nennt das Kammerflimmern. Das Herz pumpt in diesem Zustand absolut kein Blut mehr. Der Kreislauf bricht sofort zusammen, die Person wird bewusstlos und hört auf zu atmen. Das ist der absolute Super-GAU auf dem Sportplatz. Ohne sofortige Hilfe ist es das Ende.

Und warum ist das so wichtig? Weil nur zwei Dinge sofort helfen: eine knallharte Herzdruckmassage und ein Stromstoß von einem Defibrillator (AED).
Warum passiert das fitten, jungen Leuten?
Klar, jetzt fragt ihr euch: Wie kann das einem durchtrainierten Sportler passieren? Die Ursachen sind meistens ganz andere als bei älteren Menschen. Oft schlummern unentdeckte, angeborene Herzfehler im Verborgenen.
- Hypertrophe Kardiomyopathie (HCM): Eine krankhafte Verdickung des Herzmuskels. Unter der extremen Belastung im Sport kann das zu diesen tödlichen Rhythmusstörungen führen. Das ist tatsächlich die häufigste Ursache bei jungen Athleten.
- Herzmuskelentzündung (Myokarditis): Ehrlich gesagt, das ist die heimtückischste von allen. Meistens wird sie durch einen verschleppten Virusinfekt ausgelöst. Man fühlt sich nach einer Grippe wieder fit, steigt zu früh ins Training ein, aber der Herzmuskel ist noch entzündet. Die Belastung ist dann zu viel und es kommt zum Kammerflimmern.
Deshalb meine wichtigste Regel, die ich jedem predige: Nach einem fieberhaften Infekt ist absolute Sportpause angesagt! Mindestens eine Woche fieberfrei, bei härteren Infekten auch länger. Im Zweifel entscheidet der Arzt. Das ist nicht verhandelbar, Leute. Das ist russisches Roulette mit der eigenen Gesundheit.

Die Kette des Überlebens: 4 Glieder, die halten müssen
Wenn jemand auf dem Platz zusammenbricht, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Jede Minute ohne Hilfe sinkt die Überlebenschance um etwa 10 %. Wir sprechen von der „Kette des Überlebens“. Wenn nur ein Glied bricht, sieht es düster aus.
1. Glied: Erkennen und sofort den Notruf absetzen
Klingt banal, ist aber der erste Stolperstein. Ist der nur K.o. oder ist es ernst?
Handlungsanweisung: Prüfen. Rufen.
- Prüfen: Hingehen, laut ansprechen: „Hallo, hörst du mich?“ Kräftig an den Schultern rütteln. Keine Reaktion?
- Atmung kontrollieren: Kopf überstrecken, Kinn anheben. Schauen, hören und fühlen, ob eine normale Atmung da ist (max. 10 Sekunden). Achtung! Eine Schnappatmung (seltene, laute Atemzüge) ist KEINE normale Atmung. Sie ist ein Zeichen des Sterbens und wird wie ein Atemstillstand behandelt. Das ist einer der häufigsten Fehler, der wertvolle Zeit kostet!
- Rufen: Wenn nichts geht, um Hilfe schreien! Und zwar mit einer klaren Ansage: „Du mit der roten Jacke! Ruf die 112 an, sag, wir haben einen Herzstillstand auf dem Sportplatz [Adresse nennen]! Und du da, hol sofort den Defi aus dem Vereinsheim!“ In der Panik fühlt sich sonst niemand angesprochen.

2. Glied: Sofort mit der Herzdruckmassage starten (CPR)
Das ist das allerwichtigste Glied. Zögert nicht! Die Angst, etwas falsch zu machen, ist der größte Feind. Das Einzige, was ihr falsch machen könnt, ist, NICHTS zu tun.
- Wie geht’s? Knien Sie sich neben die Person. Machen Sie den Brustkorb frei. Finden Sie die Mitte des Brustkorbs, legen Sie den Ballen einer Hand darauf, die andere Hand darüber.
- Technik: Arme durchstrecken, mit dem Oberkörper über die Hände beugen und dann mit dem eigenen Körpergewicht schnell und kräftig drücken. Etwa 5 bis 6 Zentimeter tief. Das ist mehr, als man denkt.
- Takt: Das Ziel sind 100 bis 120 Kompressionen pro Minute. Der Rhythmus von „Stayin‘ Alive“ passt perfekt. Und ganz wichtig: Nach jedem Drücken den Brustkorb wieder komplett entlasten.
Ja, es kann sein, dass eine Rippe bricht. Das Geräusch ist furchtbar, aber eine gebrochene Rippe heilt. Ein Gehirn ohne Sauerstoff nicht. Einfach weitermachen, bis die Profis da sind!

