Sensationsfund in Georgien: 1,8 Millionen Jahre alt

von Elke Schneider
sensationsfund in georgien 18 millionen jahre alt

In der trockenen, hügeligen Landschaft Südgeorgiens, etwa 100 Kilometer südwestlich der pulsierenden Hauptstadt Tiflis, hat ein Team von Archäologen eine Entdeckung gemacht, die das Potenzial hat, die früheste Geschichte der Menschheit in Eurasien neu zu beleuchten. In der Nähe des Dorfes Orozmani stießen sie auf einen menschlichen Kieferknochen, dessen Alter auf atemberaubende 1,8 Millionen Jahre datiert wird. Dieser Fund ist mehr als nur ein weiteres Fossil; er ist ein entscheidendes Puzzleteil in der faszinierenden Geschichte der ersten menschlichen Pioniere, die den afrikanischen Kontinent verließen.

Die Ausgrabungsstätte Orozmani liegt in unmittelbarer Nähe eines Ortes, der in der Paläoanthropologie bereits Legendenstatus besitzt: Dmanisi. Dort wurden in den letzten Jahrzehnten die ältesten menschlichen Überreste außerhalb Afrikas gefunden, darunter mehrere spektakulär gut erhaltene Schädel von Homo erectus. Diese Funde bewiesen, dass frühe Menschen bereits vor fast zwei Millionen Jahren die weite Reise nach Eurasien angetreten hatten – eine Erkenntnis, die das bisherige Zeitfenster für die menschliche Migration erheblich erweiterte. Der neue Fund in Orozmani bestätigt nun eindrucksvoll, dass es sich bei Dmanisi nicht um einen isolierten Außenposten handelte. Vielmehr scheint die gesamte Region ein zentraler Korridor und Lebensraum für diese frühen Menschengruppen gewesen zu sein.

Ein Fenster in eine verlorene Welt

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Die Bedeutung des Kieferknochens von Orozmani liegt nicht nur in seinem Alter, sondern auch im Kontext, in dem er gefunden wurde. Zusammen mit dem menschlichen Fossil entdeckten die Forscher eine Fülle von Überresten prähistorischer Tiere. Die Knochen von Säbelzahntigern, Wölfen, Hirschen und sogar Elefanten und Giraffen zeichnen das Bild einer vielfältigen und gefährlichen Welt, in der sich unsere Vorfahren behaupten mussten. „Orozmani kann uns wichtige Informationen über die Geschichte der Menschheit liefern“, erklärte Professor Giorgi Bidzinashvili von der Ilinski State University gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Er betont, dass die Analyse dieser Fundschicht ein detailliertes Verständnis der damaligen Ökosysteme ermöglicht.

Neben den Tierfossilien wurden auch einfache Steinwerkzeuge geborgen. Diese Werkzeuge sind der stumme, aber unmissverständliche Beweis für die kognitiven und handwerklichen Fähigkeiten dieser frühen Homininen. Sie nutzten sie wahrscheinlich, um Kadaver zu zerlegen, an nahrhaftes Knochenmark zu gelangen oder pflanzliche Nahrung zu verarbeiten. Jeder einzelne Fund – der Kiefer, die Tierknochen, die Werkzeuge – fügt sich zu einem Mosaik zusammen, das uns einen seltenen Einblick in den Alltag, die Ernährung und die Überlebensstrategien des Homo erectus gibt.

Diese Entdeckungen werfen grundlegende Fragen auf, die Forscher weltweit beschäftigen. Was trieb diese frühen Menschen an, die Sicherheit ihrer afrikanischen Heimat zu verlassen? Folgten sie den Herden ihrer Beutetiere? Waren es klimatische Veränderungen, die sie zur Wanderung zwangen? Oder war es die pure menschliche Neugier, die sie über den Horizont blicken ließ? Der Fundort in Georgien, an der Schnittstelle zwischen Europa und Asien, war strategisch ideal gelegen, um von hier aus neue Gebiete zu erschließen. Die Region war damals vermutlich kein trockenes Hügelland, sondern eine fruchtbarere Savannenlandschaft, die den aus Afrika bekannten Bedingungen ähnelte und somit eine erfolgreiche Ansiedlung erleichterte.

Die globale Bedeutung und die deutsche Perspektive

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Die Erforschung der frühen Menschheitsgeschichte ist ein globales Unterfangen, an dem auch deutsche Institutionen maßgeblich beteiligt sind. Insbesondere das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig gilt als eines der weltweit führenden Zentren für die Untersuchung der menschlichen Evolution. Obwohl nicht direkt an dieser spezifischen Ausgrabung beteiligt, liefert die Arbeit deutscher Forscher oft die methodischen und technologischen Grundlagen, um aus solchen Funden maximale Informationen zu gewinnen. Moderne Analyseverfahren können beispielsweise Rückschlüsse auf die Ernährung zulassen, indem sie mikroskopische Abnutzungsspuren an den Zähnen untersuchen oder chemische Signaturen im Knochenmaterial analysieren.

Die Entdeckung in Orozmani ist somit auch eine Bestätigung für die Theorien, die durch die früheren Funde in Dmanisi aufgestellt wurden. Die Dmanisi-Schädel, insbesondere der berühmte „Schädel 5“, zeigten eine erstaunliche morphologische Vielfalt innerhalb einer einzigen Population des Homo erectus. Dies führte zu der Debatte, ob verschiedene frühe menschliche Arten wie Homo habilis oder Homo rudolfensis möglicherweise nur Variationen einer einzigen, weit verbreiteten Spezies waren. Der Kieferknochen von Orozmani wird nun mit Spannung untersucht, um zu sehen, ob er diese Hypothese weiter stützt oder neue Fragen aufwirft.

Die kommenden Monate und Jahre werden entscheidend sein. Eine detaillierte Untersuchung des Fossils wird nicht nur sein genaues Alter und die genaue Spezies bestimmen, sondern vielleicht auch Hinweise auf das Geschlecht und den Gesundheitszustand des Individuums geben. Für die Wissenschaftler ist es, als hätten sie ein einzelnes Wort aus einem lange verlorenen Buch geborgen. Jedes weitere Fossil, das in dieser geschichtsträchtigen Region Georgiens aus der Erde geholt wird, ist ein weiterer Satz, der uns hilft, die epische Geschichte unserer eigenen Herkunft zu verstehen – eine Geschichte, die vor 1,8 Millionen Jahren in den Steppen am Rande Europas ein entscheidendes Kapitel aufschlug.

Elke Schneider

Elke Schneider ist eine vielseitige Sammlerin von Fachkenntnissen. Ihren Weg in den Journalismus begann sie mit einem soliden Fundament aus ihrem Studium an der Universität Dresden. Literatur, Kunstgeschichte und Philologie sind ihre Lieblingsfächer.