Kritik zu Oppenheimer Film – hat Hollywood den Einsatz der Atombombe verherrlicht?

von Sabina Karlev
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„Jetzt bin ich der Tod geworden, der Zerstörer der Welten”. Diese Filmkritik wird keine 30 Minuten dauern. So wie der Oppenheimer Film keine 180 Minuten dauern sollte. Christopher Nolan kommt mit seinem ersten Biopic ins Visier – Oppenheimer 2023. Der Film ist schon ein Blockbuster geworden und startete in die Kinos zeitgleich mit Greta Gerwigs Barbie. Das hat zum Internet-Phänomen “Barbenheimer” geführt und löste in Japan Empörung aus. Hiroshima und Nagasaki waren eigentlich keine militärischen Ziele: Hat Hollywood mit dem Oppenheimer Film den Einsatz der Atombombe verherrlicht?

Kritik zu Oppenheimer Film – hat Hollywood den Einsatz der Atombombe verherrlicht?

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Wer war der Erfinder der Atombombe J. Robert Oppenheimer?

Der Atombombenfilm von britisch-amerikanischem Filmemacher Christopher Nolan ist seine erste Biografie und zweiter Kriegsfilm nach Dunkirk (2017). Der Großregisseur hat fast alle Genres, in denen er gearbeitet hat, mit Seriosität behandelt. Trotz vieler Kassenerfolge bleibt der psychologische Neo-Noir-Thriller Memento (2000) meiner Meinung nach sein bester Film. Inception (2010) erschien mir wie ein Matrix-Remake, vom Batman-Franchise schlägt mir prinzipiell das Herz nicht hoch, und den 150-minütigen Spionage-Thriller Tenet (2020) empfand ich als langatmige, fade Fiktionalisierung alter Cold War-Klischees. Im Gegensatz dazu geht es bei seinem Oppenheimer Film um authentisches historisches Material, diesmal durch das Prisma der persönlichen Hölle eines gequälten Wissenschaftlers, der an der Entwicklung der ersten Atombombe – auch einer Massenvernichtungswaffe, beteiligt war.

Der Film Oppenheimer erzählt die Lebensgeschichte des Vaters der Atomombe

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J. Robert Oppenheimer war Direktor des Los Alamos Laboratory im Rahmen des Manhattan-Projekts. Nach dem Erfolg der Trinity-Tests in der Wüste wurden zwei Atombomben Little Boy – mit Uran, und Fat Boy – mit Plutonium auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen. In der Folge sind tausende Zivilisten ums Leben gekommen. Das dritte Reich hatte bereits kapituliert. Die Notwendigkeit für den Einsatz der Atomwaffe bleibt bisher historisch umschritten.

Hervorragende Kameraführung von Hoyte van Hoytema

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Warum? Der Vater der Atombombe sagte 1965 im Interview, dass der Schritt gewagt werden musste, um amerikanische Leben zu retten. Aus diesem Gespräch stammt übrigens der hinreißende Ausschnitt aus der hinduistischen Schrift „Bhagavad Gita“ – „Jetzt bin ich der Tod geworden, der Zerstörer der Welten“, mit dem der Oppenheimer Film beginnt. Die Atombombe trug dazu bei, so Oppenheimer, eine Invasion auf dem Landweg zu vermeiden und zwang Japan auf die Knie. Aber wie Historiker Gar Alperovitz und Martin J. Sherwin für die Los Angeles Times schreiben, stand das folgende Fazit bis 2020 auf der Webseite des Nationalmuseums der US-Marine in Washington, D.C. (und soll angeblich noch an einer Ausstellungsplaque vorhanden sein):

„Die gewaltigen Zerstörungen durch die Bombenangriffe auf Hiroshima und Nagasaki und der Verlust von 135.000 Menschen hatten kaum Auswirkungen auf das japanische Militär. Der sowjetische Einmarsch in der Mandschurei … änderte jedoch ihre [der Japaner] Meinung.“

Oppenheimer 2023 läuft im Kino

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Daran erinnern noch ganz pointiert viele japanische und internationale Forscher. Die Kapitulation Japans fiel mit dem sowjetischen Einmarsch in die Mandschurei am 8. und 9. August 1945 zusammen. Was für die Kapitulation ausschlaggebend war, ist sogar von dem damaligen Premierminister Kantaro Suzuki im August 1945 sowie durch zahlreiche diplomatische Kabel belegt. Japan war schon früher zur Kapitulation bereit. Die Japaner konnten keinen Zweifrontenkrieg führen und befürchteten enorm die sowjetische Okkupation. Die Kriegserklärung der UdSSR war bereits auf der Konferenz von Jalta zwischen Stalin, Roosevelt und Churchill vereinbart und genau das machte die Atombombenabwürfe unnötig.

