Digitale Magie oder nur teurer Zauber? Ein ehrlicher Blick hinter die Kulissen der Verjüngungs-Technik

Ein Meisterwerk in der Warteschleife: Scorseses „The Irishman“ verspricht filmische Magie – sind Sie bereit für das lange Warten?

von Michael von Adelhard

Ich bin schon eine Weile in der Branche für visuelle Effekte unterwegs und habe echt viel kommen und gehen sehen. Meistens geht’s ja um fette Explosionen oder Fabelwesen. Aber ganz ehrlich? Die stillsten Veränderungen sind oft die, die alles auf den Kopf stellen. Ich weiß noch genau, wie in den Studios das erste Getuschel über ein bestimmtes Gangster-Epos aufkam. Es ging nicht um Action, sondern um etwas viel Kniffligeres: Zeit. Genauer gesagt, wie man Schauspiel-Legenden über Jahrzehnte hinweg glaubwürdig verjüngt, ohne ihre Seele – ihr Spiel – zu verlieren. Dieses Projekt war von Anfang an mehr als nur ein Film. Es war ein technologisches Wagnis.

Viele fragen sich: Warum dieser gigantische Aufwand? Warum nicht einfach gute Maskenbildner oder jüngere Schauspieler für die Rückblenden nehmen? Völlig berechtigte Frage. Um das zu verstehen, muss man in den Kopf des Regisseurs schauen. Er wollte die komplette Lebensgeschichte der Hauptfigur mit ein und demselben Schauspieler erzählen. Jede Geste, jeder kleinste Blick sollte von ihm kommen. Das erzeugt eine emotionale Wucht und Kontinuität, die durch einen Schauspielerwechsel sofort zerbrechen würde.

Robert De Niro in einer Szene aus The Irishman

Traditionelle Masken aus Latex? Vergiss es. Die können ein Gesicht zwar älter machen, aber sie sind der Tod für jede feine Mimik. Das Gesicht wird zur starren Fassade. Für einen Film, der so sehr von inneren Konflikten und dem lebt, was nicht gesagt wird, war das absolut keine Option. Die Technologie sollte dem Schauspiel dienen, nicht umgekehrt. Das war die Mission.

Das „dreiköpfige Monster“ am Set

Die Lösung kam von einer der führenden Effektschmieden der Welt. Die Profis dort entwickelten ein System, das ohne die üblichen Marker im Gesicht auskam. Normalerweise klebt man den Darstellern ja Dutzende kleiner Punkte auf die Haut, damit die Kameras ihre Mimik verfolgen können. Die kreative Leitung hasste diese Vorstellung. Die Punkte würden die Schauspieler nur ablenken und aus der Konzentration bringen. Er brauchte eine unsichtbare Technik.

So entstand am Set das sogenannte „dreiköpfige Monster“. In der Mitte die Hauptkamera, die den Film dreht. Links und rechts davon zwei spezielle Infrarotkameras. Dieses Duo funktionierte wie ein Augenpaar: Es sendete unsichtbares Licht aus und erfasste, wie es von der Haut der Schauspieler reflektiert wird. Daraus konnte die Software später eine millimetergenaue 3D-Karte des Gesichts für jede einzelne Sekunde des Films erstellen. Pures 3D-Gold, das jede Muskelbewegung aufzeichnete.

eine szene aus dem netflix film the irishman von dem regisseur martin scorsese mit dem schauspieler robert deniro, eine flasche aus glas

Und wie war das für die Schauspieler? Stell dir vor, du sollst eine der emotionalsten Szenen deiner Karriere spielen, und vor dir schwebt dieses riesige, schwere Kamerarig. Das braucht eine unglaubliche Professionalität, um das auszublenden. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen: So etwas verlangsamt den ganzen Dreh, jeder Aufbau dauert länger und es kann die ganze Energie am Set killen, wenn das Team nicht perfekt eingespielt ist.

Wie die Magie wirklich funktioniert: Ein Blick in die Werkstatt

Das Herzstück des Ganzen war eine brandneue Software. Die hat sich im Grunde die Performance des älteren Schauspielers geschnappt und mit einer digitalen Bibliothek abgeglichen, in der man wusste, wie derselbe Schauspieler mit 40 aussah (dank alter Filme und Fotos). Der Prozess lässt sich grob so zusammenfassen:

