„Grüne“ Gentechnik? Ist der Durchbruch neuer Genmanipulation in der EU wirklich risikofrei und effizient?

von Sabina Karlev
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Für Schlagzeilen sorgte die Absicht der EU-Kommission, den Einsatz gentechnisch veränderter Organismen in der Lebensmittelindustrie zu deregulieren. Dabei handelt es sich um pflanzliche Organismen, die einer präzisen Methode der Genmanipulation unterzogen wurden, der sogenannten CRISPR/Cas9-Technologie. Worum es dabei genau geht und ob die bisher bekannten Risiken der Genmanipulation noch bestehen, klären wir im Detail. Das macht die neue grüne Gentechnik aus.

„Grüne“ Gentechnik? Ist der Durchbruch neuer Genmanipulation in der EU wirklich risikofrei und effizient?

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Neue, „grüne“ Gentechnik: Ist der vermeintliche Durchbruch der Gentechnik in der EU wirklich risikofrei?

Gentechnisch veränderte Lebensmittel (GVO) unterlagen in der Europäischen Union bisher immer strengen Regelungen. Dies will die EU-Kommission mit einem Gesetzesentwurf ändern. Dies kann jedoch nicht ohne die Beteiligung der Mitgliedstaaten und eine umfassende Diskussion im EU-Parlament geschehen. Was noch mit dabei ist: Es wird keine Kennzeichnungspflicht nach den Lockerungen geben und die Verbraucherinnen und Verbraucher werden bald nicht mehr wissen, ob genetisch veränderte Organismen (GVO) auf dem Teller sind, oder nicht.

Ist der vermeintliche Durchbruch der Gentechnik in der EU wirklich risikofrei?

freepik genetisch veraenderter mais
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Lockerung der EU-Vorschriften: Was ist der Status quo?

  • Erste Phase der Regulierung: Der EU-Rechtsrahmen für biologische Sicherheit wurde 1990 eingeführt und seitdem mehrfach geändert. Gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel wurden 2001 und 2003 zum ersten Mal definiert.
  • Zweite Phase der Regulierung: In den Jahren 2013 und 2015 wurde dann die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 513/2013 über die Zulassung von genetisch veränderten Lebens- und Futtermitteln eingeführt. Eine weitere EU-Richtlinie 2015/412/EU gab den EU-Mitgliedstaaten die Möglichkeit, den Anbau von GVO auf ihrem Hoheitsgebiet zu beschränken.
  • Regulatorische Unsicherheit: Die Debatte über die Regulierung von Organismen, die durch neue Gentechniken (NGT) wie Genome Editing (GE) entwickelt wurden, hielt jedoch an. Bis der Europäische Gerichtshof (Große Kammer) in seinem Urteil vom 25. Juli 2018 (Rechtssache C-528/16) klargestellt hat, dass NGT-Organismen zwar nicht ausdrücklich in den Anhängen der Richtlinie 2001/18 aufgeführt sind, aber dennoch unter die allgemeine Definition fallen.

Neue Technologie für transgene Pflanzen 

gentechnik tomate genmanipuliert

Was ist die CRISPR/Cas9-Methode?

Die Methode verdanken wir Molekularwissenschaftlerinnen Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentie, die dafür im Jahr 2020 den Nobelpreis für Chemie erhalten haben. Sie beobachteten Immunreaktionen von Bakterien, die auf Virenangriffe reagieren. Dabei ging es um eine natürliche Abwehrschere, das sogenannte CAS-Protein, mit dessen Hilfe die aggressive virale RNA anerkannt und abgeschnitten (abgewehrt) wurde. Mit dieser Technologie können Forscher präzise DNA-Sequenzen schneiden, ersetzen oder neu einfügen. CRISPR-Cas9 ist relativ einfach und kostengünstig, was zu seiner weiten Verbreitung in der Pflanzenforschung geführt hat. Die Methode wurde prompt von der Agrarindustrie als effizientes Verfahren zur Pflanzenzüchtung erkannt. Diese Konzerne werden bestimmte Kulturen, die der Methode unterliegen, patentieren wollen.