Kleiner, aber wichtiger Zusatz: Was ist mit Kindern?
Gerade in Vereinen mit Jugendabteilungen eine entscheidende Frage! Die Regel ist hier ganz einfach: Bei Kindern drückt man etwa ein Drittel des Brustkorbs tief ein. Bei kleineren Kindern reicht dafür oft schon eine Hand. Die Angst, zu fest zu drücken, ist auch hier unbegründet. Im Notfall gilt: Lieber zu fest als zu lasch.
3. Glied: Schnell defibrillieren (AED)
Ein Automatisierter Externer Defibrillator (AED) ist eure Lebensversicherung. Jeder Verein MUSS einen haben. Und keine Sorge: Das Ding ist kinderleicht zu bedienen, es spricht mit euch.
- Einschalten: Knopf drücken oder Deckel aufklappen. Das Gerät gibt sofort Sprachanweisungen.
- Elektroden kleben: Brustkorb freimachen (und trocknen!). Klebt die Elektroden so auf, wie es auf den Bildern gezeigt wird.
- Analyse: Das Gerät sagt euch, dass ihr die Person nicht berühren sollt. Es analysiert den Herzrhythmus.
- Schock: Wenn nötig, sagt das Gerät: „Schock empfohlen. Blinkende Taste jetzt drücken.“ Kurz sicherstellen, dass niemand die Person anfasst („Alle zurück!“), und dann drücken.
- Weitermachen: Direkt nach dem Schock fordert euch das Gerät auf, sofort wieder mit der Herzdruckmassage zu beginnen.
Ein AED ist übrigens so gebaut, dass er NIEMALS einen Schock abgibt, wenn keiner nötig ist. Ihr könnt nichts falsch machen. Die größte Gefahr ist, ihn aus Angst nicht zu benutzen.

4. Glied: Die Profis übernehmen
Wenn der Rettungsdienst da ist, habt ihr euren Job getan. Macht Platz, beantwortet die Fragen und seid stolz auf euch. Ihr habt die entscheidende Zeit überbrückt.
Vorsorge im Verein: Ein Plan für den Tag X
Hoffen ist keine Strategie. Jeder Verein, egal wie klein, braucht einen Notfallplan. Das ist eine Führungsaufgabe des Vorstands und genauso wichtig wie die Platzpflege.
AED anschaffen und sichtbar machen
Ein AED ist eine Investition, ja. Rechnet mal mit 1.000 bis 2.000 Euro für das Gerät. Oft gibt es Fördertöpfe von Stiftungen oder man findet einen lokalen Sponsor. Fragt einfach mal bei Unternehmen in der Gegend an! Dazu kommt oft noch ein wetterfester Wandkasten für draußen, der nochmal mit 300 bis 600 Euro zu Buche schlägt. Aber der ist Gold wert, denn der Defi muss 24/7 für jeden zugänglich sein – nicht im verschlossenen Büro!
Gut zu wissen: Vergesst die laufenden Kosten nicht. Batterien und Elektroden müssen alle paar Jahre getauscht werden. Plant dafür etwa 150 bis 400 Euro alle 2-5 Jahre ein. Bestimmt eine Person im Verein, die das im Blick hat.
Notfallplan und regelmäßiges Training
Schreibt einen simplen Notfallplan auf eine Seite und hängt ihn überall aus: im Vereinsheim, in den Kabinen, am Spielfeldrand. Darauf stehen: die genaue Adresse für den Notruf, die 112, der Standort des AEDs und die Kette: PRÜFEN – RUFEN – DRÜCKEN – SCHOCKEN.
Aber der Plan ist nur so gut wie das Training. Organisiert einmal im Jahr einen praktischen Erste-Hilfe-Kurs. Holt euch dafür Profis vom DRK, den Johannitern oder einer anderen lokalen Hilfsorganisation. Nur was man praktisch geübt hat, klappt auch unter Stress.
Eure Aufgabe für diese Woche: Geht los und sucht den AED in eurem Verein. Macht ein Foto davon und schickt es in die Trainer- oder Team-WhatsApp-Gruppe. Überschrift: „Für den Notfall: Hier hängt unser Lebensretter!“ Wetten, dass viele gar nicht genau wussten, wo er ist?
Und wenn alles vorbei ist? Die Zeit danach
Wenn der Rettungswagen wegfährt, ist der Einsatz für die Helfer oft nicht vorbei. Die psychische Belastung ist enorm. Das Bild eines leblosen Kameraden, das Gefühl der Rippen unter den Händen, die pure Angst – das bleibt. Es ist absolut keine Schande, danach Hilfe zu brauchen. Sprecht im Team darüber. Viele Rettungsdienste bieten eine psychosoziale Notfallversorgung auch für Ersthelfer an. Kümmern Sie sich als Verein um Ihre Leute. Das stärkt den Zusammenhalt mehr als jeder Pokal.
Mein Fazit aus der Praxis
Die tragischen Fälle, von denen man immer wieder liest, sollten für uns alle eine Verpflichtung sein. Die Verpflichtung, nicht mehr wegzuschauen und zu hoffen, dass es uns schon nicht treffen wird.
Es braucht keinen Mediziner, um ein Leben zu retten. Es braucht nur den Mut, anzupacken, das Wissen aus einem einfachen Kurs und einen klaren Plan im Verein. Schafft einen AED an. Schult eure Leute. Macht den Notfallplan zur Routine.
Fangt noch heute damit an. Sprecht im Vorstand darüber. Macht es zum Thema. Die Sicherheit auf eurem Platz liegt in euren Händen.