Oppenheimer 2023 ist trotz allem eine sehenswerte Charakterstudie, ein Politthriller und ein spannendes Gerichtsdrama…

Im großen Zusammenhang betrachtet ist die Charakterstudie der vielschichtigen Persönlichkeit Oppenheimers gut, aber nicht tiefgründig. Das ist nicht verwunderlich, denn Christopher Nolan hat für seinen Film nur eine einzige Quelle verwendet, nämlich die Biografie von Kai Bird und Martin J. Sherwine „American Prometheus“. Die Parallelen sind bezeichnend – genau wie Prometheus brachte der Atomphysiker den Menschen das nukleare Feuer, sprengte die Menschheit ins Atomzeitalter und wurde in der Folge bestraft.

Rezension für Oppenheimer 2023

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Der amerikanische Held und brillante theoretische Physiker konnte mit seiner genialen Entwicklung die industrielle Macht der USA demonstrieren. Er engagierte sich politisch und unterstützte während des Spanischen Bürgerkriegs die Kommunisten finanziell. Aufgrund dieser progressiven Ansichten wurde er während der McCarthy-Ära, die von Radikalismus und Anti-Intellektualismus geprägt war, verfolgt und verlor seine Sicherheitsfreigabe. Diese grundlegenden Ereignisse bilden das Fundament von Nolans monumentalem Filmwerk.

Cillian Murphy in der Hauptrolle als Oppenheimer. Kinostart in Deutschland war der 21. Juli

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Das ist alles reich an Material.  Nolans Behandlung des Themas fühlt sich aber trozdem flach an, und obwohl der Film ein brillantes Kinoerlebnis ist, gelingt es dem Regisseur nicht, die Ambiguität von Oppenheimers Lebensgeschichte mit Komplexität zu dramatisieren. Ja, Oppenheimer sollte eine persönliche Qual erlebt haben, dass er die Wissenschaft nicht für den menschlichen Fortschritt, sondern für die Menschenzerstörung einsezte. Es sind zahlreiche Zivilisten ums Leben gekommen und viele andere erlitten im Nachhinein Schäden. Die zentrale Frage der Geschichte bleibt aber vom Regisseur völlig außer Acht gelassen: War der Einsatz der Atombombe eigentlich notwendig? Vielmehr ist das Publikum gezwungen, Mitleid mit Oppenheimer zu haben, der als Opfer der Geschichte präsentiert wird.

Barbenheimer hat Japan empört

Zurück zum Barbenheimer-Phänomen: Die Weltpremiere von Oppenheimer 2023 fiel mit der von Barbie zusammen, und die Zuschauer wurden auf Twitter aufgefordert, die beiden Filme als Doppelfeature zu sehen. Das japanische Barbie-Konto verbreitete Meme-Kombinationen aus Barbie-Bildern und Darstellungen von Atompilzen, woraufhin die japanische Fox-Tochtergesellschaft eine Erklärung abgab, in der sie dies als äußerst bedauerlich bezeichnete. Oppenheimer, der von Universal Pictures vertrieben wird, hat noch keinen genauen Kinostarttag in Japan. In der ersten Augustwoche ist nämlich der Gedenktag der historischen Bombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki. Aus diesem Anlass begann in Japan auf Twitter der Hashtag #NoBarbenheimer zu trenden. Es stellt sich die Frage: Ist Oppenheimer 2023 ein egozentrisches Hollywood-Produkt?

Barbenheimer wurde zum Internet-Phänomen

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Warum sind die Japaner wütend? Die Platzierung von Werbebildern des Barbie-Films zusammen mit solchen von Atompilzen im Kontext von Barbenheimer erinnert stark an die „Miss Atomic“-Schönheitswettbewerbe, die in den 1950er-Jahren in Nevada stattfanden. 80 Prozent der amerikanischen Öffentlichkeit billigten den Einsatz der Atomwaffe von Trumans Kriegsminister Henry Stimson genau aufgrund solcher Kriegspropaganda und der Sexualisierung von Massenvernichtungswaffen durch Pin-up-Girls. Warum finden die vulgäre Schändung und der Widerruf von alten militaristischen Klischees nun in Hollywoods Traumfabrik statt? Miss Atomic waren Schönheitswettbewerbe, die zu Zeiten der Atomtests der 1950er durchgeführt wurden und sollten die Öffentlichkeit gegenüber den Gefahren von Atomwaffen desensibilisieren.

Fox hat Kinofans dazu ermutigt, beide Filme als Double-Feature zu sehen

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Besetzung von dem Oppenheimer Film liefert ein echtes Kinoerlebnis

Ganz sicher: Der Film beeindruckt durch seine hochkarätige Besetzung. Cillian Murphy, bekannt aus dem apokalyptischen Sci-Fi-Film 28 Days Later (2002), spielt Oppenheimer und sieht ihm zum Verwechseln ähnlich.

