Kolumbus‘ dunkles Erbe: Die Seuche, die das Klima veränderte

von Katrin Schubert
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Christoph Kolumbus ging 1492 in der Karibik an Land, überzeugt, einen neuen Seeweg nach Asien gefunden zu haben. Sein Name ist seither untrennbar mit der „Entdeckung“ Amerikas verbunden – einem Narrativ von Mut, Abenteuer und dem Beginn einer neuen globalen Epoche. Doch die wahre, folgenschwerste Fracht seiner Schiffe war unsichtbar. Es waren keine Gewürze oder Schätze, sondern Mikroorganismen, die eine Kette von Ereignissen auslösten, die nicht nur einen Kontinent entvölkerten, sondern möglicherweise sogar das Weltklima veränderten.

Diese weitreichende These ist das Kernstück der Arbeit des amerikanischen Wissenschaftsjournalisten Charles C. Mann, der in seinem Buch „1493“ die Ankunft der Europäer in der Neuen Welt als den Moment beschreibt, in dem „die zerrissenen Nähte des Superkontinents Pangäa wieder zusammengefügt wurden“. Was folgte, war der sogenannte „Kolumbianische Austausch“ – ein beispielloser Transfer von Pflanzen, Tieren, Technologien und eben auch Krankheitserregern zwischen den Kontinenten.

Der unsichtbare Passagier mit verheerender Wirkung

Während Europa von der Ankunft von Kartoffeln, Tomaten und Mais profitierte und Amerika Pferde, Zuckerrohr und Weizen erhielt, fand der tödlichste Teil des Austauschs auf mikroskopischer Ebene statt. Die Schiffe aus der Alten Welt brachten Erreger wie Pocken, Masern und Grippeviren mit, gegen die die indigene Bevölkerung Amerikas keinerlei Immunität besaß. Warum war dieser Austausch so einseitig? Die Antwort liegt tief in der menschlichen Vorgeschichte. Über Jahrtausende hatten Menschen in Europa und Asien eng mit domestizierten Tieren wie Rindern, Schweinen und Geflügel zusammengelebt. Viele der schlimmsten Seuchen der Menschheit sind Zoonosen – Krankheiten, die vom Tier auf den Menschen übergesprungen sind. Dieser ständige Kontakt schuf in der eurasischen Bevölkerung über Generationen eine grundlegende, wenn auch oft tödlich erkaufte Immunität.

In Amerika gab es weitaus weniger domestizierte Tierarten. Die Bevölkerung war daher immunologisch „naiv“ und den neuen Krankheitserregern schutzlos ausgeliefert. Was in Europa eine Kinderkrankheit war, wurde in Amerika zu einer apokalyptischen Seuche. Historiker und Demografen sprechen vom größten demografischen Kollaps der Menschheitsgeschichte. Schätzungen zufolge starben innerhalb von etwa einem Jahrhundert zwischen zwei Dritteln und bis zu 90 % der Ureinwohner Amerikas. Ganze Zivilisationen, Sprachen und Kulturen wurden ausgelöscht, lange bevor die meisten überhaupt einen Europäer zu Gesicht bekamen. Die Krankheiten eilten den Eroberern voraus und leisteten für sie eine grausame Vorarbeit.

Vom Kollaps der Zivilisation zur globalen Abkühlung

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Die Folgen dieser Katastrophe waren so gewaltig, dass sie über den menschlichen Bereich hinausgingen und den Planeten selbst veränderten. Das ist die faszinierende und zugleich erschreckende Hypothese, die Mann unter Berufung auf den Paläoklimatologen William F. Ruddiman entwickelt. Vor 1492 war Amerika ein dicht besiedelter Kontinent mit hochentwickelten Agrargesellschaften. Die indigenen Völker betrieben auf riesigen Flächen Landwirtschaft und Forstmanagement, oft durch gezieltes Abbrennen von Unterholz, um Platz für den Anbau zu schaffen und Jagdgründe zu pflegen.