  • Schritt 1: Die Aufnahme. Das „Monster“ filmt die Szene. Die Hauptkamera nimmt das Bild auf, die zwei Infrarotkameras scannen gleichzeitig die 3D-Geometrie und die Bewegung des Gesichts.
  • Schritt 2: Das junge Modell. Am Computer erschaffen die Künstler ein perfektes, digitales 3D-Modell des jüngeren Schauspielers.
  • Schritt 3: Die Übertragung. Jetzt kommt der Clou: Die Software überträgt die Mimik und Performance des alten Schauspielers auf das junge digitale Modell. Wie eine digitale Maske, die aber jede kleinste Regung perfekt mitnimmt.
  • Schritt 4: Die Handarbeit. Und das ist der wichtigste Teil! Das ist keine Automatik. Hunderte Künstler sitzen dann monatelang daran, diese digitale Maske perfekt in die Szene zu integrieren. Sie malen Hautporen, passen die Hauttextur an und sorgen dafür, dass das Licht realistisch auf die Wangenknochen fällt. Reine, hochkonzentrierte Handarbeit.
Martin Scorsese beim Filmdreh

Andere Methoden wären doch einfacher gewesen, oder?

Klar, aber jede hat ihre Tücken. Vergleichen wir das mal fair:

Die neue Digital-Technik: Sie ist das Nonplusultra, wenn es darum geht, die exakte Performance eines Schauspielers einzufangen. Aber die Nachteile sind gewaltig. Die Kosten sind astronomisch, man riskiert das „Uncanny Valley“ (dazu gleich mehr) und die Körperbewegungen passen manchmal nicht zum jungen Gesicht.

Traditionelles Make-up: Das ist die budgetfreundliche Variante. Für ein paar tausend Euro kann ein guter Maskenbildner schon viel erreichen. Aber er kann ein Gesicht nicht wirklich verjüngen. Er kann Falten kaschieren, aber die Hautstruktur, die Knochen, die Schwerkraft – all das bleibt. Es wirkt schnell wie eine Maske.

Jüngere Schauspieler casten: Das ist die klassische Methode. Sie garantiert ein authentisch junges Aussehen und Verhalten. Der riesige Nachteil ist aber der emotionale Bruch für den Zuschauer. Es ist eben nicht mehr dieselbe Figur, die wir auf ihrer Lebensreise begleiten.

Die „Marker-Methode“ (wie bei manchen Superhelden-Filmen): Auch hier wird digital verjüngt, aber eben mit den Punkten im Gesicht. Das ist technisch etablierter und vielleicht etwas günstiger, aber viele Kreative und Schauspieler finden, dass die Marker das Spiel stören und unnatürlich machen.

der regisseur martin scorsese, ein alter mann mit einem schwarzen kostüm und mit einem weißen hemd und schwarzer brille, the irishman

Das „Uncanny Valley“: Eine ehrliche Bewertung

Als jemand vom Fach schaue ich da natürlich mit einem kritischen Auge drauf. Hat die Technik funktioniert? Ich würde sagen: Jein. In vielen ruhigen Dialogszenen ist das Ergebnis absolut atemberaubend. Man sieht die Augen, die Mundwinkel, und man spürt die Gedanken dahinter. Das wäre mit Make-up undenkbar gewesen.

Aber es gibt auch Momente, in denen die Illusion zerbricht. Wir nennen das das „Uncanny Valley“ – das unheimliche Tal. Dein Gehirn merkt, dass irgendwas nicht stimmt, auch wenn du den Finger nicht drauflegen kannst. Oft sind es die Augen, die etwas leblos oder glasig wirken. Die Lichtreflexionen im menschlichen Auge sind so unfassbar komplex, sie digital perfekt nachzubauen, ist die absolute Königsklasse.

Kleiner Tipp für dich: Achte mal auf die Szene, in der die Hauptfigur einen Gemüsehändler auf der Straße verprügelt. Das Gesicht ist das eines 40-Jährigen, aber die Art, wie er zutritt, die etwas steifen Bewegungen… das hat die Schwere eines über 70-jährigen Mannes. Daran sieht man diese Diskrepanz zwischen jungem Gesicht und altem Körper sehr gut.

der schauspieler al pacino, der film the irishman, ein alter mann mit einem schwarzen kostüm und mit bart
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Moment mal, ist das nicht einfach Deepfake?

Gute Frage! Und die Antwort ist ein klares Nein. Der Unterschied ist fundamental. Bei der hier verwendeten Technik wird die echte Performance des Schauspielers am Set erfasst – jede Muskelzuckung, jeder Blick. Diese Performance wird dann auf ein jüngeres digitales Modell seiner selbst übertragen. Der Schauspieler spielt die Rolle also komplett selbst.

Ein Deepfake hingegen ist reine KI-Synthese. Eine künstliche Intelligenz analysiert Tausende Bilder einer Person und lernt, deren Gesicht auf den Körper eines anderen zu „pflanzen“. Die eigentliche Performance kommt dabei nicht vom Original. Das ist eher digitale Gesichtstransplantation und hat, ehrlich gesagt, ein gewaltiges Missbrauchspotenzial.

