Werkstattgeflüster: Was ein Spaltmaß über dein Auto verrät und warum alte Technik manchmal die beste ist

Ferdinand Piëch ist verstorben – ein Name, der die Automobilwelt prägte. Entdecken Sie die Geschichte eines Visionärs und seiner unvergesslichen Hinterlassenschaft.

von Michael von Adelhard

Ich kann mich noch gut an die Autos erinnern, die vor einigen Jahrzehnten bei uns in der Werkstatt standen. Ganz ehrlich? Als junger Geselle hat man da einiges gesehen. Klappernde Innenverkleidungen, Türgriffe, die sich anfühlten, als würden sie gleich abbrechen, und Spaltmaße, bei denen man fast einen Finger zwischen Tür und Kotflügel stecken konnte. Es war halt so.

Und dann, fast über Nacht, änderte sich alles. Ein neuer Chef an der Spitze eines großen deutschen Konzerns, ein Techniker durch und durch, krempelte den Laden komplett um. Plötzlich waren die Ansagen glasklar und die Anforderungen an uns und die Zulieferer knallhart. Dieser Mann dachte nicht in Bilanzen, sondern in physikalischen Gesetzen. Seine Besessenheit für Qualität war ansteckend und hat, das kann ich so sagen, eine ganze Generation von Ingenieuren und Meistern geprägt – auch mich.

Auch wenn diese Ära vorbei ist, steckt ihr Erbe heute in fast jedem Auto des Konzerns. Es ist ein Erbe aus Stahl, Software und Prinzipien. Es geht um den unbedingten Willen zur technischen Perfektion. Dieser Text ist kein Denkmal, sondern der Blick eines Praktikers auf die technischen Meilensteine von damals und was wir heute noch daraus lernen können.

alter mann mit anzug und einer blauen krawatte und einem weißen hemd, der Aufsichtsratsvorsitzender von volkswagen ag ferdinand piech

Das Spaltmaß als Symbol: Warum ein Millimeter über alles entscheidet

Wer diese Qualitätsrevolution verstehen will, muss beim Spaltmaß anfangen. Für die meisten Leute ist der kleine Abstand zwischen zwei Karosserieteilen reine Optik. Für den damaligen Konzernchef war es der ultimative Beweis für Präzision. Ein sichtbares Zeichen dafür, dass die gesamte Fertigung perfekt im Takt läuft.

Er forderte von seinen Leuten Spaltmaße, die man damals für unmöglich hielt, zumindest in der Großserie. Er wollte die Perfektion der Luxusklasse für den ganz normalen Autofahrer. Und das ist ihm, ehrlich gesagt, auch gelungen.

Mehr als nur schöne Optik

Ein enges, gleichmäßiges Spaltmaß ist viel mehr als nur hübsch. Es hat handfeste physikalische Vorteile. Ein breiter Spalt erzeugt bei der Fahrt Luftverwirbelungen, die zu nervigen Windgeräuschen im Innenraum führen. Aber nicht nur das: Diese Turbulenzen erhöhen den Luftwiderstand, was direkt den Spritverbrauch nach oben treibt. Ein Millimeter an der falschen Stelle kann dich auf Dauer also richtig Geld kosten.

der Aufsichtsratsvorsitzender von volkswagen ag ferdinand piech, ein alter mann mit schwarzem anzug

Übrigens: Ein perfektes Spaltmaß ist auch ein Indiz für eine steife und damit sichere Karosserie. Wenn sich eine Karre in der Kurve verwindet wie eine Brezel, kann sie keine engen Toleranzen halten. Ganz einfach.

Checkliste für Gebrauchtwagenkäufer: Spaltmaße in 60 Sekunden prüfen

Kleiner Tipp aus der Praxis, wenn du dir einen Gebrauchten anschaust: Geh einmal ums Auto und kneif die Augen zusammen. Schau dir die Linien an. Laufen die Spalten zwischen Türen, Haube und Kotflügeln parallel? Sind sie überall gleich breit? Ein gutes, modernes Maß liegt so bei 3 bis 4 Millimetern. Wenn ein Spalt plötzlich auf über 5 Millimeter aufspringt oder von oben nach unten deutlich breiter wird, ist das ein Alarmzeichen! Das deutet oft auf einen schlecht reparierten Unfallschaden hin. Finger weg!

