Mehr als nur Drachen & Raketen: Mein Guide zum Chinesischen Neujahr – von einem, der’s lernen musste

Neues Jahr, neues Glück! Entdecke die faszinierenden Traditionen des chinesischen Neujahrs und erlebe, wie das Jahr des Schweins das Leben bereichert.

von Michael von Adelhard

Eine ehrliche Einführung: Mehr als nur ein Fest

In meiner Werkstatt hat alles seinen festen Platz. Jedes Werkzeug, jede Schraube. Ordnung und eine saubere Vorbereitung, das ist die Basis für jedes gute Handwerk. Mit den Jahren ist mir klar geworden, dass dieses Prinzip überall gilt. Meine Arbeit hat mich oft nach Asien geführt, und dort habe ich eine Kultur kennengelernt, die das Ganze auf eine völlig neue Ebene hebt. Ich rede vom Chinesischen Neujahrsfest.

Klar, bei uns kennt man die Bilder: rote Laternen, beeindruckende Drachentänze und lautes Feuerwerk. Aber das ist, ehrlich gesagt, nur die Show. Dahinter steckt eine tiefe Logik, ein System aus Respekt, Familie und dem ehrlichen Wunsch nach einem guten Neustart. Es erinnert mich immer an die Vorbereitung für ein Meisterstück. Du planst wochenlang, bringst die Werkstatt auf Hochglanz und besorgst die besten Materialien. Nur dann kann am Ende auch was Gescheites dabei herauskommen.

Ich bin kein Professor für Sinologie. Ich bin Handwerksmeister. Aber ich habe gelernt, zuzuhören und genau hinzuschauen. Ich habe mit Geschäftspartnern gegessen, ihre Familien getroffen und ja, auch den einen oder anderen Fehler gemacht, aus dem ich lernen durfte. Dieses Wissen will ich hier weitergeben. Nicht trocken und von oben herab, sondern als eine Art praktische Anleitung. Damit du verstehst, was wirklich zählt.

ein kleines goldenes schwein mit kleinen roten blumen und zwei kleine rote chinesische laternen und gelbe wolken, jaahr des schweins

Das Fundament verstehen: Warum der Kalender so tickt, wie er tickt

Bevor wir über die Bräuche reden, müssen wir kurz das Fundament klären. Bei uns ist Neujahr immer am 1. Januar. Simpel. Das Chinesische Neujahr hingegen wandert – mal ist es Ende Januar, mal Mitte Februar. Das liegt daran, dass es einem traditionellen Lunisolarkalender folgt, der Mond- und Sonnenzyklen kombiniert.

Ein Mondmonat geht von Neumond zu Neumond, das sind ungefähr 29,5 Tage. Zwölf davon ergeben aber nur 354 Tage, also deutlich weniger als unser Sonnenjahr. Würde man sich nur am Mond orientieren, würde das Neujahrsfest irgendwann im Sommer landen. Für eine Kultur, die so eng mit der Landwirtschaft verbunden ist, wäre das natürlich Quatsch. Also gibt es eine clevere Lösung, die mich an technische Ausgleichsberechnungen erinnert: Etwa alle drei Jahre wird ein ganzer Schaltmonat eingefügt. So bleibt das Fest immer im Winter und markiert den Übergang zum Frühling. Deshalb nennt man es auch „Frühlingsfest“ oder auf Chinesisch „Chūnjié“ (sprich: Tschun-Dschieh).

das jahr des schweins, eine straße mit vielen roten kleinen chinesischen laternen und menschen, das chinesische neujahr

Die Tierkreiszeichen: Mehr als nur ein Gimmick

Jedes Jahr steht im Zeichen eines von zwölf Tieren: Ratte, Büffel, Tiger, Hase, Drache, Schlange, Pferd, Ziege, Affe, Hahn, Hund und Schwein. Der Zyklus wiederholt sich alle zwölf Jahre. Viele glauben, dass das Tier des Geburtsjahres den Charakter beeinflusst. Damit du gleich mal schauen kannst, wo du und deine Liebsten hingehören, hier eine kleine Orientierungshilfe:

  • Ratte: Geboren in Jahren wie …, 1996, 2008, 2020, …
  • Büffel: Geboren in Jahren wie …, 1997, 2009, 2021, …
  • Tiger: Geboren in Jahren wie …, 1998, 2010, 2022, …

… und so geht das dann immer im 12-Jahres-Takt weiter. Aber das ist noch nicht alles! Jedes Jahr wird zusätzlich einem der fünf Elemente – Holz, Feuer, Erde, Metall, Wasser – zugeordnet. Das führt zu einem großen 60-Jahre-Zyklus. Für traditionell denkende Menschen ist das kein Hokuspokus, sondern hat echten Einfluss auf wichtige Lebensentscheidungen.

