Atlantik-Kollaps: Drohen Europa extreme Winter und Dürren?

von Elke Schneider
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Ein Alarmsignal aus der Tiefe des Ozeans stellt unser Verständnis von Klimastabilität auf den Kopf. Neue Analysen warnen, dass die Atlantische Meridionalzirkulation (AMOC), oft als die „Heizung Europas“ bezeichnet, weitaus fragiler ist als bisher angenommen. Wissenschaftler sehen ihren Zusammenbruch nicht mehr als ein unwahrscheinliches Szenario in ferner Zukunft, sondern als eine reale Bedrohung, die innerhalb der nächsten Jahrzehnte eintreten könnte. Die Folgen wären global, doch für Europa wären sie existentiell – von eisigen Wintern über verheerende Dürren bis hin zu einem dramatischen Anstieg des Meeresspiegels an den Küsten.

Die AMOC ist ein gewaltiges System von Meeresströmungen, das wie ein globales Förderband funktioniert. Es transportiert warmes, salzhaltiges Wasser aus den Tropen an der Oberfläche nordwärts. Vor Grönland gibt es seine Wärme an die Atmosphäre ab – ein Prozess, der Westeuropa ein mildes Klima beschert. Das abgekühlte, dichtere Wasser sinkt dann in die Tiefe und fließt südwärts zurück. Dieses System ist das Herzstück des nordatlantischen Klimas. Doch Messungen zeigen: Die Zirkulation ist bereits heute so schwach wie seit mindestens 1.600 Jahren nicht mehr, eine direkte Folge der globalen Erwärmung.

Bisherige Klimamodelle, auf die sich auch der Weltklimarat (IPCC) stützte, hielten einen Kollaps vor 2100 für unwahrscheinlich. Doch eine neue Generation von Studien, die in Fachzeitschriften wie Environmental Research Letters veröffentlicht wurden, zeichnet ein düstereres Bild. Forscher ließen ihre Modelle weit über das Jahr 2100 hinauslaufen und entdeckten einen beunruhigenden Mechanismus: Der kritische Punkt, ab dem der Zusammenbruch unumkehrbar wird, könnte schon in den nächsten ein bis zwei Jahrzehnten erreicht werden. Der eigentliche Kollaps der Strömung könnte dann innerhalb von 50 bis 100 Jahren folgen.

Was ein Zusammenbruch für Deutschland bedeuten würde

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Die Konsequenzen eines solchen Ereignisses sind schwer vorstellbar und würden weit über das hinausgehen, was wir bisher als „Extremwetter“ bezeichnen. Ein Blick in die Erdgeschichte liefert eine Ahnung: Der letzte große Zusammenbruch der AMOC am Ende der letzten Eiszeit löste die sogenannte Jüngere Dryaszeit aus und stürzte Europa für über 1.000 Jahre zurück in eiszeitähnliche Bedingungen.

Für das heutige Europa wären die Auswirkungen katastrophal:

  • Extreme Winter: Westeuropa, einschließlich Deutschland, könnte eine Abkühlung der Wintertemperaturen um bis zu 15°C erleben. Dies würde nicht nur den Alltag lahmlegen, sondern auch die Energieinfrastruktur an ihre absolute Grenze bringen. Die Nachfrage nach Heizenergie würde explodieren, während Flüsse wie der Rhein oder die Elbe möglicherweise zufrieren und wichtige Transportwege blockieren.
  • Sommerdürren und Ernteausfälle: Während die Winter kälter würden, könnte sich der tropische Regengürtel nach Süden verschieben. Für Süd- und Mitteleuropa würde dies wahrscheinlich zu noch heißeren und trockeneren Sommern führen. Die Landwirtschaft, die bereits heute unter Wasserknappheit leidet, stünde vor dem Kollaps. Die Nahrungsmittelproduktion für Millionen von Menschen wäre gefährdet, was die Lieferketten in ganz Europa bedrohen würde.
  • Anstieg des Meeresspiegels: Ein Kollaps der AMOC würde die Meeresspiegelverteilung verändern. Für die deutsche Nordseeküste und Städte wie Hamburg oder Bremen wird ein zusätzlicher Anstieg von bis zu 50 Zentimetern prognostiziert, was den Küstenschutz vor immense Herausforderungen stellen würde.

Der Motor dieser Destabilisierung liegt in der Arktis. Das schmelzende Grönlandeis und zunehmende Niederschläge spülen enorme Mengen an Süßwasser in den Nordatlantik. Dieses Süßwasser ist leichter als Salzwasser und legt sich wie ein Deckel auf den Ozean. Es verhindert, dass das wärmere Wasser aus dem Süden ausreichend abkühlen und in die Tiefe sinken kann. Diese sich selbst verstärkende Rückkopplungsschleife verlangsamt das gesamte System – möglicherweise bis zum Stillstand.

Ein Risiko, das die Politik noch nicht auf dem Schirm hat

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Die neuen Modelle zeigen, wie hoch das Risiko wirklich ist. Selbst bei einem Szenario mit moderaten Emissionen sehen die Forscher in 37 % der Simulationen einen AMOC-Kollaps. Bei hohen Emissionen steigt die Wahrscheinlichkeit auf schockierende 70 %. Selbst bei niedrigen Emissionen bricht die Strömung noch in 25 % der Fälle zusammen. Dies widerspricht der bisherigen Einschätzung des IPCC, das dies als ein Ereignis mit geringer Wahrscheinlichkeit, aber großen Auswirkungen klassifizierte.

Die Zahlen deuten darauf hin, dass die Gefahr nicht mehr theoretischer Natur ist. Es handelt sich um eine kalkulierbare Bedrohung, die eine fundamentale Neubewertung der europäischen Klimaanpassungsstrategien erfordert. Während die Politik sich auf die graduelle Erwärmung und deren Folgen konzentriert, werden solche Kipppunkt-Szenarien in den nationalen Notfallplänen kaum berücksichtigt. Die zentrale Frage ist nicht mehr nur, wie wir Emissionen reduzieren, sondern auch, wie wir unsere Gesellschaft widerstandsfähig gegen abrupte, nicht-lineare Klimaveränderungen machen.

Die Wissenschaftler betonen zwar die verbleibenden Unsicherheiten in den Modellen, doch der Trend über verschiedene Studien hinweg ist eindeutig. Die Warnungen aus der Tiefe des Atlantiks sind lauter als je zuvor. Die Stabilität, auf der Europas Wohlstand und Ökosysteme seit Jahrtausenden basieren, steht auf dem Spiel.

Elke Schneider

Elke Schneider ist eine vielseitige Sammlerin von Fachkenntnissen. Ihren Weg in den Journalismus begann sie mit einem soliden Fundament aus ihrem Studium an der Universität Dresden. Literatur, Kunstgeschichte und Philologie sind ihre Lieblingsfächer.