Der Allradantrieb, der alles veränderte

Lange bevor er den ganzen Konzern umbaute, war derselbe Visionär bei einer der Premium-Töchter die treibende Kraft hinter einem legendären Allradantrieb. Viele denken dabei nur an den Winter und verschneite Bergpässe. Aber die Technik dahinter war eine Revolution in der Fahrdynamik für normale Autos.

ein alter mann mit brille und einem grauen anzug und gelber krawatte, der Aufsichtsratsvorsitzender von volkswagen ag

Das Herzstück: Ein geniales Stück Mechanik

Der Clou war nicht einfach, die Kraft auf vier Räder zu verteilen. Es war die Art, wie sie verteilt wurde. Statt auf Elektronik setzte man auf ein rein mechanisches Mittendifferenzial, das sogenannte Torsen-Differenzial. Torsen steht für „Torque Sensing“, also „Drehmoment fühlend“. Das Ding ist genial: Es spürt rein mechanisch, welche Achse mehr Grip hat, und schickt die Kraft dorthin, bevor ein Rad überhaupt durchdrehen kann. Keine Elektronik, die erst reagieren muss, sondern pure, ehrliche Mechanik.

\p>Aber ist diese alte Technik heute noch relevant? Jein. Man muss fair sein: Moderne Systeme mit elektronisch gesteuerten Kupplungen (oft als „Haldex“ bekannt) sind leichter und spritsparender, weil sie den Allrad nur bei Bedarf zuschalten. Der alte Torsen-Antrieb läuft permanent mit. Der unschlagbare Vorteil der alten Schule? Die unglaubliche Robustheit und das sofortige, mechanische Ansprechen. Für Puristen ist das immer noch das Maß der Dinge.

Ein teurer Fehler: Was beim Abschleppen eines Quattros passiert

Achtung, das hier ist eine Lektion, die bares Geld wert ist! Einen klassischen Allradler dieser Bauart darf man NIEMALS mit nur einer angehobenen Achse abschleppen. Ich hatte mal einen Kunden in der Werkstatt, dessen Wagen vom Abschleppdienst nur an der Vorderachse hochgehoben wurde. Das Resultat? Das Torsen-Differenzial hat versucht, die Drehzahlen zwischen den Achsen auszugleichen und hat sich dabei selbst zerlegt. Ein Haufen Metallschrott. Die Reparatur? Knapp 4.000 Euro. Weil jemand keine Ahnung hatte. So ein Auto muss immer mit allen vier Rädern auf den Transporter.

der Aufsichtsratsvorsitzender der volkswagen ag ferdinand piech ist tot, ein alter mann mit brille und einem anzug

Der Baukasten, der Milliarden sparte (und neue Risiken schuf)

Die wohl größte, aber für Kunden unsichtbarste Revolution war die Einführung der Plattformstrategie, oft als „Modularer Querbaukasten“ (MQB) bezeichnet. Die Idee ist simpel, die Umsetzung ein Meisterwerk der Logistik: Statt jedes Auto neu zu erfinden, teilt man sich einen Baukasten an Komponenten.

Der Trick dabei: Der Abstand von der Radmitte vorn bis zur Spritzwand ist immer gleich. Dadurch passen Motor, Getriebe und Vorderachse in einen Golf, einen A3 oder einen Octavia. Alles andere – Radstand, Breite, Design – ist flexibel. Das spart Entwicklungskosten in Milliardenhöhe.

Die Kehrseite der Medaille: Typische Schwachstellen

Dieser geniale Schachzug hat aber auch eine Schattenseite. Wenn ein Teil aus dem Baukasten einen Fehler hat, betrifft das nicht nur ein Modell, sondern potenziell Millionen von Autos. Ein fehlerhafter Sensor kann Rückrufe auslösen, die ein Vermögen kosten.

Gut zu wissen für Gebrauchtwagenkäufer: Gerade bei den ersten Modellen dieser Plattform-Generation gibt es ein paar Klassiker, auf die man achten sollte. Dazu gehören zum Beispiel:

  • Die rasselnde Wastegate-Verstellung bei einigen kleineren Turbobenzinern (Reparatur kann schnell 800 € und mehr kosten).
  • Probleme mit dem trockenen 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe (DSG), die sich durch Ruckeln bemerkbar machen. Ein Austausch der Kupplungen ist teuer.
  • Undichte Panoramadächer, die für Feuchtigkeit im Innenraum sorgen – prüf das unbedingt!

Das ist genau das Insider-Wissen, das dich vor einem teuren Fehlkauf bewahren kann.

Grenzprojekte: Wenn Geld keine Rolle spielt

Der Mann war aber nicht nur ein Sparfuchs. Er war auch bereit, irrsinnige Summen für Projekte auszugeben, die einfach nur zeigen sollten, was technisch machbar ist. Die riesige Luxuslimousine des Volks-Konzerns und das 1-Liter-Auto sind die besten Beispiele.