Die Vorbereitung: Die eigentliche Arbeit beginnt schon Wochen vorher

Der wichtigste Teil des Festes passiert, bevor die erste Rakete am Himmel explodiert. Die Vorbereitung ist alles. Hier wird der Grundstein für Glück und Erfolg im kommenden Jahr gelegt. Das ist keine Übertreibung – die ganze Gesellschaft schaltet einen Gang hoch, um rechtzeitig alles zu erledigen. Das kann man sich bei uns kaum vorstellen.

großer chinesischer drache mit weißen zähnen und großen schwarzen augen und roten ohren, viele kleine rote chinesche laterne

Damit du eine Vorstellung bekommst, hier ein kleiner Zeitplan, wie er typischerweise abläuft:

  • 2-3 Wochen vorher: Alte Schulden begleichen. Man will ohne Altlasten ins neue Jahr starten.
  • Etwa 1 Woche vorher: Der große Hausputz, das „Staubfegen“ (掃塵, sǎochén). Man fegt symbolisch alles Pech des alten Jahres aus dem Haus, um Platz für neues Glück zu schaffen. Wichtig: An den ersten Neujahrstagen selbst wird der Besen nicht angerührt, sonst fegt man das frische Glück gleich wieder raus!
  • Tage direkt vor Neujahr: Dekorieren, Einkaufen und das große Kochen für das Festmahl.

Rote Deko: Die Farbe für Glück und Schutz

Wenn alles blitzblank ist, wird dekoriert. Und zwar in Rot. Rot steht für Freude und Wohlstand und soll böse Geister abschrecken. Man sieht überall rote Laternen und kunstvolle Papierschnitte. An die Türen kommen rote Papierstreifen mit Versen (春聯, chūnlián), die Glück fürs neue Jahr wünschen.

Besonders beliebt ist das Schriftzeichen für „Glück“ (福, fú). Oft hängt man es absichtlich auf den Kopf. Das ist ein cleveres Wortspiel: Das chinesische Wort für „auf dem Kopf“ (倒, dào) klingt nämlich genauso wie das Wort für „angekommen“ (到, dào). Ein umgedrehtes Glückszeichen bedeutet also: „Das Glück ist angekommen.“

sonnenuntergang und viele orange und gelbe wolken im himmel, berge und ein wald mit grünen bäumen

Kleiner Handwerker-Tipp: So ein Glückszeichen kannst du super einfach selbst basteln! Hol dir im Asiamarkt oder Bastelladen ein Stück quadratisches, rotes Papier und einen dicken, schwarzen Pinselstift. Das Zeichen „福“ zu malen, ist gar nicht so schwer, und es ist eine tolle, persönliche Deko für die Tür. Die Materialien kosten dich vielleicht 5 bis 10 Euro.

Die Küche als Herzstück: Essen mit Bedeutung

Das Essen ist ein riesiges Thema. Jedes Gericht hat eine symbolische Bedeutung, oft basierend auf Wortspielen. Hier die drei wichtigsten:

  • Jiaozi (餃子, sprich: Dschiau-Dsö): Diese Teigtaschen sehen aus wie alte chinesische Geldstücke und stehen für Reichtum. Die ganze Familie sitzt zusammen und faltet sie. Ganz ehrlich, meine ersten Versuche sahen eher aus wie unförmige Klumpen, aber es ist die gemeinsame Zeit, die zählt.
  • Niangao (年糕, sprich: Nien-Gau): Ein klebriger Reiskuchen. Der Name klingt wie „höheres Jahr“ und symbolisiert den Wunsch nach beruflichem oder privatem Aufstieg.
  • Fisch (魚, yú, sprich: Jü): Fisch darf nicht fehlen, wird aber oft nicht ganz aufgegessen. Warum? Das Wort für Fisch (yú) klingt wie „Überschuss“ (餘). Man lässt also einen Rest, damit man im neuen Jahr immer mehr als genug hat.

Die Zutaten für diese Gerichte findest du übrigens problemlos in jedem größeren Asiamarkt.

Der Höhepunkt: Richtiges Verhalten als Gast

Der wichtigste Tag ist der Vorabend des Neujahrs (除夕, Chúxī). An diesem Abend kommt die ganze Familie zum großen Festessen zusammen. Wenn du jemals zu so einem Anlass eingeladen wirst, ist das eine riesige Ehre. Hier ein paar Spielregeln, um nicht ins Fettnäpfchen zu treten.

Was als Geschenk gut ankommt: Ein kleines Mitbringsel zeigt Respekt. Gut sind ein Korb mit Orangen oder Mandarinen (Symbol für Wohlstand), eine Schachtel guter Tee oder eine Flasche Alkohol. So ein Obstkorb kostet je nach Größe zwischen 25 und 50 Euro. Achte darauf, Geschenke immer in gerader Anzahl mitzubringen, am besten paarweise. Ungerade Zahlen verbindet man mit Beerdigungen.

Achtung, Fettnäpfchen! Was du besser nicht schenkst:

  • Niemals Uhren! „Eine Uhr schenken“ klingt im Chinesischen wie der Abschied von einem Sterbenden. Absolutes No-Go.
  • Keine scharfen Dinge: Messer oder Scheren symbolisieren das Zerschneiden von Beziehungen.
  • Keine Schuhe: Das Wort für Schuhe (鞋, xié) klingt wie das Wort für „Unglück“ (邪, xié).
  • Verpackung: Geschenkpapier sollte rot oder gold sein. Weiß oder Schwarz sind Trauerfarben.

