Kultur-Geheimtipp: Diese Schweizer Stadt schlägt Zürich

von Amandine Hach
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Ich erinnere mich noch genau an meinen ersten Besuch in Winterthur. Ich stieg aus dem Zug, nur 28 Minuten von Zürich entfernt, und erwartete ehrlich gesagt eine ruhige, vielleicht etwas verschlafene Vorstadt. Doch was ich fand, war das komplette Gegenteil: eine pulsierende Stadt, die vor Kunst, Geschichte und kreativer Energie nur so strotzt. Mit 17 Museen auf 120.000 Einwohner besitzt Winterthur eine kulturelle Dichte, die selbst Metropolen wie Basel und Zürich um Längen schlägt. Es ist die faszinierende Geschichte einer Stadt, die sich vom rauen Industriezentrum zu einem der elegantesten Kultur-Hotspots der Schweiz gewandelt hat – und dabei erstaunlich bodenständig geblieben ist.

Vom Industrieherz zum Kulturmagneten

Seit 1834 war Winterthur das Herz der Schweizer Maschinenindustrie. Namen wie Sulzer, Rieter und SLM waren weltweit ein Begriff. Wenn man heute durch das revitalisierte Sulzer-Areal schlendert, spürt man diese Vergangenheit auf Schritt und Tritt. In den riesigen Backsteinhallen, wo früher der ohrenbetäubende Lärm von Dampfmaschinen dröhnte, hört man heute das leise Klicken von Kameras in Fotostudios oder das Murmeln von Studierenden in modernen Lofts. Es ist diese Mischung aus rohem Industriecharme und lebendiger Gegenwart, die den Ort so besonders macht.

Ein absolutes Muss ist das Schweizerische Science Center Technorama. Planen Sie dafür mindestens einen halben Tag ein, vor allem, wenn Sie mit Kindern reisen! Hier geht es nicht ums stille Betrachten, sondern ums Anfassen und Ausprobieren. Ich habe Stunden damit verbracht, Blitze zu erzeugen und mit Magnetismus zu experimentieren. Der Eintritt für Erwachsene liegt bei rund 32 CHF (ca. 33 €) – nicht gerade ein Schnäppchen, aber jeden Rappen wert für dieses interaktive Erlebnis.

Sempers architektonisches Juwel im Stadtzentrum

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Mitten im Herzen der Stadt thront das prächtige Stadthaus, erbaut von 1865 bis 1869 vom berühmten Architekten Gottfried Semper, den man auch von der Dresdner Oper kennt. Dieses Meisterwerk wird oft als „Tempel der Demokratie“ bezeichnet und ist ein Symbol für den Stolz und den Wohlstand, den die Stadt durch ihre Industrie erlangt hatte. Mein Tipp: Bleiben Sie nicht nur davor stehen. Wenn die Türen offen sind, werfen Sie einen Blick in das Foyer. Die Grandezza und die Liebe zum Detail sind überwältigend und zeigen, dass die Winterthurer ihr Geld nicht nur in Fabriken, sondern auch in repräsentative Kultur investiert haben.

Ein Eldorado für Kunstliebhaber: Die Museumsmeile

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Das eigentliche kulturelle Rückgrat Winterthurs ist die Museumslandschaft, die sich bequem zu Fuss erkunden lässt. Das Kunst Museum Winterthur ist dabei clever auf drei Standorte aufgeteilt, sodass man sich nicht überfordert fühlt:

  • Kunst Museum Winterthur | Beim Stadthaus: Hier finden Sie die Moderne ab 1900. Ich war tief beeindruckt von der hochkarätigen Sammlung mit Werken von Monet, Van Gogh, Picasso und Klee, die man in einer solch intimen Atmosphäre selten erlebt.
  • Kunst Museum Winterthur | Reinhart am Stadtgarten: Mein persönlicher Favorit. In dieser eleganten alten Villa durch die Räume zu schlendern und Meisterwerke der Schweizer, deutschen und österreichischen Kunst des 18. und 19. Jahrhunderts fast für sich allein zu haben, ist ein wahrer Luxus. Nehmen Sie sich danach Zeit für eine Pause im Museumscafé mit Blick auf den Stadtgarten – eine Oase der Ruhe.
  • Villa Flora: Fühlt sich an wie ein Besuch in der privaten Kunstsammlung einer wohlhabenden Familie um 1900. Sehr persönlich und charmant, mit Werken von Toulouse-Lautrec und Renoir.