Die Luxuslimousine: Ein technisches Meisterwerk

Wirtschaftlich war diese Limousine ein Flop. Man munkelt, dass der Konzern mit jedem verkauften Exemplar einen satten Verlust gemacht hat – manche Quellen sprechen von rund 28.000 Euro pro Auto! Aber technisch? Ein Traum. Ich hatte ein paar davon in der Werkstatt. Die Karosseriesteifigkeit war unglaublich, was für eine himmlische Ruhe an Bord sorgte. Legendär war die zugfreie Klimaanlage. Und die Motoren… ein Gedicht. Als Gebrauchter ist so ein Schiff heute verlockend günstig. Aber Vorsicht! Eine defekte Luftfederung oder ein Steuerkettenwechsel beim großen W12-Motor kommen schnell einem wirtschaftlichen Totalschaden gleich.

Das 1-Liter-Auto: An der Grenze der Physik

Noch extremer war das Ziel, ein Auto zu bauen, das nur einen Liter Sprit auf 100 km verbraucht. Das Ergebnis war ein ultra-leichtes Fahrzeug in Kleinserie. Die Karosserie bestand nicht aus Stahl, sondern aus kohlefaserverstärktem Kunststoff (CFK), wie in der Formel 1. Das ganze Auto wog unter 800 Kilo! Wusstest du schon? Um jedes Gramm zu sparen, wurden sogar die Schrauben analysiert und teils durch leichtere aus Aluminium ersetzt. An so einem Auto zu arbeiten, ist eine andere Welt. CFK kann man nicht ausbeulen. Das muss man mit Spezialklebstoffen reparieren, fast wie im Flugzeugbau.

Sicherheit und die Verantwortung in der Werkstatt

Bei aller Bewunderung: Der enorme Druck, solche Wunderwerke zu schaffen, hatte auch eine dunkle Seite. Wenn technische Ziele um jeden Preis erreicht werden müssen, können ethische Grenzen überschritten werden. Der Dieselskandal ist das traurigste Beispiel dafür, was passiert, wenn Ingenieure Abkürzungen nehmen.

Als Meister trage ich Verantwortung. Nicht nur für die Reparatur, sondern auch für die Sicherheit. Wenn ein Kunde ein Chiptuning will, das die Abgaswerte verschlechtert, muss ich „Nein“ sagen. Die heutige Technik ist so vernetzt, ein falscher Eingriff kann alles durcheinanderbringen.

Wann der Profi ran muss: Ein Tipp für Hobbyschrauber

Für ambitionierte Heimwerker gilt heute mehr denn je: Kennt eure Grenzen! Ein Ölwechsel ist oft machbar, aber sobald es an Bremsen, Airbags oder Motorelektronik geht, hört der Spaß auf. Ein Klassiker bei modernen Motoren: Der Ölfilterdeckel ist aus Kunststoff. Viele ziehen den nach Gefühl an und… knack! Das Gehäuse ist gerissen. Eine kleine Unachtsamkeit, die schnell 200-300 Euro für ein neues Teil kostet. Also, kleiner Tipp: Investiert die 40 Euro in einen Drehmomentschlüssel. Im Zweifel ist der Weg zur Fachwerkstatt aber immer der sicherere und oft sogar günstigere.

Das Vermächtnis: Konsequenz in der Sache

Dieser Mann war sicher eine polarisierende Figur. Aber seine Konsequenz in der Sache war unbestreitbar. Er hat die Maßstäbe für Qualität und Technik neu definiert, weil er die Physik verstand und keine Kompromisse duldete.

Für mich in der Werkstatt ist sein Erbe eine tägliche Erinnerung. Es erinnert mich daran, warum ein Spaltmaß wichtig ist, warum ich einem Lehrling die Funktion eines Differenzials erklären muss und dass am Ende des Tages dieselben Prinzipien gelten: saubere Arbeit, das richtige Werkzeug und das Wissen, warum man etwas tut. Und das, mein Freund, ist das Vermächtnis, das wirklich zählt.

Michael von Adelhard

Michael von Adelhard ist 31 Jahre alt. Er arbeitet seit vielen Jahren als Journalist für einige der erfolgreichsten Nachrichten-Portale Deutschlands. Autor vieler Bücher und wissenschaftlicher Publikationen zum Thema «Einfluss sozialer Medien auf Jugendliche«. Schreibt über Themen wie Lifestyle, Umweltschutz, sowie Tech and Gadgets. In seiner Freizeit ist er häufig mit dem Fahrrad unterwegs – so schöpft er Inspiration für seine neuen Artikel.