Diese neue Technik wird sogar „grün“ und nachhaltig genannt

gentechnik lockerung eu

GMO vs. NGT (neue genomische Züchtungstechniken)

Es stellt sich die Frage: Wird es nun GVO oder NGT heißen, also gentechnisch veränderte oder durch neue genomische Züchstungstechniken editierte Organismen? Die regulatorischen Unsicherheiten im Zusammenhang mit den neuen genomischen Züchungstechniken (NGT) im Vergleich zu den alten Transgenese-Methoden, führten in den meisten Ländern zu politischen Debatten. Die neue Genmanipulation wird sogar „grüne Gentechnik“ genannt. Eine ganze Reihe Großkonzerne demonstrierten Interesse an der schnellen Entwicklung der Technologie, darunter Bayer/Monsanto, Corteva, BASF und Sinochem/Syngenta. Die neuen Gen-editierende Methoden sollen Pflanzen resistenter gegenüber Pestizide, Schädlinge und extreme Wetterbedingungen machen. Außerdem sorgen sie für Maximierung der Ernteerträge und werden die schnell wachsende Weltbevölkerung besser bedienen. Aus diesen Gründen besteht die Agrarlobby ganz gezielt auf die Deregulierung und Abschwächung der EU-Richtlinien sowie auf das Abschaffen der Kennzeichnungspflicht auf der Packung. Es geht im Wesentlichen um die Einführung zwei Kategorien genetisch modifizierter (editierter) Organismen.

In einer künftigen Agrarwirtschaft werden bestimmte gentechnisch veränderte Samen und deren Nachwuchs patentiert

freepik lebensmittel im supermarket

Unter Kategorie 1 NGT fallen Lebensmittel und Futtermittel, die mithilfe von CRISPR-Cas9 oder ähnlichen Technologien hergestellt wurden. Sie sollen gemäß neuen Vorschlägen nicht mehr den strengen Vorschriften des EU-Gentechnikrechts unterliegen. Das bedeutet, dass für diese Produkte keine spezielle Zulassung erforderlich wird und sie nicht den Kennzeichnungsanforderungen für genetisch veränderte Organismen (GVO) entsprechen müssen. Kein fremdes Erbmaterial im Gegensatz zu alten Genmanipulationen wird laut der EU-Gesetzentwurf anhand der CRISPR/Cas-Methode eingebaut dürfen.

Für die Kategorie 2 NGT bleiben die strengen Richtlinien bestehen, obwohl diese im Sinne des neuen Gesetzesentwurfes die EU-Mitgliedstaaten weder einschränken noch verbieten sollen, GVO anzubauen.

Kein fremdes Erbmaterial im Gegesatz zu alten Genmanipulationen wird laut der EU-Gesetzentwurf anhand der CRISPR/Cas-Methode eingebaut dürfen

neue pflanzen konzerne gmo

Grüne Gentechnik: Worin besteht die Kritik?

Die europäische Organisation Safe Food Advocacy betont, dass die Verwendung des Begriffs NGT anstelle von GVO die Verbraucher fälschlicherweise zu der Annahme verleiten kann, dass das Produkt keine genetisch veränderten Zutaten enthält. Am problematischsten wäre in diesem Sinne die mangelhafte Kennzeichnung auf der Packung der Produkte. Letztendlich ist das eine Frage der lexikalischen Nuancen, ob wir von genmodifizierten oder geneditierten Technologien reden werden.

Deregulierung der genmodifizierten Lebensmittel in der EU

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Darüber hinaus zeigen eine Reihe von wissenschaftlichen Studien, dass die Mutagenese als Folge neuer Technologien, die nicht in kontrollierten Laborumgebungen, sondern in der freien Natur stattfindet, nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden kann. Es liegen keine ausreichenden Daten vor, um eine gründliche Risikobewertung für den Menschen zu machen. Ein aktuelles Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 7. Februar 2023 bestätigt die Notwendigkeit einer gründlichen Analyse der Art der Veränderungen, die durch CRISPR/Cas9- und SDN1-induzierte Mutagenese hervorgerufen werden.

Die Mutagenese in der freien Natur sei kaum vorherzusagen, meinen Wissenschaftler

pflanzen im labor freepik

Chancen, die die grüne Gentechnik bietet

Mit den neuen Methoden, so die Befürworter, werden Pflanzen gezüchtet, die resistent gegen drastische Klimaveränderungen sind. Das erhöht das Potenzial der Pflanzen, trotz Trockenheit, Hitze und Nässe hohe Erträge zu erzielen. Das Immunsystem dieser gentechnisch optimierten Pflanzen wird so gut sein, dass sie nicht mehr von Schädlingen befallen werden. Dies führt unmittelbar zu einer Verringerung des Pestizideinsatzes und zu weniger Pestiziden im Boden oder in Gewässern. Die grüne Gentechnik soll außerdem dafür sorgen, dass die Pflanzen immer wieder maximale Erträge liefern.

