Einst Name von Omas & Tanten, heute fast verschwunden

von Elke Schneider
einst name von omas tanten heute fast verschwunden

Manche Namen scheinen in Wellen zu kommen und zu gehen, ganz ähnlich wie Modetrends. Sie tauchen in alten Fotoalben auf, in vergilbter Schrift unter den Bildern von Großtanten und Urgroßmüttern, bevor sie für Jahrzehnte in der Versenkung verschwinden. Plötzlich sind sie wieder da, auf den Spielplätzen und in den Kindergartengruppen. Namen wie Emil, Klara oder Anton erleben in Deutschland seit Jahren eine Renaissance. Doch es gibt auch Namen, die diesen Sprung zurück in die Gegenwart noch nicht geschafft haben. Einer davon ist Waleria.

Es ist ein Name, der eine fast majestätische Stärke ausstrahlt, dessen Klang tief in der europäischen Geschichte verwurzelt ist. Und doch hört man ihn heute kaum noch. Während im Jahr 2022 Namen wie Emilia, Mia und Sophia die Listen der beliebtesten Mädchennamen anführten, wurde der Name Waleria in den letzten zehn Jahren deutschlandweit nur wenige hundert Mal vergeben. Er ist ein leises Echo aus einer vergangenen Zeit, ein Name, der auf seine Wiederentdeckung wartet.

Von der römischen Kaiserin zur bürgerlichen Matriarchin

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Die Spuren von Waleria führen zurück ins Römische Reich, zur gens Valeria, einer der ältesten und einflussreichsten Patrizierfamilien Roms. Der Name selbst leitet sich vom lateinischen Wort „valere“ ab, was so viel wie „stark sein“, „gesund sein“ oder „Einfluss haben“ bedeutet. Es war ein Name, der Macht und Vitalität versprach. Anfänglich wurde er vor allem von Männern getragen – Valerius –, doch schon bald fand er auch seine weibliche Form. Die wohl berühmteste und berüchtigste Trägerin war Valeria Messalina, die dritte Frau des Kaisers Claudius. Ihr Leben und ihr dramatisches Ende prägten das Bild einer ebenso faszinierenden wie rücksichtslosen Frau und verliehen dem Namen eine historische Schwere.

Mit dem Untergang Roms und der Ausbreitung des Christentums verloren viele lateinische Namen an Bedeutung. Sie wichen den Namen von Heiligen und Märtyrern. Waleria überlebte jedoch, unter anderem durch die Verehrung der Heiligen Valeria von Mailand. Doch erst in der Renaissance, als sich Gelehrte und Künstler auf die Ideale der Antike zurückbesannen, erlebte der Name eine erste Wiedergeburt in den Adelshäusern Europas.

Seinen eigentlichen Höhepunkt im deutschsprachigen Raum erreichte Waleria jedoch erst viel später, im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. In der Kaiserzeit und der Weimarer Republik war er ein durchaus gebräuchlicher Name für Mädchen aus dem Bürgertum. Er passte in eine Zeit, in der Tugenden wie Stärke, Anstand und familiärer Zusammenhalt hochgehalten wurden. Es ist die Generation unserer Groß- und Urgroßmütter, die diesen Namen trug und ihn mit Leben füllte.

Warum ist Waleria heute so selten?

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Nach dem Zweiten Weltkrieg änderte sich der Zeitgeist radikal. Viele Namen, die mit der Generation der Eltern und Großeltern verbunden waren, wurden als altmodisch und belastet empfunden. Kürzere, internationalere oder als modern empfundene Namen setzten sich durch. Waleria verschwand langsam aus den Geburtsregistern. Anders als seine französische Variante Valerie, die in den 70er und 80er Jahren sehr populär war und bis heute geläufig ist, konnte Waleria nie wieder richtig Fuß fassen.

Doch woran liegt das? Namensforscher sehen hier mehrere mögliche Gründe. Mit seinen vier Silben (Wa-le-ri-a) wirkt der Name im Vergleich zu den heute beliebten zwei- oder dreisilbigen Namen wie Lina oder Ella lang und vielleicht etwas umständlich. Auch die gängigen Koseformen sind nicht so eingängig wie bei anderen Namen; während man aus Valerie leicht eine „Vali“ machen kann, wirken deutsche Spitznamen für Waleria wie „Wally“ oder „Wale“ heute eher aus der Zeit gefallen.

Möglicherweise spielt auch die Phonetik eine Rolle. Der harte „W“-Laut am Anfang, gefolgt von den weichen Vokalen, schafft einen Klang, der sich von den aktuell favorisierten, sanfteren Namen abhebt. Es ist ein Name, der eine gewisse Erhabenheit ausstrahlt, die vielleicht nicht mehr dem Lebensgefühl vieler junger Eltern entspricht, die nach unkomplizierten, leichten und international verständlichen Namen suchen.

Interessanterweise ist der Name in anderen Teilen Europas weitaus präsenter. In Italien und Spanien ist Valeria ein zeitloser Klassiker, und auch in osteuropäischen Ländern wie Polen oder Russland (als Walerija) ist er deutlich häufiger anzutreffen. Das Phänomen des „vergessenen“ Namens ist also stark regional geprägt und spiegelt die unterschiedlichen kulturellen Entwicklungen und Vorlieben in Europa wider.

Für Frauen, die heute Waleria heißen, bedeutet ihr Name oft ein Alleinstellungsmerkmal. Sie müssen ihn selten mit anderen teilen und er bleibt im Gedächtnis. Der Name steht für Charakterstärke, Mut und Unabhängigkeit – Eigenschaften, die ihm seit der Antike zugeschrieben werden. Er verkörpert die Fähigkeit, Widrigkeiten zu trotzen und eigene Ziele zu verfolgen, ohne dabei die Verbindung zur Familie zu verlieren. Vielleicht ist es gerade diese unaufdringliche Stärke, die den Namen für eine zukünftige Generation von Eltern wieder attraktiv machen könnte – als bewusste Entscheidung gegen den Strom, für einen Namen mit Tiefe, Geschichte und einer kraftvollen Bedeutung.

Elke Schneider

Elke Schneider ist eine vielseitige Sammlerin von Fachkenntnissen. Ihren Weg in den Journalismus begann sie mit einem soliden Fundament aus ihrem Studium an der Universität Dresden. Literatur, Kunstgeschichte und Philologie sind ihre Lieblingsfächer.