Norcia: Italiens Trüffel-Mekka, das dem Beben trotzte

von Brittany Alaine Koehler
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Tief in Umbrien, dem grünen Herzen Italiens, thront die 4.466-Einwohner-Stadt Norcia auf 604 Metern Höhe. Als ich das erste Mal die kurvige Straße in die Sibillinischen Berge hinauffuhr, erwartete ich ein verschlafenes Bergdorf. Was ich fand, war ein Ort voller Leben, unglaublicher Widerstandskraft und einem Duft, der alles dominiert: der des schwarzen Trüffels. Norcia ist ein beeindruckender Kontrast: klein und beschaulich, aber gleichzeitig die unangefochtene Welthauptstadt dieser kulinarischen Kostbarkeit. Doch die Stadt ist so viel mehr als nur ein Mekka für Feinschmecker – sie ist ein Symbol für italienische Resilienz.

Wie eine Kleinstadt zur Trüffel-Metropole wurde

Norcias Ruf als Trüffelparadies ist tief in seiner Erde verwurzelt. Die einzigartige Kombination aus Höhenlage, dem kalkhaltigen Boden und dem spezifischen Klima schafft perfekte Bedingungen für den begehrten Tuber melanosporum, den echten schwarzen Wintertrüffel. Ich war im Februar dort, pünktlich zur „Sagra del Tartufo Nero“, dem großen Trüffelfest. Die ganze Stadt verwandelt sich in einen einzigen Marktplatz. Der Duft ist berauschend, und an jeder Ecke kann man probieren. Ein wichtiger Tipp: Der edle Wintertrüffel hat von Dezember bis März Saison. Im Sommer findet man den günstigeren Sommertrüffel (Scorzone), der aber bei Weitem nicht so intensiv ist. Ein Preisunterschied, der Bände spricht: Ein Kilo Wintertrüffel kann leicht über 1.000 € kosten, während der Sommertrüffel oft für unter 200 € zu haben ist.

Mein unvergesslichstes Erlebnis war ein einfaches Abendessen in einer kleinen Trattoria. Eine Portion handgemachte Strangozzi-Pasta, nur mit Butter, Parmesan und frisch darüber gehobeltem schwarzem Trüffel. Mehr braucht es nicht. Für solch ein Gericht zahlt man direkt vor Ort etwa 15-20 €, ein Bruchteil dessen, was man in Deutschland dafür hinlegen würde. Es ist der pure, unverfälschte Geschmack der Region.

Benediktinisches Erbe und die Spuren des Bebens

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Norcia ist nicht nur kulinarisch, sondern auch spirituell von großer Bedeutung. Es ist der Geburtsort des heiligen Benedikt, dem Gründer des Benediktinerordens. Das Herz der Stadt ist die Piazza San Benedetto. Als ich dort stand, war das Gefühl bittersüß. Die Fassade der Basilika San Benedetto steht noch, ein trutziges Symbol der Hoffnung, doch dahinter klafft die Wunde, die das verheerende Erdbeben von 2016 hinterlassen hat. Überall in der Altstadt sieht man noch heute Kräne und Gerüste. Man sollte sich davon nicht abschrecken lassen. Im Gegenteil, es ist zutiefst bewegend zu sehen, mit welchem Stolz und welcher Entschlossenheit die „Nursini“, die Einwohner Norcias, ihre Stadt wiederaufbauen. Jeder geöffnete Laden, jedes restaurierte Haus ist ein Sieg.

Eine meiner schönsten Entdeckungen waren die Benediktinermönche selbst. Sie sind aus ihrer zerstörten Basilika etwas außerhalb der Stadtmauern umgezogen und haben dort ihre Brauerei wiedereröffnet. Ihr Bier, „Nursia“, ist fantastisch und der Kauf unterstützt direkt den Wiederaufbau. Eine Flasche kostet um die 8 € – ein perfektes und sinnvolles Souvenir.

Kulinarische Vielfalt jenseits des Trüffels

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Wer nach Norcia kommt und nur Trüffel isst, verpasst die Hälfte. Die Stadt ist die Heimat der Norcineria, der hohen Kunst der Schweinemetzgerei. Betritt man einen dieser Läden, wie die berühmte „Norcineria Felici“, wird man von einem intensiven Duft von geräuchertem Schinken und Gewürzen empfangen. Unzählige Schinken (Prosciutto di Norcia IGP) und Salamisorten hängen von der Decke. Mein Rat: Lassen Sie sich eine Platte mit verschiedenen Spezialitäten zusammenstellen. Dazu ein Stück lokalen Pecorino-Käse und das dünne, knusprige Brot der Region.

Und dann sind da noch die Linsen. Nicht irgendwelche Linsen, sondern die winzigen, geschmacksintensiven „Lenticchie di Castelluccio di Norcia“. Sie sind so besonders, dass sie ein EU-Schutzsiegel tragen. Im späten Frühling und Frühsommer (etwa Ende Mai bis Anfang Juli) verwandelt sich die Hochebene von Castelluccio, nur eine kurze Autofahrt von Norcia entfernt, in ein atemberaubendes Blütenmeer, die „Fiorita“. Ein Naturschauspiel, das man einmal im Leben gesehen haben muss.

Praktische Tipps für Ihre Reise nach Norcia

Norcia ist kein Ziel, das man im Vorbeifahren mitnimmt. Man muss bewusst dorthin wollen, und das ist gut so. Am besten fliegt man von Deutschland nach Perugia (PEG) und mietet sich dort ein Auto. Die Fahrt durch die umbrische Landschaft ist bereits ein Erlebnis. Ein Auto ist vor Ort unerlässlich, um die Flexibilität zu haben, auch die Hochebene von Castelluccio und andere Dörfer im Nationalpark der Sibillinischen Berge zu erkunden.

Für die Unterkunft gibt es alles von luxuriösen Hotels wie dem „Palazzo Seneca“ bis hin zu gemütlichen Agriturismi in der Umgebung, wo man für ein Doppelzimmer oft schon für 80-100 € pro Nacht unterkommt. Ich wünschte, ich hätte vorher gewusst, wie wichtig es ist, besonders am Wochenende, einen Tisch im Restaurant vorab zu reservieren. Die besten Lokale sind trotz der überschaubaren Größe der Stadt schnell ausgebucht.

Eine Aktivität, die ich jedem ans Herz lege, ist eine geführte Trüffelsuche mit einem lokalen Jäger und seinem Hund. Es ist faszinierend zu sehen, mit welcher Begeisterung der Hund arbeitet und wie tief die Tradition verwurzelt ist. So ein Erlebnis kostet etwa 50-70 € pro Person und ist jeden Cent wert. Norcia beweist eindrucksvoll, dass Größe nichts mit Bedeutung zu tun hat. Diese kleine Stadt hat eine Katastrophe überlebt und bewahrt stolz ihre Schätze – die kulinarischen, die spirituellen und vor allem den unbezwingbaren Geist ihrer Bewohner.

Brittany Alaine Koehler

Brittany Koehler ist eine amerikanische Autorin und Bloggerin, die in Norddeutschland lebt. Ihre Arbeit konzentriert sich auf die Themen „Slow Living“, kulturelle Eingewöhnung und die persönlichen Veränderungen, die das Leben im Ausland mit sich bringt.