Antarktis: U-Boot nach rätselhafter Entdeckung verschwunden

von Carra Hilde
antarktis u boot nach rytselhafter entdeckung verschwunden

In den eiskalten, unerforschten Tiefen unter der Westantarktis ist Anfang 2024 eine Mission zur Erforschung des Klimawandels in einem Desaster geendet. Das autonome Forschungs-U-Boot „Ran“ ist während eines Tauchgangs unter dem Dotson-Eisschelf spurlos verschwunden. Der Verlust des sechs Meter langen Hightech-Geräts ist ein herber Rückschlag, doch die Daten, die es kurz vor seinem Verschwinden sendete, sind noch brisanter: Sie zeigen bizarre, bisher unbekannte Strukturen an der Unterseite des Eises, die bestehende Klimamodelle infrage stellen.

Das unbemannte Fahrzeug war Teil der International Thwaites Glacier Collaboration (ITGC), einem der ambitioniertesten Forschungsprojekte unserer Zeit. Sein Ziel: die Achillesferse des Planeten zu verstehen. Die Mission führte „Ran“ in eine Höhle unter dem Eis, ein Gebiet, das noch kein Mensch zuvor gesehen hatte. „Es ist ein bisschen so, als würde man die Rückseite des Mondes sehen“, beschreibt Anna Wåhlin, Professorin für Meeresphysik an der Universität Göteborg und leitende Autorin der Studie, die Pioniertat. Die genaue Ursache für das Verschwinden bleibt ein Rätsel in einer der feindseligsten Umgebungen der Erde.

Ausgestattet mit modernstem Sonar, kartierte „Ran“ über 16 Kilometer direkt unter dem massiven Eisschild. Die hochauflösenden Karten enthüllten eine schockierend komplexe Landschaft aus umgekehrten Canyons, terrassierten Eisplateaus und tiefen Erosionsrinnen. Diese Formationen, geformt durch unsichtbare Meeresströmungen, waren weitaus dramatischer, als die Wissenschaftler erwartet hatten. „Diese Entdeckungen beweisen, dass wir die Mechanismen der Gletscherschmelze bisher nur unzureichend verstanden haben“, erklärt Wåhlin. Die bestehenden Modelle, die globale Küstenschutzmaßnahmen beeinflussen, sind offenbar zu simpel für die Realität, die sich unter dem Eis abspielt.

Warum der Verlust von „Ran“ die ganze Welt betrifft

antarktis u boot nach rytselhafter entdeckung verschwunden 2

Das Einsatzgebiet von „Ran“ war kein zufälliges Stück Eis. Der Dotson-Eisschelf ist ein Teil des Stützsystems für den riesigen Thwaites-Gletscher, der oft als „Doomsday-Gletscher“ bezeichnet wird. Dieser Gletscher allein hat das Potenzial, den globalen Meeresspiegel um mehr als 65 Zentimeter anzuheben. Sollte er kollabieren, könnte er benachbarte Eismassen destabilisieren, was zu einem katastrophalen Anstieg von mehreren Metern führen würde – eine existenzielle Bedrohung für Küstenstädte von Hamburg bis New York.

Die zentrale Frage, die „Ran“ beantworten sollte, war, warum der westliche Teil des Dotson-Schelfs weitaus schneller schmilzt als der östliche. Die letzten Daten des U-Boots bestätigten einen alarmierenden Verdacht: Relativ warmes, salzhaltiges „zirkumpolares Tiefenwasser“ aus dem Pazifik und dem Indischen Ozean wird unter das Eis gedrückt. Dieses Wasser, das mehrere Grad über dem Gefrierpunkt liegt, frisst das Eis von unten auf. „Ran“ entdeckte, dass die Topografie des Meeresbodens dieses warme Wasser wie durch Kanäle gezielt an die empfindlichsten Stellen des Gletschers lenkt. Diese Dynamik erklärt die ungleichmäßige Schmelze und ist ein entscheidender Faktor, der in globalen Klimaprognosen bisher vernachlässigt wurde.

Der Verlust des U-Boots, dessen Wert auf mehrere Millionen Euro geschätzt wird, ist daher mehr als nur ein materieller Schaden. Er schafft eine kritische Datenlücke. Forschungsinstitute wie das Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven arbeiten an ähnlichen Fronten, doch der Ausfall eines so spezialisierten Geräts verzögert die dringend benötigte Forschung um Jahre. In einem Wettlauf gegen die Zeit, in dem jede Information über die Kipppunkte des Klimas zählt, ist dies ein unschätzbarer Verlust.

Ein stiller Wettlauf im ewigen Eis

antarktis u boot nach rytselhafter entdeckung verschwunden 3

Obwohl das Verschwinden von „Ran“ höchstwahrscheinlich auf einen technischen Defekt, eine Kollision mit dem Meeresboden oder eine unvorhergesehene Strömung zurückzuführen ist, wirft der Vorfall ein Schlaglicht auf die wachsende strategische Bedeutung der Antarktis. Offiziell durch den Antarktisvertrag von 1959 der Wissenschaft und dem Frieden gewidmet, ist der Kontinent längst Schauplatz eines stillen geopolitischen Wettbewerbs. Nationen wie China, Russland und die USA bauen ihre Präsenz aus, nicht nur aus wissenschaftlichem Interesse, sondern auch im Hinblick auf zukünftige Ressourcen und strategische Vorteile.

Die hochmoderne Technologie, die für Missionen wie die von „Ran“ erforderlich ist, unterstreicht, dass die Polarforschung eine Domäne technologischer Supermächte geworden ist. Die Fähigkeit, unter kilometerdickem Eis zu operieren, ist nicht nur wissenschaftlich, sondern potenziell auch militärisch relevant. Der Verlust eines solch fortschrittlichen autonomen Systems in dieser strategisch sensiblen Region ist eine schmerzhafte Erinnerung an die extremen Risiken, die mit der Erkundung der letzten weißen Flecken auf der Landkarte verbunden sind.

Das Team kann über das Schicksal von „Ran“ nur spekulieren. Da eine Echtzeit-Kommunikation oder GPS-Ortung unter dem Eis unmöglich ist, war das U-Boot auf sich allein gestellt. Es kehrte einfach nicht zum vereinbarten Treffpunkt zurück. Trotz 14 erfolgreicher Missionen im Jahr 2022 endete die erste Mission zwei Jahre später in der Stille. „Obwohl wir unschätzbare Daten gesammelt haben, ist die Mission unvollendet“, so Wåhlin. „Wir hoffen, dass wir ‚Ran‘ ersetzen können, um diese wichtige Arbeit fortzusetzen.“ Die Geheimnisse, die das U-Boot mit in sein eisiges Grab nahm, bleiben eine drängende, unbeantwortete Frage für die Zukunft unseres Planeten.

Carra Hilde

Carra Hilde ist eine der jungen Autorinnen in unserem Online-Magazin. Aber dafür eine der produktivsten, vor allem bei ihren Lieblingsthemen: Sport, Ernährung und gesundes Leben. Carras Karriere begann als Redaktionsassistentin und Übersetzerin, über eine Tätigkeit als freie Journalistin bei der Sonntagszeitung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im Jahr 2015 bis hin zur Redakteurin beim Handelsblatt, einer führenden Wirtschafts- und Finanzzeitung.