Isolierter als je zuvor: Ein Dorf, das seine Bahn verlor

von Brittany Alaine Koehler
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Man stellt sich das ländliche Deutschland oft als ein Idyll vor, durchzogen von einem feinen Netz aus Regionalbahnen, die jeden Winkel erreichbar machen. Das war auch mein Bild im Kopf, als ich mich auf den Weg nach Schleswig-Holstein machte, um eine Region abseits der Küsten zu erkunden. Doch die Geschichte von Remmels, einem winzigen Dorf mit gerade einmal 496 Einwohnern, hat mich eines Besseren belehrt und mir eine der ruhigsten und schönsten Wanderungen beschert, die ich je im Norden gemacht habe.

Wissenschaftliche Analysen zur Verkehrsgeschichte klingen erstmal trocken, aber was sie für Remmels aufdecken, ist eine faszinierende Paradoxie: Seit der Stilllegung der historischen Rendsburger Kreisbahn im Jahr 1956 ist das Dorf nicht besser, sondern schlechter angebunden. Was damals wie ein Rückschritt wirkte, entpuppt sich heute als ein Segen für Natur und Ruhesuchende.

Der Mythos der perfekten Anbindung

Ich kenne das Gefühl gut: Man schaut auf die Karte, sieht ein Dorf und eine größere Stadt in der Nähe und geht davon aus, dass es eine schnelle Verbindung gibt. In Remmels ist das Gegenteil der Fall. Die Stilllegung der Kleinbahn vor über 60 Jahren war ein tiefer Einschnitt. Ich habe es selbst ausprobiert: Die Fahrt mit dem Bus von Rendsburg, die theoretisch möglich ist, dauert heute eine gefühlte Ewigkeit und ist umständlich. Mit dem Auto ist man flexibler, aber die Landstraßen sind schmal und kurvig. Was die alte Bahn in unter einer Stunde schaffte, dauert heute oft doppelt so lange. Dieser Verlust an Mobilität hat das Dorf in einen Dornröschenschlaf versetzt.

Die überraschende Schönheit der Isolation

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Doch genau diese verkehrstechnische Abgeschiedenheit ist heute der größte Schatz von Remmels. Wo einst Züge schnauften, hat sich die Natur ihr Territorium zurückerobert. Ich bin selbst auf der alten Bahntrasse gewandert, die heute Teil eines wunderschönen Wegenetzes ist. Besonders der unter Naturschutz stehende Pulser Damm ist ein absolutes Highlight. Man läuft auf einem erhöhten Weg durch Feuchtwiesen und kleine Wälder und spürt bei jedem Schritt die Geschichte des Ortes.

Es ist eine besondere Art des Wanderns. Man braucht keine spezielle Ausrüstung, gute Turnschuhe reichen völlig. Der Weg ist breit und eben. Was mich am meisten beeindruckt hat, war die Stille. Man hört nur den Wind in den Bäumen und das Zwitschern der Vögel. Hier gibt es keinen Massentourismus, keine Souvenirläden, keine überfüllten Parkplätze. Man hat die Landschaft oft ganz für sich allein. Das ist ein Luxus, den man in Deutschland nur noch selten findet.

Praktische Tipps für deine Entdeckungstour

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Wenn du dieses Stück unberührte Natur selbst erleben möchtest, habe ich ein paar persönliche Tipps für dich, die in keinem Reiseführer stehen.

Anreise und Parken: Am besten reist du mit dem Auto an. Der ideale Ausgangspunkt ist die nächstgelegene Kleinstadt Hohenwestedt, etwa 5 km südlich. Von Hamburg aus ist man in gut einer Stunde da. In Remmels selbst gibt es kaum Parkmöglichkeiten. Ich empfehle, einen der Wanderparkplätze in der Umgebung anzusteuern, zum Beispiel nahe des Pulser Damms. Einfach ins Navi eingeben und den Schildern folgen.

Die beste Zeit für einen Besuch: Der Originalartikel empfiehlt den Spätsommer, und das ist sicher wunderschön. Ich war allerdings im späten Frühling dort, wenn die Rapsfelder in vollem Gelb stehen und einen unglaublichen Kontrast zum Grün der Wiesen bilden. Aber auch ein nebliger Herbsttag hat seinen Reiz und verleiht der Landschaft etwas Mystisches. Ich würde den Hochsommer meiden, da es auf den offenen Dammabschnitten kaum Schatten gibt.

Essen und Trinken: Direkt in Remmels gibt es keine Gastronomie. Das unterstreicht die Authentizität des Ortes. Mein persönlicher Tipp: Pack dir ein Picknick ein und genieße es auf einer der Bänke entlang der alten Trasse. Für eine richtige Mahlzeit fahre ich gerne ins nahegelegene Nortorf in den „Alten Landkrug“. Dort gibt es ehrliche, regionale Holsteiner Küche zu fairen Preisen. Ein Hauptgericht kostet hier zwischen 15 und 25 Euro. Alternativ bieten die vielen Hofcafés der Region leckeren selbstgebackenen Kuchen an – halte einfach Ausschau nach den Schildern am Straßenrand.

Ein Paradies vor der Haustür

Die Heide-Itzehoer Geest, in der Remmels liegt, ist eine oft übersehene Landschaft. Während alle an die Küsten von Nord- und Ostsee strömen, findet man hier im Binnenland eine sanfte Hügellandschaft, durchzogen von kleinen Bächen wie der Papenau. Es ist ein Refugium für seltene Pflanzen und Tiere geworden. Für mich ist es das perfekte Beispiel für nachhaltigen Regionaltourismus, von dem Experten für 2025 einen Boom erwarten.

Remmels braucht keine großen Hotels oder Attraktionen. Seine Anziehungskraft liegt in seiner Geschichte und seiner Stille. Ähnlich wie manche Dörfer im Spreewald ihre Kultur durch Isolation bewahren konnten, hat Remmels seine Natur bewahrt. Die Geschichte dieses kleinen Dorfes zeigt eindrucksvoll, dass Fortschritt nicht immer Lärm und Geschwindigkeit bedeuten muss. Manchmal liegt der größte Schatz im Innehalten und darin, die leisen Spuren der Vergangenheit in der Gegenwart zu entdecken. Ein Ausflug hierher ist mehr als nur eine Wanderung – es ist eine kleine Zeitreise.

Brittany Alaine Koehler

Brittany Koehler ist eine amerikanische Autorin und Bloggerin, die in Norddeutschland lebt. Ihre Arbeit konzentriert sich auf die Themen „Slow Living“, kulturelle Eingewöhnung und die persönlichen Veränderungen, die das Leben im Ausland mit sich bringt.