Mit dem Zusammenbruch der Bevölkerung fielen diese bewirtschafteten Flächen brach. Felder verwilderten, und über den gesamten Kontinent eroberte sich der Wald riesige Gebiete zurück. Innerhalb weniger Jahrzehnte wuchsen auf einer Fläche, die Schätzungen zufolge der Größe Frankreichs entspricht, neue Wälder. Diese gewaltige Menge an neu wachsenden Bäumen tat, was Pflanzen eben tun: Sie zogen durch Photosynthese massiv Kohlendioxid (CO2) aus der Atmosphäre. Dieser Prozess war so umfangreich, dass er messbare Auswirkungen auf die globale CO2-Konzentration hatte.

Ruddimans Theorie besagt, dass dieser plötzliche CO2-Rückgang in der Atmosphäre den Treibhauseffekt abschwächte und als entscheidender Auslöser oder zumindest als wesentlicher Verstärker für die sogenannte „Kleine Eiszeit“ wirkte. Diese Klimaphase, die grob von der Mitte des 16. bis ins 19. Jahrhundert andauerte, brachte der nördlichen Hemisphäre ungewöhnlich kalte Winter und kühle Sommer.

Europas Zittern: Die Kleine Eiszeit vor der Haustür

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Die Auswirkungen waren weltweit spürbar, aber besonders in Europa drastisch dokumentiert. Die Winter wurden so streng, dass die Menschen, wie berichtet wurde, die 150 Kilometer breite Ostsee zwischen Dänemark und Schweden zu Fuß überqueren konnten. Die Kanäle in den Niederlanden und die Themse in London froren regelmäßig zu, was auf zahlreichen Gemälden der Epoche festgehalten ist. In Deutschland und Frankreich kam es immer wieder zu katastrophalen Ernteausfällen. Missernten führten zu Hungersnöten, sozialen Unruhen und politischer Instabilität. Einige Historiker argumentieren, dass die extreme Kälte und die damit verbundene Not die Brutalität und Dauer des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648) verschärft haben könnten, der in eine der kältesten Phasen der Kleinen Eiszeit fiel.

Auch in anderen Teilen der Welt war das Echo zu spüren. In China führten jahrelange, sintflutartige Regenfälle und Kälteeinbrüche zum Zusammenbruch der Ming-Dynastie. Die Ereignisse des Jahres 1492 hatten eine globale Kausalkette in Gang gesetzt, deren Zusammenhänge erst heute durch moderne Wissenschaft entschlüsselt werden.

Natürlich ist die Ruddiman-Hypothese in der Wissenschaft nicht unumstritten. Auch verringerte Sonnenaktivität und eine Häufung starker Vulkanausbrüche werden als wichtige Ursachen für die Kleine Eiszeit diskutiert. Doch die Verbindung zwischen der Entvölkerung Amerikas und der globalen Abkühlung gilt heute als plausibler und wichtiger Teil des Puzzles. Sie ist ein frühes, tragisches Beispiel dafür, wie eng menschliches Handeln – oder in diesem Fall das abrupte Ende menschlicher Landnutzung – mit dem globalen Klimasystem verwoben ist. Die Geschichte von Kolumbus ist damit weit mehr als eine Erzählung von Entdeckung und Eroberung. Sie ist eine Mahnung, wie tief und unvorhersehbar die Spuren sind, die wir als Menschheit auf diesem Planeten hinterlassen.

Katrin Schubert

Mit rund 80.000 Followern begeistert Katrin Schubert ihre Community mit ehrlichen, praxisnahen Tipps und einem humorvollen Blick aufs Gärtnern. Als Gewinnerin des Goldenen Spaten für Garten-Influencer ist sie eine authentische Stimme, die echtes Gartengefühl vermittelt. Ihr Herz schlägt besonders für die Vielfalt von Tomaten. In ihrem Garten in der Nähe von Potsdam kultiviert sie mit großer Hingabe über 40 verschiedene Sorten und probiert gerne neue und seltene Züchtungen aus. Ihr Wissen über Anbau, Pflege und die faszinierende Welt alter und seltener Gemüsesorten teilt sie begeistert mit anderen Gartenfreunden.