Hochkarätige Besetzung im Oppenheimer Film

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Robert Downey Jr. verkörpert den Selfmade-Millionär Lewis Strauss, der hinter der Misshandlung Oppenheimers in den 1950er-Jahren steckte. Sein Handlungsstrang, der vor der Anhörung durch den US-Senat während seiner Zeit als Handelsminister im Kabinett von Präsident Dwight D. Eisenhower erzählt, ist in Schwarz-Weiß gedreht, um Nolans mosaikartige und mehrschichtige Erzählweise zu demonstrieren.

Christopher Nolan hat eine spannende, mehrschichte Erzählweise 

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Kitty, Oppenheimers Gättin, ist von Emily Blunt gespielt, und Florence Pugh ist die gebrochene, später auch verstorbene kommunistische Studentin Jean Tatlock, mit der Oppenheimer eine Affäre hatte und für deren Tod er unter Selbstvorwürfen gelitten haben sollte.

Der Oppenheimer Film ist ein Kassenerfolg

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Rami Malek spielt den Wissenschaftler David L. Hill, der Oppenheimer verteidigte und Matt Damon ist Leslie Groves, der Oppenheimer für das Manhattan-Projekt rekrutierte.

Hat der Oppenheimer Film den Einsatz der Atombombe verherrlicht?

Trotz seines Symbolreichtums und visueller Pracht wirkt Christopher Nolans Filmepos in seiner ambitionierten Umsetzung oberflächlich und steht im Schatten anderer Meisterwerke. Der Film scheitert daran, sich als Antikriegsfilm zu positionieren. Es scheint, dass Nolans filmische Annäherung an den Stoff trotz der Komplexität seiner gequälten Hauptfigur, die im Kalten Krieg eigentlich der führende Gegner der Entwicklung der Wasserstoffbombe war, nicht fein und facettenreich genug ist, um die Zerstörungskraft von Massenvernichtungswaffen im Rahmen von heißen und kalten Kriegen in einen angemessenen zeitgenössischen Kontext zu stellen.

Ist der Oppenheimer Film eigentlich ein Antikriegsfilm?

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Wenn die historische Nuancierung die treibende Kraft hinter der Dramatisierung solcher komplexen, groß angelegten historischen Ereignisse hätte sein sollen, warum bleibt die Charakterstudie von Oppenheimer dann in einer einfachen, eindimensionalen Lesart verhaftet? Ist das Einzige, was bei Oppenheimer zählt, dass Amerika undankbar gegenüber dem eignenen Prometheus war? Der Film deutet das Leid, das die Bomben verursacht haben, nur indirekt an.

Das Buch, das zur Vorlage des Films dient, erzählt eigentlich über den Konflikt zwischen Wissenschaft und Politik: Oppenheimer und Truman trafen sich im Oktober 1945. Oppenheimer war sehr reumütig, nachdem die zweite Bombe über Nagasaki abgeworfen worden war. Er sagte dem Präsidenten, er habe Blut an seinen Händen. Doch der Staatschef erwiderte, dass das Blut an seinen Händen klebe und bezeichnete ihn in der Anwesenheit seiner Mitarbeiter als „weinerlichen Wissenschaftler“. Dies wäre eine großartige Ergänzung zu Christofer Nolans Biopic gewesen und hätte den menschlichen Aspekt der geistigen und psychologischen Zerstörung durch die eigene Schöpfung, die der Politik als Massenvernichtungswaffe diente, gezeigt.

Der Liebesfilm gehört zum Genremix von Oppenheimer –  Florence Pugh und Cillian Murphy als der Atomphysiker und Jane Tatock

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Stattdessen bekommen wir das im Interview aus dem 1965 historisch belegte Oppenheimers Zitat aus „Bhagavad Gita“ in einer Schlafzimmerszene mit Florence Pugh. Hollywood unterstellt wieder mit der Naivität seiner Dramaturgieschule, dass es die (un)gelösten sexuellen Motivationen einer Figur sein sollen, was den Motor der Geschichte antreibt. Diese Szene wurde übrigens in Indien ziemlich schnell zensiert, da sie unter der konservativen und religiösen Bevölkerung  ganz unpopulär war. Der Film lohn sich aber für alle, die sich im Rahmen von 3 Stunden ein Bild vom Leben des Vaters der Atombombe machen wollen.

Sabina Karlev

Sabina Karlev ist dreisprachige Autorin und Journalistin und studierte Medienwissenschaft und Kunstgeschichte an der Universität zu Köln. Als Kommunikationsspezialistin hat sie für kulturelle und wissenschaftliche Institutionen gearbeitet, u. A. für die Max-Planck-Gesellschaft.