Aber Winterthur kann mehr als nur Malerei. Ein internationaler Anziehungspunkt ist das Fotomuseum Winterthur (Fotomuseum), das zusammen mit der Fotostiftung Schweiz oft Weltklasse-Ausstellungen zeigt. Für Fotografie-Fans ist das ein absolutes Pflichtprogramm.

Insider-Tipps für Ihren perfekten Kulturtrip

Nach mehreren Besuchen habe ich einige Dinge gelernt, die ich gerne mit Ihnen teile:

Der Museumspass ist ein No-Brainer: Für 29 CHF (ca. 30 €) für einen Tag oder 44 CHF (ca. 45 €) für zwei Tage erhalten Sie Eintritt in die meisten Museen. Das rechnet sich schon nach dem zweiten Besuch und Sie können flexibel entscheiden, was Sie sehen möchten. Erhältlich in jedem Museum oder in der Touristeninformation am Bahnhof.

Wo die Einheimischen essen: Für authentische Schweizer Küche in historischem Ambiente empfehle ich das ‚Restaurant Strauss‘ in der Altstadt. Ein Zürcher Geschnetzeltes kostet hier um die 45 CHF, was für Schweizer Verhältnisse fair ist. Für einen hervorragenden Kaffee und Kuchen ist das ‚Kafisatz‘ ein beliebter lokaler Treffpunkt – unprätentiös, gemütlich und einfach gut.

Ein versteckter Ausblick: Ein Ort, den viele Touristen übersehen, ist der Rosengarten am Heiligberg. Von dort oben haben Sie einen wunderbaren, kostenlosen Blick über die Dächer der Altstadt bis zu den alten Industrietürmen. Besonders zum Sonnenuntergang ein magischer Ort.

Lohnt sich eine Übernachtung? Meine ehrliche Meinung: Ja, unbedingt! An einem Tag hetzt man nur von A nach B. Um die entspannte Atmosphäre der Stadt wirklich aufzusaugen, durch die Gassen der autofreien Altstadt zu schlendern und abends gemütlich essen zu gehen, sollten Sie mindestens eine Nacht bleiben. Winterthur ist spürbar günstiger als Zürich, sowohl bei den Hotels als auch in den Restaurants.

Winterthur ist der perfekte Beweis, dass die spannendsten Reiseziele oft im Schatten der grossen Namen liegen. Es ist eine Stadt, die sich nicht aufdrängt, aber unendlich viel zu bieten hat, wenn man ihr eine Chance gibt. Eine perfekte Mischung aus Arbeit, Kunst und Lebensqualität, die man als Besucher sofort spürt und die einen immer wieder gerne zurückkommen lässt.

Amandine Hach

Als Französin in Berlin verbindet Amandine Hach das Beste aus zwei Welten und teilt ihre Entdeckungen auf ihrem Blog „Les Berlinettes“. Mit einem besonderen Fokus auf das Reisen mit Kindern inspiriert sie Familien dazu, die Welt gemeinsam zu erkunden – sei es die eigene Nachbarschaft in der Hauptstadt oder ferne Ziele. Amandine zeigt auf authentische und stilvolle Weise, wie man Abenteuerlust und Familienalltag wunderbar miteinander vereinen kann, und gibt wertvolle Tipps für unvergessliche Erlebnisse mit den Kleinsten.