Die wahren Kosten der ewigen Jugend

Die Budgets, die für solche Projekte im Raum stehen, klingen abstrakt. Aber wo versickert das ganze Geld? Es sind nicht nur die Gagen der Stars. Der Löwenanteil steckt in der reinen Arbeitszeit. Stellt euch mal vor, ein VFX-Künstler kostet ein Studio pro Tag vielleicht zwischen 400 € und 600 €. Das Ganze mal 100 Künstler, und das über fast zwei Jahre… da könnt ihr euch selbst ausrechnen, wohin die Millionen fließen.

Szene aus The Irishman mit Al Pacino und Robert De Niro

Dazu kommen Forschung und Entwicklung. Die Software und das Kamerasystem wurden ja nicht im Laden gekauft, sondern speziell für diesen Film entwickelt. Und dann die Infrastruktur: riesige Renderfarmen voller Computer, die rund um die Uhr laufen, um die Bilder zu berechnen. Ein einziges fertiges Bild konnte da schon mal mehrere Stunden Rechenzeit fressen. Bei über 200.000 Bildern im ganzen Film… der Energieaufwand ist enorm.

Und jetzt? Werden bald alle digital verjüngt?

Ich glaube nicht. Diese Technik hat die Grenzen verschoben, keine Frage. Sie wird ein spezielles Werkzeug für ganz besondere Filme bleiben, die eine lange Zeitspanne mit denselben Charakteren erzählen. Für die meisten Produktionen ist eine Mischung aus gutem Make-up und klugem Schauspiel die deutlich bessere und vor allem bezahlbarere Wahl.

Was wir aber sehen werden: Teile dieser Technologie sickern in den Alltag durch. Kleinere digitale Korrekturen, mal schnell ein paar Falten für eine Szene entfernen – das wird einfacher und günstiger. Erhältlich quasi für jedes halbwegs professionelle Schnittprogramm.

der schauspieler robert deniro mit einer schwarzen fliege und mit einem weißen hemd
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Am Ende zählt aber immer die Geschichte. Bei aller Technik, bei allem Aufwand, im Zentrum muss immer der Mensch stehen. Die Technologie war hier nur ein Mittel zum Zweck. Ein unglaublich teures, aber eben nur ein Mittel.

Ach ja, und jetzt eine kleine Hausaufgabe für euch: Schaut euch den Film doch mal wieder an (er ist ja auf den gängigen Streaming-Diensten verfügbar) und schreibt mal in die Kommentare: In welcher Szene hat euch die digitale Verjüngung am meisten überzeugt und wo habt ihr das „Uncanny Valley“ gespürt? Ich bin gespannt auf eure Meinung!

Und wenn ihr noch tiefer graben wollt: Sucht mal auf YouTube nach den offiziellen „Behind the Scenes“-Videos der Effektschmieden. Da bekommt man oft einen noch besseren Einblick in die ganze Magie.

Bildergalerie

der schauspieler robert deniro mit einem weißen hemd und mit einem blauen kostüm, szene aus dem film the irishman von martin scorsese

Moment mal, wurde das nicht schon in „The Curious Case of Benjamin Button“ gemacht?

Ja, aber die Technik war grundlegend anders. Für David Finchers Film wurde Brad Pitts Mimik zwar erfasst, diese aber auf einen komplett computergenerierten Kopf des jungen Benjamin übertragen. Es war quasi eine revolutionäre digitale Maske, die über den Körper eines anderen Schauspielers gelegt wurde. Die Performance wurde also vom finalen Bild getrennt. Für „The Irishman“ hingegen wählte die Effektschmiede Industrial Light & Magic (ILM) mit ihrer Software „Flux“ einen subtileren Ansatz: Sie ersetzten nicht den Kopf, sondern retuschierten und verjüngten das echte, am Set aufgenommene Gesicht von Robert De Niro. Jede Pore, jede Muskelzuckung im finalen Film gehörte also wirklich ihm in diesem Moment – nur eben digital gestrafft.

Michael von Adelhard

Michael von Adelhard ist 31 Jahre alt. Er arbeitet seit vielen Jahren als Journalist für einige der erfolgreichsten Nachrichten-Portale Deutschlands. Autor vieler Bücher und wissenschaftlicher Publikationen zum Thema «Einfluss sozialer Medien auf Jugendliche«. Schreibt über Themen wie Lifestyle, Umweltschutz, sowie Tech and Gadgets. In seiner Freizeit ist er häufig mit dem Fahrrad unterwegs – so schöpft er Inspiration für seine neuen Artikel.