Die Risikobewerung der neuen Technologien ist mangelhaft

gelbe koerne

Wirtschaftliche Risiken

Die Risiken liegen vor allem in der Gleichsetzung von gentechnikfreier bzw. ökologischer und gentechnisch veränderter Landwirtschaft. Landwirte, die weiterhin ökologisches Saatgut verwenden wollen, werden mit den großen Konzernen, die sogar Patente einführen wollen, nicht konkurrieren können. Die Produktionskosten für gentechnikfreies Saatgut und den massiven Anbau solcher Kulturen werden steigern und diese Produkte werden in der Endphase der Lieferkette für die Konsumenten teuer werden. Zudem wird es anhand von keiner klaren Kennzeichnung kaum zu unterscheiden sein, um welche Lebensmittel es geht.

Neue Etiketten für ökologische Produkte?

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Grüne Gentechnik: Was sagt die Wissenschaft?

Es gibt keine ausreichende Risikobewertung der neuen Gentechnologien. Einige durchgeführte und verfügbare wissenschaftliche Studien zeigen sogar, dass die Bedingungen in der feien Natur für das Auftreten unbeabsichtigter Auswirkungen der Gentechnik nicht zu unterschätzen sind. Das ist nicht mehr die kontrollierte Laborumgebung: Diese Pflanzen werden mit Konsequenzen die Wechselwirkungen des Genflusses innerhalb derselben Art beeinflussen und zu überraschenderen Ergebnissen führen. Es mag zwar wie gesteigerte Biodiversität aussehen, ist aber tatsächlich ein unvorhersehbares Ökosystem.

NGT-Organismen, die sich nicht durch evolutionäre Prozesse angepasst haben, können ökologische Netzwerke auf vielfältige Weise stören oder unterbrechen. Das verdeutlicht weiterhin die Studie und stellt einige Beispiele dar. Die transgene Camelina sativa mit veränderter Ölzusammensetzung hat sich als besonders invasiv erwiesen. Werden diese Pflanzen z. B. zusammen mit anderen NGT-Camelina angebaut, kann es zu Wechselwirkungen durch Genfluss, Kreuzungen und spontane Nachkommenschaft kommen.

Manche transgene Arten haben sich als invasiv erwiesen, andere beeinflussten andere Systeme, dritte haben sogar die Population der Schädlinge maximiert

pflanzen im labor freepik

Mögliche Störwirkungen auf Ökosysteme wurden an einer transgenen Glyphosat-resistenten Baumwolle in Brasilien beobachtet, welche insektizide Bt-Toxine produziert. Diese transgenen Baumwollpflanzen sind erfolgreich in natürliche Baumwollpopulationen in Mexiko eingedrungen und haben sich dort gekreuzt und ausgebreitet. Das veränderte die Merkmale in der Wildbaumwolle unter natürlichen Bedingungen, die Nektarproduktion außerhalb der Blüte und damit die Assoziation mit verschiedenen Ameisenarten.

In Brasilien nehmen die Populationen der Weißen Fliege (Bemisia tabaci) auf Feldern zu, auf denen Insektizid-resistente transgene Sojabohnen angebaut werden. Ursprünglich wurde die Zunahme der Weißen Fliegen mit der Reduzierung der Insektizidbehandlung erklärt. Die Weißen Fliegen saugen Flüssigkeit aus den Pflanzen und scheinen von bestimmten biologischen Eigenschaften der transgenen Sojabohnen zu profitieren. Aber: Gesunde Pflanzen, die den Schädlingen nicht zum Opfer fallen, gehören zu ambitionierten Versprechen der neuen Gentechnik, nicht wahr?

Sabina Karlev

Sabina Karlev ist dreisprachige Autorin und Journalistin und studierte Medienwissenschaft und Kunstgeschichte an der Universität zu Köln. Als Kommunikationsspezialistin hat sie für kulturelle und wissenschaftliche Institutionen gearbeitet, u. A. für die Max-Planck-Gesellschaft.