Habsburg: Ursprung der Weltmacht lag in diesem kleinen Land

Wenn wir an die Habsburger denken, jene Dynastie, die einst ein Reich regierte, in dem die Sonne nie unterging, schweifen die Gedanken unweigerlich zu den prunkvollen Sälen der Wiener Hofburg oder den ernsten, steinernen Fassaden des Escorial bei Madrid. Doch die Wurzeln einer der mächtigsten Herrscherfamilien der europäischen Geschichte liegen weder in den österreichischen Alpen noch auf der kastilischen Hochebene. Sie entspringen einer weitaus bescheideneren Ecke Europas: einem Hügel im Norden der heutigen Schweiz.
Im Kanton Aargau, unweit des Zusammenflusses von Aare und Reuss, thront noch heute die Habsburg. Eine Festung aus dem 11. Jahrhundert, deren Name zum Synonym für ein Weltreich werden sollte. Heute ist die Burg ein Museum, ein stiller Zeuge der unscheinbaren Anfänge einer Familie, die über Jahrhunderte die Geschicke Europas und weiter Teile der Welt lenken sollte. Zu jener Zeit war die Schweiz noch kein eigenständiger Staat, sondern ein Teil des Heiligen Römischen Reiches – ein komplexes Mosaik aus Fürstentümern, freien Reichsstädten und kirchlichen Territorien, lose zusammengehalten von der Autorität eines gewählten Kaisers.
Vom Regionalfürsten zum Königsmacher
Die frühen Habsburger waren lokale Feudalherren mit begrenzten Ländereien und zunächst ebenso begrenzten Ambitionen. Doch sie beherrschten eine Kunst, die sich als mächtiger erweisen sollte als jede Armee: die strategische Vernetzung durch Bündnisse und vor allem durch Heiraten. Ihr politisches Geschick bestand darin, Macht nicht primär auf dem Schlachtfeld zu erobern, sondern im Verhandlungszimmer und am Traualtar zu erwerben. Der legendäre Leitspruch „Bella gerant alii, tu felix Austria nube!“ (Kriege mögen andere führen, du, glückliches Österreich, heirate!) war noch nicht geprägt, aber das Prinzip wurde bereits gelebt.
Der entscheidende Sprung auf die große Bühne der europäischen Politik gelang 1273, als Rudolf I. von Habsburg zum römisch-deutschen König gewählt wurde. Für die mächtigen Kurfürsten des Reiches war er ein Kompromisskandidat – ein Graf aus dem Südwesten, der als nicht mächtig genug galt, um ihre eigene Macht zu gefährden. Eine fatale Fehleinschätzung. Rudolf nutzte die königliche Würde, die mehr Prestige als tatsächliche territoriale Macht mit sich brachte, meisterhaft, um die Hausmacht seiner Familie auszubauen. Er entzog dem böhmischen König Ottokar II. die Herzogtümer Österreich und Steiermark und belehnte damit seine eigenen Söhne. Dies legte den Grundstein für die fast 650-jährige Verbindung der Habsburger mit Österreich und verlagerte den Schwerpunkt der Dynastie von der Schweiz nach Wien.
Die Erfindung eines globalen Imperiums

In den folgenden zwei Jahrhunderten sammelten die Habsburger durch Erbschaften und geschickte Politik weitere Territorien in Mitteleuropa. Der Aufstieg zu einer globalen Dynastie erfolgte jedoch erst einige Jahrhunderte später durch eine einzige, folgenschwere Eheschließung: 1496 heiratete Philipp der Schöne, Sohn des Kaisers Maximilian I., Johanna von Kastilien, die Tochter der Katholischen Könige Isabella I. und Ferdinand II. von Spanien.
Aus dieser Verbindung ging ihr Sohn Karl hervor, der als Karl V. des Heiligen Römischen Reiches und Karl I. von Spanien ein Erbe antrat, das die Welt bis dahin nicht gesehen hatte. Von seinem Vater erbte er die Niederlande, Luxemburg und das reiche Burgund; von seiner Mutter das vereinigte Königreich Kastilien-Aragon mit seinen riesigen Besitzungen in Amerika und den Einflussbereichen in Italien. Innerhalb weniger Generationen war eine Adelsfamilie vom Aargau zur Herrscherin über ein globales Reich aufgestiegen. Die Silberflotten aus der Neuen Welt finanzierten ihre Kriege in ganz Europa und machten sie zur Vormacht des Kontinents.
Diese beispiellose Machtkonzentration rief jedoch unweigerlich Neid und Misstrauen hervor. Sie verletzte eine ungeschriebene Regel der europäischen Mächtebalance: Keine Dynastie durfte so übermächtig werden, dass sie den gesamten Kontinent dominieren konnte. Insbesondere Frankreich, das von habsburgischen Territorien fast vollständig eingekreist war, wurde zum erbitterten Gegner. Diese Rivalität prägte die europäische Politik für über 200 Jahre und führte zur Bildung immer neuer antihabsburgischer Bündnisse. Der Verdacht, als Agenten einer fremden Macht zu agieren, lastete schwer auf habsburgischen Prinzessinnen an ausländischen Höfen, wie etwa auf Anna von Österreich am Hof Ludwigs XIII. oder, am tragischsten, auf Marie Antoinette in der Französischen Revolution.
Das Erbe und die Schattenseiten der Macht

Die Heiratspolitik, die den Habsburgern ihr Reich beschert hatte, wurde ihnen auf lange Sicht auch zum Verhängnis. Um die riesigen Besitztümer in der Familie zu halten, waren Ehen zwischen nahen Verwandten, insbesondere zwischen dem spanischen und dem österreichischen Zweig der Familie, an der Tagesordnung. Die genetischen Folgen waren verheerend und manifestierten sich am deutlichsten in der sogenannten „Habsburger Unterlippe“, einer ausgeprägten Progenie. Beim letzten spanischen Habsburger, Karl II., führte die jahrhundertelange Inzucht zu schweren körperlichen und geistigen Behinderungen, die ihn zeugungsunfähig machten. Sein Tod im Jahr 1700 stürzte Europa in den Spanischen Erbfolgekrieg und beendete die Herrschaft der Habsburger in Spanien.
In Österreich regierte die Dynastie – seit 1740 als Haus Habsburg-Lothringen – weiter, bis zum Ende des Ersten Weltkriegs 1918 der Zerfall der k.u.k. Monarchie auch ihre Herrschaft beendete. Doch die Familie verschwand nicht. Heute ist Karl Habsburg-Lothringen das Oberhaupt des Hauses. Als ehemaliger Abgeordneter des Europäischen Parlaments und Präsident der Paneuropa-Union engagiert er sich für die europäische Einigung – eine moderne Interpretation des alten habsburgischen Konzepts eines geeinten, multinationalen Europas.
In der Schweiz, im Kanton Aargau, steht die Burg, in der alles begann, noch immer an ihrem Platz. Sie ist bescheidener als die Paläste, die ihre Nachfahren später bauen sollten, aber ihre Mauern erzählen eine umso größere Geschichte: die Geschichte, wie eine lokale Adelsfamilie mit Weitblick, Ehrgeiz und einer klaren Strategie ein kleines Anwesen am Fluss Aare zur Keimzelle eines der größten Reiche der Weltgeschichte machte.