Die roten Umschläge: Mehr als nur Geld

Kinder und unverheiratete junge Leute bekommen von den Älteren rote Umschläge (紅包, hóngbāo) mit Geld. Es ist ein Segen für Glück und Gesundheit. Und wie viel kommt da rein? Für die Kinder von Freunden oder Bekannten ist ein Betrag zwischen 5 und 20 Euro eine nette Geste. Innerhalb der Familie kann es natürlich auch mehr sein. Wichtiger als der Betrag ist aber: Die Scheine müssen neu und glatt sein! Also vorher extra zur Bank gehen. Man übergibt und empfängt den Umschlag immer mit beiden Händen und öffnet ihn nie vor den Augen des Gebers.

An den folgenden Tagen besucht man dann Verwandte, beginnend bei den Ältesten. Man wünscht sich „Gōngxǐ fācái“ (sprich: Gung-Hsi-Fa-Zai), was so viel heißt wie „Glückwunsch und werde reich“, oder einfach „Xīnnián kuàilè“ (sprich: Schin-Nien-Kuai-Lö) für „Frohes neues Jahr“.

Ein Land, viele Bräuche: Nicht überall ist es gleich

China ist riesig, und natürlich wird nicht überall gleich gefeiert. Im Norden sind die Jiaozi-Teigtaschen das absolute Muss. Im Süden isst man eher den Reiskuchen Niangao und süße Reisbällchen, die den Familienzusammenhalt symbolisieren. Dort sind auch die Löwentänze viel präsenter als im Norden, wo man eher Drachentänze sieht.

Sogar außerhalb Chinas haben sich eigene Traditionen entwickelt. In Malaysia zum Beispiel gibt es den „Lo Hei“-Brauch. Alle am Tisch werfen die Zutaten eines rohen Fischsalats mit Stäbchen in die Luft. Je höher, desto mehr Glück. Das ist eine laute, fröhliche Angelegenheit, die ich selbst miterleben durfte und die zeigt, wie lebendig diese Kultur ist.

Sicherheit und Realität: Ein Blick hinter die Kulissen

Bei aller Tradition gibt es auch eine ernste Seite. Das Fest löst jedes Jahr die größte Völkerwanderung der Welt aus, genannt „Chunyun“ (春運). Hunderte Millionen Menschen reisen nach Hause. Das bedeutet: Züge und Flüge sind auf Monate ausgebucht, Bahnhöfe brechend voll. Falls du mal in dieser Zeit dort unterwegs bist: Plane extrem weit voraus und pass gut auf deine Wertsachen auf.

Und das Feuerwerk? Ursprünglich sollten die lauten Böller böse Geister vertreiben. Heute sind private Feuerwerke in den meisten Großstädten aber streng verboten. Zu viele Unfälle, zu hohe Luftverschmutzung. Ein gut gemeinter Rat: Lass die Finger von illegalen Böllern. Die organisierten, öffentlichen Feuerwerke sind sowieso viel beeindruckender und vor allem sicher.

Meine Perspektive als Meister: Was wir daraus lernen können

Ich hab viel Zeit in China verbracht. Das Neujahrsfest war anfangs eine echte Herausforderung für mich als deutschen Unternehmer, der straffe Zeitpläne gewohnt ist. Plötzlich steht alles still – manchmal für zwei, drei, sogar vier Wochen.

Ich geb’s zu, das habe ich auf die harte Tour gelernt. Ich erinnere mich noch gut an einen Anruf in der ersten Neujahrswoche, bei dem ich naiv nach einer Lieferung fragte. Die Stille am anderen Ende der Leitung war lauter als jedes Feuerwerk. Lektion gelernt! Diese Zeit ist heilig und gehört der Familie. Wer das ignoriert, schadet der Geschäftsbeziehung nachhaltig.

Heute planen wir unsere Produktionszyklen um diese lange Pause herum. Das Fest hat mir Lektionen über Geduld, Respekt und die Wichtigkeit einer sauberen Grundlage beigebracht. Werte, die in jedem Handwerk und in jedem Leben zählen. Es geht darum, seine Wurzeln zu ehren und trotzdem zuversichtlich nach vorne zu schauen. Ein Prinzip, das jede gute Werkstatt und jede starke Familie zusammenhält.

Wenn du also das nächste Mal rote Laternen siehst, denk daran, was dahintersteckt. Es ist nicht nur Deko. Es ist das Zeichen einer tiefen, durchdachten und respektvollen Tradition. Und das zu verstehen, ist vielleicht das größte Geschenk.

Michael von Adelhard

Michael von Adelhard ist 31 Jahre alt. Er arbeitet seit vielen Jahren als Journalist für einige der erfolgreichsten Nachrichten-Portale Deutschlands. Autor vieler Bücher und wissenschaftlicher Publikationen zum Thema «Einfluss sozialer Medien auf Jugendliche«. Schreibt über Themen wie Lifestyle, Umweltschutz, sowie Tech and Gadgets. In seiner Freizeit ist er häufig mit dem Fahrrad unterwegs – so schöpft er Inspiration für seine neuen Artikel.